Istanbul – Metropole zwischen den Welten

Autor/en: Kai Strittmatter
Verlag: Knesebeck Verlag
Erschienen: München 2008
Seiten: 208
Ausgabe: Fester Einband mit Schutzumschlag
Preis: € 49.95
ISBN: 978-3-89660-555-9
Kommentar: Michael Buddeberg, September 2008

Besprechung:
„Istanbul ist so schön. Aber früher war´s halt noch schöner“, sagt Orhan Pamuk und so erzählen seine Bücher von einer Stadt, die es nicht mehr gibt. In seinem neuen Roman „Museum der Unschuld“ errichtet Füsün ein Museum von Erinnerungen, um Kemal, seine Geliebte, zurückzugewinnen, während Orhan Pamuk genau dieses im Roman beschriebene Museum in einem kleinen alten Haus im Stadtviertel Cukurcuma einrichtet. Man wird es bald besuchen können. Es wird ein liebenswerter, nostalgischer und nachdenklicher Platz werden in einer Stadt, die vor Vitalität birst, die ihr Gesicht alle paar Jahre ändert und deren Stadtpläne und Touristenführer so rasch veralten wie nirgendwo sonst. Kai Strittmatter, Auslandskorrespondent der Süddeutschen Zeitung, lebt seit 2005 in Istanbul und unternimmt mit seinem Buch den Versuch, den eingangs zitierten Satz von Orhan Pamuk zu widerlegen. In 14 konzentrierten Essays von hinreißender journalistischer Qualität, fotografisch grandios in Szene gesetzt von dem Schweizer Fotografen Reto Guntli, beschwört Strittmatter die landschaftliche, architektonische, intellektuelle und spirituelle Schönheit des Istanbul dieser Tage und schlägt einen Bogen von Byzanz über Konstantinopel bis zur 15-Millionen-Metropole von heute. Die Karriere von Sinan, dem Sohn eines christlich-armenischen Schreiners aus Kappadokien, der, zunächst ein Opfer der Häscher des Sultans nach schönen und begabten Knaben, unter Süleyman dem Prächtigen zum begnadeten Baumeister wurde und dessen Moscheen, Badehäuser, Brunnen, Paläste und Brücken bis heute das Stadtbild prägen und dessen Süleymaniye (Blaue Moschee) gar zum Wahrzeichen Istanbuls wurde, ist eine dieser Geschichten. Eine andere erzählt von dem Baumwollträger in Adana, der eines der großen türkischen Familienimperien schuf, eine der Istanbuler Universitäten stiftete und dessen prächtige Familienvilla hoch über dem Bosporus heute das Sacip Sabanci Museum, eines der schönsten Museen Istanbuls ist, in dem Bilder von Picasso oder türkische Teppiche aus europäischen Sammlungen Brücken zwischen Ost und West schlagen. Wir lesen von den Roma-Musikern aus dem alten Stadtviertel Sulukule, in dem vor noch gar nicht langer Zeit die Bärenführer, Wahrsager und Magier zu Hause waren, und dass sie heute ihre Musik nicht mehr aus Freude, sondern aus Trauer machen weil das ganze Viertel abgerissen werden soll. In einem anderen Viertel, Beyoglu, das einst von Griechen und Armeniern beherrscht wurde, regieren heute Fastfood-Ketten und Einkaufs-Malls und sind die Türken so europäisch wie nirgendwo sonst und doch sind auch hier noch Spuren aus alter Zeit zu finden, sephardisch-jüdische Buchhändler etwa, die noch immer in Galata ihre Antiquariate betreiben, das Pera-Palas-Hotel, in dem einst die Gäste des Orient-Express, Mata Hari, Greta Garbo und Agatha Christie abstiegen, oder das benachbarte „Grand Hotel de Londres“, dem der Autor gnädig attestiert, es sei „in Würde gealtert“. Auch die berühmte Meyhane ist dort zu finden wo seit jeher Raki mit einem Universum kalter und warmer Vorspeisen serviert wird. Strittmatter erzählt von skurrilen und manchmal etwas verrückt erscheinenden Menschen, von dem Modeschöpfer Ümit Ünal, der sich auf Karl Valentin beruft und damit internationalen Erfolg hat oder von Kemal Özkan, dem es gelungen ist, die traditionelle Beschneidungszeremonie in eine zirkusartige Inszenierung zu verwandeln und sich vor Aufträgen nicht retten kann. Aber auch über eindrucksvolle Persönlichkeiten wird berichtet, über Pater Dositheos, den Patriarchen der orthodoxen Kirche, einem der letzten Griechen in der Stadt und doch Herr über 300 Millionen orthodoxe Christen weltweit, und über Gülsefa Uygur, eine Frau, die in der Moschee für Frauen predigt, in einem Land, in dem immer noch viele glauben, eine Frau könne nur dann in den Himmel gelangen, wenn ihr Mann die Erlaubnis dazu erteilt. Man erfährt, warum die Galata-Brücke fast rund um die Uhr von Anglern besetzt ist, warum die türkische Regierung Musik-CDs für ausländische Staatsgäste ausgerechnet bei einem Kurden bestellt, dass die alten Holzvillen am Bosporus heute zu den teuersten Immobilien der Welt gehören und vieles vieles mehr. Am Ende findet sich auch eine Liste von Adressen von Restaurants, Museen, Moscheen, Cafés und anderen im Buch erwähnten Plätzen, und damit ist abschließend festzustellen: Eine bessere und anregendere Vorbereitung einer Reise nach Istanbul ist kaum vorstellbar, gleichgültig, ob man als Kenner oder Neuling diese Reise antreten möchte. Mit diesem Buch gelingt, was Reiseführer niemals schaffen: Man liest es mit dem größten Vergnügen und wirklichem Gewinn und meist noch in einem Zuge von vorne bis hinten durch.

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