Autor/en: Ulrike Weinhold, Martina Minning (Hrsg)
Verlag: Staatl. Kunstsammlungen Dresden, Deutscher Kunstverlag
Erschienen: Dresden Berlin München 2012
Seiten: 272
Ausgabe: Hardcover
Preis: € 39,90
ISBN: 978-3-422-07141-4
Kommentar: Michael Buddeberg, Januar 2013
Besprechung:
Als die Truppen des osmanischen Sultans Mehmed III am 18. April 1453 zum Sturm auf die mächtige Stadtmauer Konstantinopels ansetzten hatte dem Byzantinischen Reich das letzte Stündlein geschlagen. Politisch schon lange geschwächt, des einstmals großen Staatsgebietes weitgehend verlustig und von westlichen Verbündeten im Stich gelassen hatte der oströmische Kaiser Konstantin mit einer Handvoll Soldaten keine Chance gegen die osmanische Übermacht und die Feuerkraft ihrer modernen Artillerie. Schon am 29. Mai 1453 war der Widerstand gebrochen, eine Bresche in die Theodosische Mauer geschlagen, Konstantinopel erobert und das byzantinische Reich untergegangen. Zu jener Zeit wurde das aufstrebende Russland, das sich seit der Jahrtausendwende zum orthodoxen Christentum bekannte, durch den Moskauer Großfürsten Iwan III regiert (1462-1505), der Russland als den einzig verbliebenen Hort des rechtgläubigen Christentums sah und Moskau als „Drittes Rom“. Unter Iwan IV (reg. 1533-1584) verfestigte sich diese Selbstidentifikation Russlands als Nachfolgerin des Byzantinischen Reiches. Iwan IV, wegen seiner legendären Grausamkeit mit dem Beinamen „der Schreckliche“ versehen aber dennoch ein großer Herrscher, unternahm tiefgreifende Reformen, erweiterte den russischen Machtbereich nach Osten und Süden und ließ sich am 16. Januar 1547 mit byzantinischem Ritual zum ersten russischen Zaren krönen. Seither trägt der russische Zar auch den Titel „Bewahrer des byzantinischen Throns“. Im Westen aber blieb Russland ein kaum bekanntes und, wenn überhaupt, als tatarisch, unchristlich und furchterregend wahrgenommenes Land. Abgesehen von wenigen englischen und niederländischen Kaufleuten, die seit der Mitte des 16. Jahrhunderts Kunde vom Moskauer Hof nach Westen brachten, änderte sich das erst unter dem ersten Kaiser von Russland, Zar Peter dem Großen (reg. 1682-1725), der das russische Reich nach westlichem Vorbild reformierte und das Land ganz nach Europa öffnete. Dieser Epoche von Iwan dem Schrecklichen bis Peter dem Großen, dem 16. und 17. Jahrhundert, ist eine Ausstellung von etwa 160 Objekten orientalischer, europäischer und russischer Herkunft aus den Schatzkammern des Kreml gewidmet, die noch bis zum 4. März im Residenzschloss Dresden zu sehen ist. Um es gleich vorwegzunehmen: Die persischen und türkischen Prunkwaffen und Pferdeausrüstungen, Reichinsignien, Juwelierwaren und Roben, bei denen nicht an Gold, Silber und edlen Stoffen, Türkisen, Rubinen und anderen kostbaren Steinen und Materialien gespart wurde, gehören zu den bedeutendsten ihrer Art, denn sie haben sich in den Ursprungsländern nicht oder nur in geringer Zahl erhalten, zu groß war die Begierde nach dem Materialwert in Zeiten leerer Kassen. Entsprechendes gilt für die einzigartige Sammlung westeuropäischen Silbers. An keinem anderen Ort der Welt hat sich eine solche Vielzahl hochrangiger Werke der Silberschmiedekunst aus Deutschland, Dänemark, Schweden, den Niederlanden, Polen und England erhalten wie in der Schatzkammer des Kreml. Der Katalog, zu dem nicht weniger als 28 meist russische Autoren Beiträge geleistet haben, zeigt und beschreibt die ganze Pracht und Schönheit dieser unvergleichlichen Kostbarkeiten und befasst sich darüber hinaus mit dem russischen Hof im 16. und 17. Jahrhundert und der besonderen Situation Russlands zwischen Orient und Okzident. Aufgrund der geopolitischen Lage Russlands zwischen Europa und Asien aber auch wegen des politischen und kulturellen Selbstverständnisses seiner Herrscher entwickelte sich der Moskauer Kreml von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum beginnenden 18. Jahrhundert zu einem Kreuzpunkt der Weltkulturen. Italienische Baumeister hatten schon zuvor den Kreml als Synthese zwischen altrussischer Baukunst und italienischer Renaissance-Architektur zu einer Festung und Palastresidenz entwickelt, wie sie eines Renaissancefürsten würdig gewesen wäre. Das Beste, was Europa und Asien zu bieten hatte, wurde hier gehandelt, aufgenommen, bewahrt und schließlich auch für eigene handwerkliche Schöpfungen adaptiert. Dabei orientierten sich Kunstgeschmack und höfische Repräsentation am orientalischen Luxus mit dem Ziel, die Aura eines imaginären byzantinischen Kaisers wieder entstehen zu lassen. Zu sehen sind einzigartige Prunkwaffen, Dolche, Säbel, Rüstungen und Helme, reich verzierte Schabracken und Zaumzeug für Pferde, ein Schwelgen in kostbarsten Materialien und Edelsteinen, Gold in Hülle und Fülle, massiv, als Tauschierung oder in Form von Goldfäden in prachtvollen Gewändern. Und wir sehen hier nicht etwa, wie sonst häufig in westlichen Museen und Sammlungen Kriegsbeute aus den Türkenkriegen, sondern Auftragsarbeiten des russischen Hofes, ausgeführt von den besten Waffenschmieden und Juwelieren der Istanbuler Hofwerkstätten und natürlich diplomatische Geschenke orientalischer Potentaten und Gesandter als Zeugnis jahrhundertelanger friedlicher Kontakte. Besonders hervorzuheben sind reich mit Goldtauschierung und Edelsteininkrustation verzierte Gefäße aus Kristall und Nephrit. Persische Waren schließlich machen deutlich, dass spätestens seit der osmanischen Eroberung von Konstantinopel der Handelsweg von Europa nach Persien über Moskau und das Wolgabecken sicherer und billiger war als die traditionelle Route durch Kleinasien. Goldarbeiten aus der Safawidenzeit, persischer Samt und Brokat, Waffen und Rüstungen aus Bulatstahl sind Belege für die Wertschätzung dieser Preziosen in der Schatz- und Rüstkammer des Zaren und für Moskau als Handelszentrum für persische Waren. Der berühmte Diamantenthron, in Persien im 16. Jahrhundert für Zar Alexej Michailowitsch Romanow gefertigt, vereint Elefanten als östliche Symbole der Zarenmacht mit christlichen Heiligen und Engeln. In einem letzten Kapitel werden Prunkwaffen, Paraderüstungen sowie Gold und Silberarbeiten, diese häufig verziert mit Email und Niello, aus den Werkstätten des Kreml gezeigt. Sie zeigen, wie am russischen Hof des 16. und 17. Jahrhunderts osmanische und persische Einflüsse im Verein mit europäischer Kultur zu einem repräsentativen, spezifisch russischem Stil verschmolzen, aus dem herrlich geformte Gegenstände aus wertvollen Materialien mit einzigartigen Dekoren hervorgingen. Ausstellung und Buch sind ohne Einschränkung sehens- und lesenswert.