Tulpen Kaftane und Levni – Höfische Moden und Kostümalben aus dem Topkapi Palast Istanbul

Autor/en: Deniz Erduman-Calis
Verlag: Museum für Angewandte Kunst und Hirmer Verlag
Erschienen: Frankfurt und München 2008
Seiten: 304
Ausgabe: Klappenbroschur
Preis: € 39.90 (an der Museumskasse: € 24.50)
ISBN: 978-3-7774-6045-1
Kommentar: Michael Buddeberg, November 2008

Besprechung:
Mit der Eroberung Konstantinopels im Jahre 1453 durch den Osmanen Fatih Sultan Mehmed begann in diesem Teil der Welt eine neue Epoche. Ein Weltreich begann sich zu formen und in nur wenigen Jahrzehnten war in Istanbul ein Weltzentrum an Macht und militärischer Stärke entstanden. Aber nicht nur das: Die Prachtliebe Sultan Mehmets gab der Kunst, Architektur und dem Kunsthandwerk ungeahnte Impulse. Mehmet holte zur Ausschmückung seines 1465 begonnenen Topkapi Palastes nicht nur die europäischen Maler Bellini und Ferrara an seinen Hof, sondern er umgab sich mit allem, was kostbar und teuer war. Chinesisches Porzellan, exotische Seiden, glänzender Marmor, Gold und Silber aus aller Herren Länder gaben Zeugnis von Macht und Status. Die besten Kunsthandwerker des Reiches wurden in die Manufakturen und Palastwerkstätten geholt, um dort repräsentative Kunst- und Gebrauchsgegenstände zu fertigen. Auf der Grundlage von Ideen, Vorbildern und Vorlagen entwickelte sich ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts rasch ein eigenständiger osmanischer Dekorationsstil, der alle Bereiche des Kunsthandwerks erfasste und der im Laufe des 16. Jahrhunderts, gleichzeitig mit der größten Ausdehnung des Reiches, seine Blütezeit erreichte. Charakteristisch für diesen Stil war die Vorliebe für große Formen, eine klare Gliederung der Komposition nach symmetrischen Gesichtspunkten, die Verwendung von leuchtenden, reinen Farbtönen und die allgegenwärtige Präsenz von Blumen aller Art in naturalistischer Darstellung. Die Ausstattung von Palästen und Moscheen mit Keramik aus Iznik ist hierfür ein Beispiel ebenso wie die für die kaiserlichen Kaftane in Bursa und Istanbul gewebten Seidenstoffe. Ein wohl für einen Sohn Süleymans des Prächtigen um die Mitte des 16. Jahrhunderts gefertigter Zeremonialkaftan, dessen Stoff auf einer Länge von etwa zwei Metern keine einzige Wiederholung aufweist, offenbart einen künstlerischen und technischen Höhepunkt, einen Aufwand an Zeit und meisterlichem Können, wie er nie wieder erreicht worden ist. Wie aus freier Hand gezeichnet streuen sich auf schwarzem Grund Granatäpfel, Lotus- und Kompositblüten, begleitet von geschwungenen Lanzettblättern, in einer raffinierten Farbpalette mit dominantem Rot und Gold. Die Blüten und Blätter wirken nicht komponiert, sondern eher wie zufällig hingestreut. Gefiederte Blätter verzweigen und kreuzen sich, andere verdecken sogar große Teile von kleineren Blüten. Dieser Kaftan, man kann es nicht anders sagen, ist einer der Höhepunkte der osmanischer Kunst. In der Ausstellung über 500 Jahre osmanischer Kostümgeschichte im Museum für Angewandte Kunst in Frankfurt (bis zum 11.01.2009) ist er leider nicht zu sehen, wohl aber in dem schönen und reichen Katalogbuch. Es ist ein wohl einmaliger und durch die Gastrolle der Türkei auf der Frankfurter Buchmesse begünstigter Glücksfall, dass das Topkapi Museum Schätze aus seinem einzigartigen textilen Depot auf Reisen schickte. Dem von Sultan Mehmet begründeten und bis in die letzten Tage des Osmanischen Reiches fortgeführten Brauch, die Kleidung eines verstorbenen Sultans sorgfältig in den Schatzkammern zu verwahren und zu pflegen, ist es zu