Eothen IV

Autor/en: Werner Joseph Pich, Max Leonhard (Hrsg)
Verlag: Gesellschaft der Freunde Islamischer Kunst und Kultur – Scaneg Verlag
Erschienen: München 2007
Seiten: 464
Ausgabe: Softbound
Preis: € 75.–
ISBN: 978-3-89235-224-2
Kommentar: Michael Buddeberg, Juli 2007

Besprechung:
Alexander William Kingslake (1809-1891, ein schottischer Historiker, Politiker und Schriftsteller, veröffentliche im Jahre 1844 in London seine sehr persönlich gehaltenen Reisererinnerungen an eine Reise durch den Vorderen Orient. Ihr Titel war „Eothen, or traces of travel brought home from the East“. Eothen ist schlicht mit „aus dem Orient“ zu übersetzen und so gesehen ist der Titel der in lockerer Folge von der Münchner Gesellschaft der Freunde Islamischer Kunst und Kultur herausgegebenen Jahrbücher durchaus zutreffend wenn auch recht allgemein. Vielleicht waren es ja die von A.W.Kinglake im Untertitel erwähnten „Spuren“, die zur Wahl dieser Bezeichung führten, denn Eothen berichtet von Spuren, die anderthalb Jahrtausende islamischer Kunst und Kultur im Orient und im Okzident hinterlassen haben. Und wie das so ist mit Spuren, sie verlaufen in alle möglichen Richtungen, sie kreuzen und überschneiden sich, manche sind undeutlich und nur schwer zu entschlüsseln und wieder andere führen zu neuen Erkenntnissen und Zielen. Die Vielfalt der zwanzig Beiträge in Eothen IV ist mit diesem Bild gut umrissen und so decken die Themen ein breites Spektrum islamischer Kunst und Kultur ab, von Astronomie, Architektur und Amulettwesen über Fotografie, Kalligraphie und Kunstgewerbe bis hin zu Numismatik, Schmuck, Textilien und Trachten. Eothen ist eine Sammlung von meist überarbeiteten und auf den neusten Forschungsstand gebrachten Vorträgen, die namhafte Wissenschaftler und Spezialisten ihres jeweiligen Fachgebietes in den Jahren 1997 bis 2005 vor der Münchner Gesellschaft der Freunde Islamischer Kunst und Kultur gehalten haben. Diese seit fast 20 Jahren bestehende Gesellschaft leistet mit den fast monatlich stattfindenden Vorträgen und vor allem mit deren Veröffentlichung in Eothen einen immens wertvollen Beitrag zum Wissen um islamische Kunst und Kultur. Ein Gang durch den Inhalt, der natürlich nur ganz oberflächlich sein kann, soll das vor Augen führen. Breiter Raum ist zunächst der Architektur gewidmet. Da ist vor allem die Hagia Sophia, die nach über 900jähriger Geschichte als christliche Basilika im Zuge der Eroberung Konstantinopels durch türkische Truppen zur Sultans- und Hauptmoschee des osmanischen Reiches wurde. Volker Hoffmann berichtet über die Islamisierung der Architektur dieses Monuments, die durch die Restaurierung des Schweizer Architekten Fossati in der Mitte des 19. Jahrhunderts ihren Abschluss fand. Doch damit nicht genug: Der Einfluss der Hagia Sophia auf die osmanische Moscheearchitektur wird in einem Vergleich mit der Süleymaniye Cami aufgezeigt (Wolf Koenigs). Kein Wunder also, dass sich auch Sinan, der Hofarchitekt Süleyman des Prächtigen, von dem byzantinischen Vorbild des Kuppelbaus hat beeinflußen lassen (Lioba Theis). Weitere, reich illustrierte Beiträge befassen sich mit einer hochgefährdeten Gruppe hölzerner Moscheen und Grabmäler in Nordpakistan (Max Klimburg) und mit der überaus phantasievollen und eigenständigen islamischen Architektur in Südostasien (Werner Kraus). Eine ganz spezielle Ausprägung islamischer Architektur findet sich schließlich in Bayern: Der maurische Kiosk im Schlosspark von Linderhof, der ehemalige Wintergarten in der Münchner Residenz und der türkische Saal im Schachenhaus unter der Alpspitze zeigen den romantisierenden Hang Ludwigs II zur islamischen Architektur und Kunst (Eva-Maria Troelenberg). Dass das kein Einzelfall