Impressions of Ottoman Culture in Europe: 1453 – 1699

Autor/en: Nurhan Atasoy, Lale Uluc
Verlag: Armaggan Publications, Turkish Cultural Foundation
Erschienen: Istanbul 2012
Seiten: 444
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: USD 180,00
ISBN: 978-605-62544-1-1
Kommentar: Michael Buddeberg, März 2013

Besprechung:
Von der Gründung durch seinen Namensgeber Osman I um das Jahr 1300 bis zur Ausrufung der türkischen Republik und dem Rücktritt des letzten osmanischen Pascha am 4. November 1923 hatte das Osmanische Reich einen Bestand von mehr als 700 Jahren. Zur Zeit seiner größten Ausdehnung, das war um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert umfasste dieses machtvolle Reich gleichsam den Kern der alten Welt und reichte, wenn man die tributpflichtigen Vasallenstaaten dazurechnet von Persien und dem Zweistromland über die Randstaaten des Roten, des Schwarzen und des östlichen und südlichen Mittelmeeres bis tief hinein nach Europa. Über Griechenland, Ungarn und fast den gesamten Balkan erstreckte sich das osmanische Reich fast bis vor die Tore von Wien. So wird verständlich, dass die Osmanen nach dem Ende des Mittelalters die europäische Politik und Diplomatie stark beschäftigt haben und dass die Türken, jedenfalls seit der Eroberung Konstantinopels durch Mehmed II am 29. Mai 1453, als der gefährlichste Feind für das christliche Europa angesehen wurden. Diese Epoche osmanischer Ausbreitung, Eroberung und Bedrohung für Europa währte ganze 250 Jahre und erst 1683, als europäische Allianztruppen unter dem polnischen König und Befehlshaber Jan III Sobieski in der Schlacht vom Kahlenberg die zweite Belagerung Wiens durch einen gloriosen Sieg über Kara Mustafa beendeten, trat ein Wendepunkt ein. Durch den Frieden von Karlowitz im Januar 1699 fielen wesentliche Teile des Balkan an Russland und vor allem an Österreich, womit der Grundstein für eine neue europäische Großmacht gelegt und zugleich der Anfang einer Epoche des Niedergangs des Osmanischen Reiches markiert wurde. In ihrer machtvollsten Zeit von 1453 bis 1699 hatten die Osmanen in Europa aber nicht nur Furcht und Schrecken verbreitet, sondern sie hatten mit ihrer materiellen Kultur vor allem auf Osteuropa starken Einfluss ausgeübt. Den Spuren dieses Einflusses ist ein in dreifacher Hinsicht bemerkenswertes Buch gewidmet. Von diesen drei Aspekten soll hier die noble und geschmackvolle Ausstattung des Buches zu Anfang erwähnt werden. In rotes und mit goldener Schrift geprägtes Leinen gebunden, besticht die Ausstattung durch überlegte typographische Gestaltung und durch die übersichtliche, seitengerechte Zuordnung von Fußnoten und Bildlegenden, vor allem aber durch das schwere, leicht chamoisfarbene Papier, das den Goldton der kostbaren und zahlreich abgebildeten Textilien aus golddurchwirktem Seidenbrokat ebenso prachtvoll wiedergibt wie den goldenen Schmuck und die reichen Verzierungen von Waffen, Rüstungen, Bucheinbänden und kostbarem Gerät. Auch im übrigen sind Auswahl, Anordnung – dies wiederholt und zum besseren Vergleich attraktiv vor schwarzem Hintergrund auf ausklappbaren Tafeln – sowie die Farbwiedergabe der 400 Abbildungen eine reine Freude. Zweitens: Mit Nurhan Atasoy, der anerkannt allerersten Autorität für die materielle Kultur des osmanischen Reiches, man denke hier an die beiden Standardwerke zur osmanischen Seide und Keramik, „Ipek“ und „Iznik“, und der Islam-Spezialistin Lale Uluc kommt ein Autorenteam zum Wort, das fundierte und bestens recherchierte