Orient – Impressionen aus Tausendundeiner Nacht

Autor/en: Olivier Föllmi
Verlag: Knesebeck Verlag
Erschienen: München 2009
Seiten: 288
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: € 49.95
ISBN: 978-3-86873-125-5
Kommentar: Michael Buddeberg, Oktober 2009

Besprechung:
Die erste Begegnung mit Föllmis neuem Buch ist durchaus zwiespältig. Wundervolle Fotos zwar doch zu groß (37×29 cm), zu schwer (fast sieben Pfund) und ein Thema, das Klischees beschwört. Was ist das eigentlich, der Orient, fragt man sich und findet beim Blättern nur die Lexikonweisheit bestätigt, dass es eine allgemeingültige Definition, eine räumliche Abgrenzung des Orients nicht gibt. Wo der Orient liegt, hängt vom Betrachter ab, meint Föllmi und nennt Kriterien, Orte, Dinge und Verhaltensweisen, die sein Orient sind: Minarette, Esel, Kamele und Wasserpfeifen gehören dazu und die Gewohnheit des Teetrinkens. Erst dort, wo das Yak an die Stelle des Kamels tritt und man Tee mit Butter trinkt, wird Allah von Buddha und Shiva abgelöst und erst dort verlässt man den Orient. Die Anspielung ist klar: In einem entlegenen Himalaya-Tal, in Zanskar, fand Olivier Föllmi einst seinen Lebensmittelpunkt und seine Berufung als Globetrotter, Fotograf und Botschafter der Menschlichkeit. Mit diesen unvergessenen Bildern und Geschichten über eine buddhistisch geprägte, nomadische Gesellschaft oder etwa der Reportage über die winterliche Begehung des zugefrorenen Zanskar-Flusses, hat Föllmi eine Messlatte gesetzt und eine Form geschaffen, die alle seine Bücher, auch „Orient“, auszeichnen. Es ist eine sehr persönliche und durch Erfahrungen und Erlebnisse mit Menschen geprägte Sicht auf das Thema, ein Mosaik von Begebenheiten und Eindrücken, aus denen sich Bilder von Landschaften, Ländern und Kulturen formen. Und so sind auch seine Bilder. Föllmi liebt das Detail, den Ausschnitt, er hat ein Auge für Momente und für Dinge, die andere übersehen. Seine Fotos, etwa der Lutfollah-Moschee in Isfahan, der Hagia Sophia in Istanbul oder der Fassade des Schatzhauses in Petra unterscheiden sich meilenweit von den üblichen Ansichten und öffnen den Blick für das Wesentliche. Und ganz besonders gilt dies für seine Bilder von Menschen. Marktszenen, Handwerker in der Souks von Marrakesch und Istanbul, ein koptischer Mönch in einem ägyptischen Kloster, zauberhafte Kinderbilder und immer wieder eindrucksvolle Portraits – und Hände. Hände, deren Alter, ihr Schmuck oder kunstvolle Bemalung, der Stoff auf denen sie ruhen oder was sie halten, können ebenso beredt sein wie das Portrait einer verschleierten Frau, von der nur die Augen zu sehen sind. Orient – das ist in Föllmis Buch die Welt des Islam von Marokko bis in den Iran, der Fischereihafen von Essaouira, palmenumsäumte Seen in der libyschen Wüste, Fayenceschmuck von Moscheen in Isfahan, Boote auf dem Nil bei Assuan und Gebirgsdörfer im Jemen. Wir blicken in einen Bürgerpalast im alten Kaschan, erleben in Sana´a eine der außergewöhnlichsten Stadtlandschaften der Welt, eine Speicherburg im libyschen Bergland und großartige landschaftliche Höhepunkte im Hohen Atlas und in den Felsschluchten Jordaniens. Orient – das ist in Föllmis Buch aber auch die Auseinandersetzung mit den drei großen Weltreligionen, die hier entstanden sind und vor allem eine aktuelle Bestandsaufnahme des Islam. Istanbul ist hier zu nennen, seine christliche Vergangenheit als Byzanz und die schwindende griechisch-orthodoxe Präsenz, vor allem aber Jerusalem, die Stadt, wo die höchsten Heiligtümer der Juden, der Christen und des Islam nebeneinander stehen, Klagemauer, Grabeskirche und Felsendom. Die Botschaft Föllmis über das wahre Wesen des Islam, seine Menschlichkeit, Friedfertigkeit und Toleranz, gipfelt in dem frommen, freilich utopischen Wunsch, Jerusalem zu einem Heiligtum des Friedens zu erklären. Doch zurück zum Buch: Die anfängliche Kritik zu Format und Gewicht ist zu revidieren. Nehmen Sie einen stabilen Tisch und sich Zeit. Nehmen Sie die Unart der Trennung von Bildteil und Legenden als eine Tugend und blättern Sie hin und wieder her und wieder hin. Lassen Sie sich einfangen von dem Zauber und der Schönheit der postergroßen Bilder und wechseln Sie zu den Texten, die weit mehr sind als bloße Bildlegenden und eine Fülle von aktuellen und wissenswerten Informationen enthalten. Und lesen Sie das persönliche und weise Vorwort von Olivier Föllmi und von der Herzlichkeit, Gastfreundschaft und Großzügigkeit, die er von Menschen im Orient erfahren hat. Olivier Föllmi hat zusammen mit seiner Frau Danielle die Organisation HOPE zur Förderung der Bildung in dieser Welt gegründet. Hierfür, für ihren kontinuierlichen und persönlichen Einsatz, für die Kreativität, mit der sie Außergewöhnliches vollbracht haben mit dem Wunsch, es in welcher Form auch immer in den Dienst der Menschheit zu stellen, wurden sie von der Société d´Encouragement au Progrès ausgezeichnet – auch für die vielen Bücher, die sie gemacht haben. So gesehen nicht nur ein schönes, sondern auch ein positives, wichtiges und nützliches Buch.

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