Märchen Miniaturen Minarette – Eine Kulturgeschichte der islamischen Welt

Autor/en: Peter Heine
Verlag: Primus Verlag
Erschienen: Darmstadt 2011
Seiten: 240
Ausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
Preis: € 49,90
ISBN: 978-3-89678-855-9
Kommentar: Michael Buddeberg, Dezember 2011

Besprechung:
Die erste sowohl zeitlich als auch geographisch umfassende Kulturgeschichte der islamischen Welt, wie der Klappentext großspurig verheißt, ist das natürlich nicht. Zwar spannt sich der zeitliche Bogen von der klassischen Periode des Islam, seiner eigentlichen Blütezeit vom 8. bis zum 13. Jahrhundert, bis heute und bezieht über die Kernländer des Islam hinaus auch Afrika sowie Süd- und Südostasien mit ein, jedoch beschränkt sich die Darstellung auf die Bereiche Literatur und Musik, Bildende Kunst und Architektur und schließt mit einem Kapitel über Textilien und Teppiche. Andere kulturelle Phänomene wie die Kochkunst, das Recht, der Sport in der islamischen Welt, die darstellende Kunst und schließlich das weite Feld des für das Erscheinungsbild des Islam so wichtigen Bereichs der angewandten Kunst werden – sieht man von der Textilkunst einmal ab – nicht behandelt. Mit einem kurzen Hinweis auf eine „Vielfältige Kleinkunst“, wird die materielle Kultur aus Keramik, Glas, Metall, Holz, Bergkristall und Elfenbein, Materialien also, aus welchen islamische Kunsthandwerker unvergleichliche Werke der Weltkunst geschaffen haben, ausgeklammert. Doch die genannten Kernbereiche islamischer Kultur werden vom Autor, einem emeritierten Professor für Islamwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin, kenntnisreich, souverän und sprachlich in so flüssiger und eleganter Art und Weise vorgetragen, dass es ein Vergnügen ist, das Buch oder auch nur einzelne der Kapitel zu lesen. Freilich ist es keine Lektüre für den ausgewiesenen Kenner der Materie; dafür sind etwa die islamische Literatur mit allen ihren thematischen Verästelungen oder die Architektur und ihre vielfältigen geographisch und klimatisch bedingten lokalen Besonderheiten viel zu komplex, und es gibt hier natürlich weiterführende und hervorragende Monographien (ein Verzeichnis mit Hinweisen auf diese Literatur fehlt allerdings), aber als Einstiegslektüre, die neugierig macht auf ein vertieftes Studieren und Kennenlernen, kann man es kaum besser machen. Dazu gehört vor allem, dass ein umfangreiches, einleitendes Kapitel mit den Grundlagen des Islam vertraut macht, mit seiner Geschichte von den ersten Offenbarungen des Propheten Muhammad bis in die heutige Zeit, die vor allem durch die Auseinandersetzung mit der politischen und ideologiebestimmten Seite des Islam geprägt ist. Die dogmatischen und rituellen Besonderheiten des Islam, die Spaltung in Sunniten und Schiiten, Sonderformen wie Drusen, Aleviten und volksreligiöse Phänomene werden hier ebenso erklärt wie islamisches Recht, die Ideen der Mystiker oder die fundamentalen Bedeutungen der Pilgerfahrt nach Mekka und des Fastenmonats Ramadan. Von den Kapiteln über die im einzelnen behandelten Bereiche islamischer Kultur sei hier die Literatur beispielhaft erwähnt. Von vorislamischer Poesie über den Koran als nicht nur religionsstiftendes sondern auch als literarisches Dokument bishin zu dem Nobelpreisträger für Literatur des Jahres 2006, dem Türken Orhan Pamuk, spannt sich die Thematik. Dichtung und Poesie, die in literarisch versteckter Form auch Tabuthemen wie den Alkoholgenuss und die Homosexualität aufgreifen und die großen Epen der islamischen Welt, die Werke der persischen Dichter Ferdosi und Nizami, die dank ihrer meisterhaften Form und sprachlichen Eleganz zur unvergänglichen Weltliteratur gehören, werden ebenso behandelt wie die wichtigen Bereiche naturwissenschaftlicher und historiographischer Schriften bis hin zu Biographien und Reisebeschreibungen. Auch rein weltliche Lektüre, etwa die vor allem im Westen berühmt gewordenen Märchen aus Tausendundeiner Nacht, die, wie alle Belletristik, im Lande ihrer Entstehung zum Opfer überkritischer islamischer Zensoren wurden, findet die ihr gebührende Beachtung. Dieser Streifzug durch die Literatur führt tief hinein in die islamische Welt und offenbart darüber hinaus eine einzigartige Buch- und Schreibkultur. Mit ihr und den Stichworten Kalligraphie und Miniatur ist das Kapitel über die Bildende Kunst angesprochen, das mit den Themen Bilderverbot, Arabeske und Ornament auch schon die wichtigsten Gestaltungselemente islamischer Architektur vorwegnimmt. Bedauerlich nur, dass der Reichtum an Informationen, der sich in den Schlusskapiteln über Musik und Textilien fortsetzt – allein die Teppichkultur wird mit dem Exkurs über den Gebetsteppich etwas stiefmütterlich behandelt – nicht durch Indices erschlossen wird. Das Buch ist textbegleitend großzügig illustriert und kann als Einstiegslektüre für die islamische Welt durchaus empfohlen werden.

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