war, ist in Annette Hagedorns Beitrag über den orientalischen Einfluss auf europäisches Kunstgewerbe im 19. Jahrhundert nachzulesen. Sehr viel früher, nämlich schon im 16. Jahrhundert, ist ein deutlicher türkischer Einfluss auf die polnische angewandte Kunst, vor allem auf die textile Produktion festzustellen (Tadeusz Majda). Bleiben wir in Europa. Die Wurzeln der bedeutenden Sammlung orientalischer Handschriften der Forschungsbibliothek Gotha reichen ebenfalls weit, nämlich in das 17. Jahrhundert zurück, bevor sie durch den Forschungsreisenden Ulrich Jasper Seetzen im frühen 19. Jahrhundert konsequent zu ihrer heutigen Größe und Bedeutung ausgebaut wurde (Hans Stein). Geographisch gleich in der Nachbarschaft findet sich mit dem Orientalischen Münzkabinett in Jena eine weitere bedeutende Sammlung, die von Stefan Heidemann vorgestellt wird. Das Grassi-Museum in Leipzig schließlich beherbergt die Sammlung von Philipp Walter Schulz, an der Reingard Neumann die Dekorentwicklung im qadscharischen Iran an prächtigen Sammlungsgegenständen aus Metall, Holz und Keramik darstellt. Der Einfluss islamischer Kalligraphie in Europa wird durch ein Kuriosum belegt: In vielen Dissertationen des 17. und 18. Jahrhunderts wurden, oft wohl als Beweis der Gelehrsamkeit ihrer Verfasser, kurze Botschaften und Weisheiten in arabischer Kalligraphie, insbesondere die Invokationsformel Basmala abgedruckt (Hartmut Bobzin). Aber auch in umgekehrter Richtung funktionierte der Kulturtransport, wie Roswitha Buchners schöner Beitrag über die Popularität und Verbreitung von Photographien im osmanischen Reich am Beispiel des levantinischen Photographen Pascal Sebah zeigt. Die in der Photographie so häufige Verbindung von Kunst und Technik spielt natürlich auch bei den im Mittelalter so beliebten Automaten eine Rolle. Sie waren an den orientalischen Höfen des 9. bis 13. Jahrhunderts nicht weniger beliebt als in Europa (Martina Müller-Wiener). Ein Brückenschlag zwischen dem Orient und Europa ist auch der Beitrag über die Astronomie, die ihre Wurzeln in Arabien hat und heute zu einer hier wie dort gepflogenen internationalen Wissenschaft geworden ist (Paul Kunitzsch). Ganz der materiellen islamischen Kultur sind die Beiträge über Schmuck und Textilien gewidmet. Während Amulette in allen Bevölkerungskreisen verbreitet waren – deren Sinngehalt klärt die eindrucksvolle Auswertung von Quellen im Beitrag von Newid/Vasegh Abbasi über das Amulettwesen im Iran – war der von Hans Weihreter vorgestellte Schmuck aus Gold, Emaille und edlen Steinen für indische Mogule und Rajputen bestimmt. Stickereien des Mittelmeerraumes (Christian Erber) und die über und über mit Fruchtbarkeitssymbolen verzierten Trachten turkmenischer Frauen (Hermann Rudolph) vermitteln einen Eindruck von der nahezu unendlichen Vielfalt ornamentaler und floraler Muster und Symbole im islamischen Kunsthandwerk und von der Kunstfertigkeit der Frauen und Mädchen, die diese Textilien und Kleider hergestellt haben. Von der diesseitigen materiellen Kultur in die geistige Welt des Islam führt dann Barbara Finsters schöner Aufsatz über Paradiesdarstellungen in der islamischen Kunst. Wir finden solche Darstellungen im Koran, in Miniaturen und Handschriften und vor allem in der Architektur, womit sich der Kreis wieder schließt. Eothen ist ein Kaleidoskop fundierten Wissens, ein Sammelwerk hoher Qualität mit brillanten Beiträgen namhafter Autoren. Doch Qualität hat ihren Preis. 75.- Euro sind eine Menge Geld. Mitglieder der Gesellschaft bekommen Eothen gegen eine Schutzgebühr fast geschenkt. Aber Mitglied kann man werden. Jederzeit! Näheres unter www.freunde-islamischer-kunst.de.

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