The Shafik Gabr Collection – Masterpieces of Orientalist Art

Autor/en: Shafik Gabr (Hrsg)
Verlag: ACR Edition
Erschienen: Courbevoie-Paris 2012
Seiten: 476
Ausgabe: Klappenbroschur im Schuber
Preis: ca. € 140,00
ISBN: 978-2-86777-204-4
Kommentar: Michael Buddeberg, Juli 2013

Besprechung:
1978 hat der damals in Princeton lehrende palästinensische Literaturprofessor Edward Said die Orientwissenschaft aber auch die Politik mit der These in Aufruhr versetzt, dass der Orient nur ein westlich ideologisches Konstrukt sei. In seinem längst zum Klassiker in seinem Genre avancierten Werk „Orientalismus“ wirft Said die Frage auf, ob nicht westeuropäische Kreativität, zu denken ist hier etwa an Goethes West-Östlichen Diwan oder auch an Karl May, an Mozarts Entführung aus dem Serail und die orientalisierenden Sujets von Delacroix und Ingres, dazu beigetragen hat, den Orient erst zu schaffen? Wurde nicht so erst der Orientale „orientalisiert“, mit dem Ziel, ihn im Zeitalter des Imperialismus und Kolonialismus leichter und besser beherrschen, also letztendlich unterdrücken zu können? Die These von Said hat viel bewegt und sie provoziert noch heute. Sie hat gewiss dazu beigetragen, dass sich die Orientalistik vom Orchideenfach zur ernsthaften Wissenschaft entwickelt hat und dass diesem Phänomen in der Malerei des 19. Jahrhunderts, den so genannten Orientalisten, mehr und mehr Beachtung gezollt wird. Vorläufiger Höhepunkt war hier die eindruckvolle Bilderschau „Orientalismus in Europa“, die im Jahre 2011 durch Europa zog und auch in der Münchner Hypo-Kunsthalle zu sehen war. Parallel hierzu erleben die Bilder der Orientalisten auf dem internationalen Kunstmarkt einen Boom sondergleichen. Obgleich sie im strengen Sinne der wenig gefragten Salonmalerei des 19. Jahrhundert zuzurechnen sind, sind Zuschläge in Millionenhöhe inzwischen keine Seltenheit mehr. Dies ist nicht zuletzt eine Folge des zunehmenden Interesses reicher arabischer Sammler an diesem Genre. Scheich Hassan Al-Thani aus Katar ist hier zu nennen und nicht von ungefähr verwahrt das Orientalist Museum in Doha, die einzige Institution weltweit, die sich ausschließlich der Kunst der Orientalisten widmet, eine der bedeutendsten Sammlungen dieser Art. Ein weiterer hier immer wieder genannter Name ist der des vielseitig engagierten ägyptischen Investors Shafik Gabr. Seine seit 1993 zielstrebig aufgebaute Sammlung von mittlerweile 130 Werken der Orientalisten wird in dem vorliegenden Band aus dem Pariser ACR-Verlag vorzüglich in Szene gesetzt. Im Vorwort betont der Sammler sein Interesse an Reisen und an der Fotografie, also der genauen Darstellung von Szenen, Personen und Architektur. als den auslösenden Faktor für sein Interesse an den Orientalisten. Shafik Gabr sieht die Maler jener Zeit als aufmerksame und respektvolle Betrachter der orientalischen Welt; sie dokumentierten wie sonst niemand die architektonischen Schätze, die Menschen und ihre Gesichter und hielten Sitten, Gebräuche und Gewohnheiten fest. Die Bilder, so seine Botschaft, sind ein künstlerisches Erbe aus einer Weltregion, die die Wiege aller Zivilisation und Religion ist. So gesehen kann das Interesse der arabischen Welt an den Orientalisten auch als die Suche nach einer eigenen Identität interpretiert werden, eine Suche, die in den stimmungsvollen Darstellungen des Alten Orient, in den Abbildern des für die Maler so faszinierend Fremden, ihre ureigene Welt findet oder zu finden glaubt. Einführende Essays namhafter Experten stellen die Entwicklung der orientalistischen Malerei in den Jahren von 1820 bis etwa 1900 dar, ebenso wie die besondere Rolle des ägyptischen Sujets, das in der Sammlung von Shafik Gabr mit Architektur, Dorf- und Wüstenbildern, mit Genreszenen und Portraits eindeutig dominiert. Weitere Themen der Essays sind die französische Malerei in Algerien und die herausragende Bedeutung der narrativen Bildinhalte für das Verständnis der orientalischen Welt. Im Vordergrund stehen natürlich die Bilder selbst, sämtliche seitengroß in Farbe und vielfach mit repräsentativen Ausschnitten wiedergegeben. Es ist ein faszinierendes Kaleidoskop der arabischen Welt des 19. Jahrhunderts, in die wir tief eintauchen, in die Welt der Basare, in das Innenleben von Moscheen, wir ziehen mit Karawanen durch die Wüste, rasten am Nil im Schatten pharaonischer Bauwerke und erhalten durch die minutiöse und detailreiche Malerei reichste Information über Kleidung, Accessoires, Stoff- und Teppichmuster, Handwerkstechniken, kurz über die gesamte materielle Kultur des Orients. Einen Schwerpunkt der Sammlung bilden die Werke des österreichischen Malers Ludwig Deutsch (1855-1935), der in seinem Pariser Atelier die Eindrücke von mindestens drei ausgedehnten Reisen nach Ägypten in eindrucksvollen Personenstudien, z.B. vom „Strassenhändler“, vom „Mandolinenspieler“ oder vom „Lampenanzünder“, festgehalten hat. Nicht weniger als 15 Werke von Deutsch sind in der Sammlung vertreten und es lohnt, diese Bilder wegen der fast fotografisch genau wiedergegebenen Details wieder und wieder zu betrachten. Ebenfalls mit 8 Werken gut vertreten ist Jean-Léon Gérome (1824-1904), einer der führenden französischen Orientalisten. Werke von dem deutschen Maler Gustav Bauernfeind, von David Roberts aus England, dem Polen Adam Styka oder dem Schweizer Eugen Bracht, um hier nur einige wenige zu nennen, machen deutlich, dass die Sammlung Shafik Gabr mit Bildern von über 60 Malern das gesamte Spektrum der europäischen orientalistischen Malerei des 19. Jahrhunderts mit vorzüglichen bis herausragenden Beispielen abdeckt. Es versteht sich, dass neben der genauen Beschreibung aller abgebildeten Werke auch für jeden Maler ausführliche biographische Angaben enthalten sind. Der Katalog der Shafik Gabr Collection ist damit ein Standardwerk zur Kunst der Orientalisten und er liefert vorzügliche Argumente gegen die provokante These von Edward Said.

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