Information verspricht, womit auch schon der dritte und natürlich wichtigste Aspekt dieses schönen Buches angesprochen ist. Sechs Jahre Suche und Forschung nach den Spuren osmanischer Kultur in 14 europäischen Ländern, in zahlreichen Museen und deren Depots und in ungezählten Inventaren, Urkunden und Aufzeichnungen haben unerwartet reiches und bislang unbekanntes und nicht publiziertes Material zu Tage gebracht. Das gilt vor allem für den Balkan und die osteuropäischen Staaten, die entweder lange Zeit Bestandteil des osmanischen Reiches waren oder mit ihm eine gemeinsame Grenze hatten. Klöster in Rumänien, Bulgarien und Moldavien ebenso wie Museen in Bukarest, Budapest und Warschau erwiesen sich als wahre Fundgrube für die in Westeuropa eher selten anzutreffenden osmanischen Goldstoffe. Dass die Schatzkammern und Museen des Kreml in Moskau wegen der regen Handelsbeziehungen zwischen dem frühen Zarenreich und dem Osmanischen Reich hier außerordentlich reiche Bestände horten, war zwar bekannt, doch in dieser Fülle und in derart prächtiger Darstellung in der Literatur bisher noch niemals zu sehen. Eine Gruppe vorzüglich erhaltener Chormäntel aus osmanischen Goldbrokatstoffen des frühen 17. Jahrhunderts ist hier ein eindrucksvoller Höhepunkt. So darf es nicht verwundern, dass das Kapitel über osmanische Textilien im östlichen Europa den breitesten Raum beansprucht mit neuen und überraschenden Erkenntnissen etwa über osmanische Goldstoffe mit orthodoxem Figurendekor, die sich in Moskau und in Klöstern des Berg Athos erhalten haben und in speziellen Werkstätten des osmanischen Konstantinopel als Auftragsarbeiten hergestellt wurden. Gegenüber diesen als Handelsware oder auch als diplomatische Geschenke erhaltenen Objekten in Osteuropa dominieren in den Sammlungen des westlichen Europa die in den Schlachten von Lepanto (1571) oder am Kahlenberge (1683) erbeuteten Textilien. Osmanische Zelte, die nach Berichten von Zeitzeugen „zu tausenden“ von den flüchtenden osmanischen Truppen zurückgelassen wurden, begründeten quasi eine Mode, die bis ins 19. Jahrhundert reichte und im polnischen Brody zu einer Zeltproduktion im türkischen Stil führte. Weitere Kapitel widmen sich der Beliebtheit der vielleicht begehrtesten osmanischen Ware in Europa, den Teppichen. Auch hier dominiert Europas Osten, Ungarn etwa, vor allem aber das rumänische Siebenbürgen, wo sich in Kirchenschätzen, Museen und privaten Sammlungen eine große Anzahl dieser im 16. und im 17. Jahrhundert vornehmlich für den Export nach Europa hergestellten türkischen Teppiche erhalten hat. Die Präsenz und die Wertschätzung dieser Teppiche in Westeuropa ist weniger durch erhaltene Exemplare als vielmehr durch ihre detaillierte Wiedergabe in Gemälden der großen Maler ihrer Zeit dokumentiert. Hans Holbein, Lorenzo Lotto oder Hans Memling seien hier für viele genannt. Doch damit nicht genug: In vergleichbarer Tiefe, Vollständigkeit und mit einer Fülle vorzüglicher Beispiele illustriert, wird die Präsenz und Beliebtheit von osmanischer Keramik aus Iznik, von Waffen und Rüstungen aus Istanbuler Werkstätten, von prunkvoller Ausstattung für Pferde, kostbarem Schmuck und Gerät bis hin zum Import exotischer Pflanzen und Blumen für europäische Gärten und Parks behandelt. Die Neugier und große Bewunderung, die Europa trotz latenter Bedrohung aus dem Osten für die exotischen und luxuriösen Waren des Osmanischen Reiches hegte, ist das große und glänzend behandelte Thema des Buches.

Print Friendly, PDF & Email