verdanken, dass das Topkapi Sarayi Müzesi in Istanbul 1550 Bekleidungsstücke und Accessoires, darunter allein 500 Kaftane und dazu gehörende Untergewänder besitzt. Bei der für Frankfurt getroffenen Auswahl mag man bedauern, dass nur wenige der großartigen Kaftane aus dem 16. Jahrhundert die Reise angetreten haben, doch dafür entfaltet sich ein bunter Reigen unterschiedlichster Kleidungsstücke für Männer, Frauen und Kinder durch mehrere Jahrhunderte, reichlich garniert mit Accessoires wie Kopfbedeckungen, Schuhe, Kämme, Gürtel, Schlüsseltäschchen, Schärpen und Spiegel bis zum Schmuck für Ohren, Hand und Turban. An den wenigen erhaltenen Frauengewändern – eine Sultanin, deren Kleider man nach ihrem Tod achtungsvoll verwahrt hätte, hat es ja nie gegeben – lässt sich die modische Entwicklung im Osmanischen Reich am besten ablesen. Nach einer Zeit des Niedergangs im 17. Jahrhundert – mit dem Verfall politischer Macht schwanden auch Reichtum und Luxus – gab es im 18. Jahrhundert eine gewisse Wiederbelebung der Bekleidungs- und Textilkultur. Es war eine Zeit des Friedens, der Prosperität und der Verehrung der Tulpe, die Zeit der „Tulpenmanie“. Und es war eine Zeit als sich unter zunehmenden fremden Einfluss aus Europa und dem Iran die typisch osmanischen Muster wandelten. Sie wurden kleinteiliger, Streifen kamen in Mode und die Verzierung mit Goldstickerei gewann an Bedeutung. Im 19. Jahrhundert schließlich war Europa noch näher gerückt und Pariser Modetrends wurden mehr und mehr bestimmend. Das 20. Jahrhundert und Atatürk sorgten, jedenfalls in den Städten, für eine weitere modische Annäherung an Europa. Heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts leistet die Türkei einen konstruktiven Beitrag zum aktuellen, internationalen Modedesign, wie dem abschließenden Essay des Kataloges entnommen werden kann. Damit beschreibt das Buch ganze 500 Jahre türkischer Modeentwicklung und weitere Beiträge – insgesamt sind es 11 Essays – befassen sich mit dem Zunftwesen, den besonderen modischen Gebräuchen bei Trauerfeiern und Thronbesteigungen, höfischen Kopfbedeckungen, dem Wandel der Kleidervorschriften, dem Schnitt des Kaftans und dem angesehenen Stand der Schneider. In dem zentralen Beitrag der Herausgeberin und Kuratorin werden osmanische Kostümgeschichte und Textiltradition behandelt, wir lesen über Samt, Lampas und Seraser, das kostbarste Gewebe aus Gold- und Silberfäden, über die technisch wohl ungemein anspruchsvollen aber leider in keinem Exemplar erhaltenen Zugwebstühle, über erstaunliche Parallelen zwischen den Keramiken aus Iznik und den Seidenstoffen und dass viele der osmanischen Muster ihren Ursprung in der chinesischen Kunstgeschichte haben. Ein Höhepunkt von Katalog und Ausstellung sind schließlich die Miniaturmalereien des Hofmalers Abdülcelil Levni aus dem frühen 18. Jahrhundert. Ganzkörperportraits des Sultans und hoher Würdenträger zeigen sie im Glanz ihrer Waffen und pelzverbrämten Kaftane, vor allem aber sehen wir bezaubernde Frauen in farbenfrohen, musterreichen Kleidern, Jacken und Unterkleidern, transparenten Hemdchen und allerlei modischen Accessoires und dürfen damit einen Blick in den von Eunuchen stets gut bewachten Harem werfen, der zeitgenössischen europäischen Besuchern versagt blieb. Das Buch macht bewusst, dass Textilien und Kleidung in fast allen Kulturen – nicht nur bei den Osmanen – eine bedeutende Rolle als Symbol für Macht, Prestige und Reichtum gespielt haben. Ihre Vergänglichkeit lässt das manchmal vergessen.

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