Die Welt des Orients – Kunst und Kultur des Islam

Autor/en: Matthias Pfaffenbichler (Hrsg)
Verlag: Kunsthalle Leoben
Erschienen: Leoben 2006
Seiten: 214
Ausgabe: broschiert
Preis: nicht mitgeteilt
ISBN: 3-9500840-0-8
Kommentar: Michael Buddeberg, August 2006

Besprechung:
Wenn in diesen Tagen zum Gedenken an den 250sten Geburtstag von Wolfgang Amadeus Mozart bei den Salzburger Festspielen „Die Entführung aus dem Serail“ aufgeführt wird, wird wohl kaum einer der Festspielgäste sich fragen, warum Mozart für seine Oper gerade dieses Thema aus dem Orient gewählt hat. Dabei ist es nahe liegend. Über Jahrhunderte hinweg hatte Österreich, hatten die Habsburg-Monarchie und das Osmanische Reich eine gemeinsame Grenze. Bewaffnete Konflikte waren die natürliche Folge, doch die gegenseitige kulturelle Beeinflussung war auf lange Sicht viel bedeutsamer. Weit mehr als durch die militärische Bedrohung übte das Osmanische Reich mit seiner reichen Kultur auf Österreich und damit auf Europa eine starke Faszination aus, die sich seit dem 16. Jahrhundert in immer wiederkehrenden Türkenmoden manifestierte. Die Entführung aus dem Serail ist so als ein ganz zeittypisches Stück zu sehen. Doch Österreichs Auseinandersetzung mit dem Orient beschränkte sich nicht nur auf Theater, Oper und Literatur. Mit der 1754 gegründeten Orientalischen Akademie in Wien, der ersten ihrer Art im Westen, begann auch eine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Orient. Das Sammeln orientalischer Artefakte hatte indes schon sehr viel früher begonnen. Herzog Rudolf IV von Österreich, genannt „der Stifter“ (1339-1365), hatte aus Syrien reich dekorierte mamlukische Glasgefäße nach Wien gebracht. Recht viel mehr weiß man von seiner Sammeltätigkeit nicht aber nach seinem Tode wurde er in einem kostbaren persischen Seidenbrokat beigesetzt, der – das weiß man heute – in den Hofwerkstätten von Täbriz für Abu Sa´id, den letzten der mongolischen Ilchan-Herrscher hergestellt worden war. Über weitere vielfältige politische und diplomatische Kontakte entwickelte sich Wien so zu einem bedeutenden Aufbewahrungsort islamischer Schätze, wozu auch manches Beutestück aus den militärischen Konflikten beigetragen hat. Die Wiener Museen, allen voran das Kunsthistorische Museum sind hierfür Beweis. Ein guter Teil dieser Schätze, ergänzt durch Stücke aus dem Stuttgarter Lindenmuseum und aus dem Nationalmuseum in Damaskus, über 250 an der Zahl, sind bis zum 1. November 2006 in der Kunsthalle in Leoben zu sehen. Ob von Wien, Graz, Salzburg oder Klagenfurt kommend, der Ausflug in die obersteirische Bezirkshauptstadt, die sich für ihre sorgfältigen Ausstellungen fremder Kulturen einen Namen gemacht hat, lohnt allemal. Die ausgestellten Objekte sind durchweg von hoher und höchster Qualität und vermitteln einen vollständigen Überblick über die wichtigsten islamischen Kunstformen, über Kalligraphie und Buchkunst, Keramik und Glas, Metallarbeiten, Textilien und Teppiche. Der zur Ausstellung erschienene Katalog führt mit seinen Texten noch weit darüber hinaus und kann fast als ein knappes, einführendes und reich illustriertes Standardwerk zur Kunst und Kultur des Islam angesehen werden. Hervorzuheben ist hier vor allem ein Essay von Ebba Koch (Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien) über die Kunst als Sprache des Islam. Ausgehend von der Frage, ob islamisches Kunstschaffen wirklich und in allen Fällen religionsbedingt ist, werden von Ebba Koch die wesentlichen islamischen Kunstformen, Schrift und Malerei, Ornament und Arabeske, angewandte Kunst mit dem Schwerpunkt der Metallbearbeitung und schließlich die Architektur, hier vor allem Sepulkralbauten, in einen Bezug zu islamischen Glaubensvorstellungen gesetzt, der manchmal überraschend ist. Während Kalligraphie und Buchkunst sich als islamische Kunst schlechthin erweisen – die Liebe zu Schrift und Büchern gehört wohl zu den am stärksten ausgeprägten kulturellen Eigenheiten der islamischen Welt -, stehen die Grabbauten und monumentalen Mausoleen in einem deutlichen Gegensatz zum religiösen Gesetz. Der zentrale Teil des Kataloges widmet sich nach der Darstellung der Vorgeschichte des Islam und des Lebens Mohammeds der Geschichte der islamischen Reiche. Von den Umaiyaden bis zu den Osmanen und Qadjaren wird die Abfolge islamischer Dynastien von Nordafrika bis Indien behandelt, bevor dann die Moschee und ihre Ausstattung, der islamische Glaube und die von ihm geprägte materielle Kultur, bestimmte islamische Kunstformen und schließlich die arabischen Wissenschaften zur Sprache kommen. Es waren islamische, vorwiegend arabische Denker, die sich um das antike europäische Erbe bemühten, die die griechische Philosophie und Wissenschaftsliteratur übersetzten und so vor dem endgültigen Vergessen bewahrten, und die sich mit Astronomie, Physik, Mathematik, Medizin und Geographie befassten. So wurde ein wissenschaftlicher Standard erreicht, der Europa jahrhundertelang übertraf. Abgesehen von vielen aus dem Osten übernommenen Produkten wie beispielsweise Kaffee, Zucker und Tulpen, ist dieser islamische Beitrag im Bereich der Wissenschaften für die moderne Welt wohl der bedeutendste. Ausstellung und Begleitbuch haben sich das Ziel gesetzt, aufzuklären und die Welt des Islam von dem Zerrbild zu befreien, das heute häufig von den Medien gezeichnet wird. Mit der Darstellung der unglaublichen Vielfalt und Schönheit islamischer Kunst und Kultur und nicht zuletzt mit einem Kapitel über „Krieg und Frieden“, das dem Expansionsdrang des Osmanischen Reiches seine Toleranz in religiösen Fragen gegenüberstellt, ist das glänzend gelungen. Die politische Gegenwart wird sich dadurch nicht ändern. Aber das ist ein anderes Thema.

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