Von Istanbul bis Mogulindien – Meisterwerke aus der Sammlung des Museums für Angewandte Kunst Frankfurt

Autor/en: Martina Müller-Wiener
Verlag: Museum für Angewandte Kunst
Erschienen: Frankfurt 2008
Seiten: 112
Ausgabe: Klappenbroschur
Preis: € 16.– (an der Museumskasse)
ISBN: 3-88270-115-3
Kommentar: Michael Buddeberg, August 2008

Besprechung:
Nicht wenige der 60 Meisterwerke islamischer Kunst, etwa ein iranisches Seidenfragment aus dem 16. Jahrhundert, zeigen figürliche Darstellungen und so stellt sich rasch die Frage, was es eigentlich mit viel zitierten Bilderverbot, das oft als ein Grundprinzip islamischer Kunst und Kultur angesehen wird, auf sich hat. Die Antwort fällt schwer. Sicher ist, dass der Koran nichts dergleichen enthält und dass das, was man als ein allgemeines Bilderverbot interpretieren könnte, erst viele Jahre nach dem Tode des Propheten niedergeschrieben wurde. Und es mag wohl sein, dass die Dominanz und Raffinesse von Ornament und floralem Dekor, zu beobachten vor allem in der Architektur, oder die Bedeutung und Wertschätzung der Kalligraphie als eine der wichtigsten Kunstformen des Islam ihren Ursprung in dieser Bilderfeindlichkeit haben. Bezieht man aber die islamische Buch- und Miniaturmalerei mit in die Überlegung ein, wird das Ganze rätselhaft. Persische und indische Miniaturen, insbesondere aus ihrer Blütezeit vom 14 bis ins 16. Jahrhundert sind Höhepunkte erzählender figurativer Darstellung und sie gehören ohne Zweifel zu den schönsten Äußerungen islamischer Kunst. Die Lebendigkeit und Ausdrucksstärke der in diesen Miniaturen dargestellten Menschen, gleichgültig, ob es sich um Fürsten handelt, umgeben von ihrem Hofstaat oder auf der Jagd, um Prinzessinnen mit ihren Dienerinnen, um Musikanten, Handwerker, um einfache Menschen oder um die Natürlichkeit und Schönheit dargestellter Tiere, machen sie zu unübertroffenen Schätzen islamischer Malerei. Dieses Paradoxon, das Bilderverbot und seine vielfache Durchbrechung in der islamischen Kunst ist Thema eines der vier, den Katalog der neuen Dauerausstellung im Frankfurter Museum für Angewandte Kunst begleitenden Essays von Martina Müller-Wiener. Eine letztgültige Antwort, wie mit dem Widerspruch umzugehen ist, findet man auch hier nicht; es wird sie wohl auch nicht geben. Immerhin stellt die Autorin fest, dass es einen generellen islamischen Ikonoklasmus nicht gibt und dass bilderfeindlichen Phasen auch stets Epochen ausgeprägter Bilderfreude gegenüberstehen. Es sei wohl ein Spezifikum islamischer Denkweise, dass auf einer Vielzahl von Ebenen synchron voneinander abweichende Haltungen vertreten werden können. Das Sakrale und das Profane sind solche Ebenen, deren Trennung im Islam eigentlich nicht angelegt ist, die sich aber in der Frage des Bilderverbots deutlich offenbart, wie Auftragsarbeiten muslimischer Herrscher für diese verschiedenen Bereiche immer wieder zeigen. Die hohe Qualität der 60 Meisterwerke aus dem Frankfurter Museum legt nahe, dass wir hier zu einem gut Teil solche Auftragsarbeiten von hoher Hand bewundern können. Das Frankfurter Museum für Angewandte Kunst, gegründet im ausgehenden 19. Jahrhundert, hat von Anfang an Kunstgewerbe des Vorderen Orient gesammelt; der Schwerpunkt der Erwerbungen liegt jedoch im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts. Nicht in der Quantität wohl aber im hohen Rang der Arbeiten aus Keramik, Glas und Metall, der Teppiche und Textilien, Juwelen und Waffen, Buchkunst und Kalligraphie, vermag Frankfurt mit den großen Museen und Sammlungen in London, New York und – neuerdings – auch auf der Arabischen Halbinsel mitzuhalten. Ganz besonders aber gilt dies für den Katalog von Martina Müller-Wiener, der neben dem schon erwähnten Essay über „Ornament, Kalligraphie und Bilderverbot“ unter dem Titel „Islamische Kunst –Historische Dimension eines Phänomens“ nicht nur eine Kunstgeschichte der islamischen Welt vom 7. bis zum 17. Jahrhundert enthält, sondern sich vertieft mit der sich stets wandelnden Rezeption dieser Kunst in Europa vom 19. Jahrhundert bis in die jüngste Zeit befasst. In dem Beitrag über die „Objektkultur als Kommunikationskultur“ offenbart die Autorin nicht nur tiefes Wissen und Verständnis islamischer Kunst und Kultur, sondern auch intellektuelle Fabulierkunst, wenn sie am Beispiel der Textilien und der höfischen Etikette die Entstehung, Bedeutung und Funktion einer Objektkultur darstellt, wie also eigens für zeremonielle Zwecke hergestellte Luxustextilien gleichermaßen Gebrauchsgegenstände und Accessoires sind, die im Kontext einer nonverbalen Kommunikation als Ausdrucksmittel fungieren. Die Präsentation in Ausstellung und Katalog ist also nur letztes Glied in einer Kette, in der die Objekte als Schaustücke inszeniert werden, als die sie ursprünglich gedacht und gemacht wurden. Es ist ein Vergnügen, diese klugen Texte zu lesen.

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