Glass – From the Antecedents to European Imitations

Autor/en: Sidney M. Goldstein
Verlag: Nour Foundations and Azimuth Editions
Erschienen: London 2005
Seiten: 384
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschzlag im Leinenschuber
Preis: 135.– engl. Pfund
ISBN: 1-87478-050-1
Kommentar: Michael Buddeberg, April 2006

Besprechung:
Für die Kunstwissenschaft ist Glas ein schwieriges Thema. Seine Zerbrechlichkeit macht es selten. Inschriften, die etwas über Alter und Herkunft sagen gibt es so gut wie nie. Die Beweglichkeit der meist kleinen Objekte tut ein übriges, um die Bestimmung zu erschweren, denn häufig liegen Herstellungs- und Fundort weit auseinander. Zuverlässige wissenschaftliche Methoden der Altersbestimmung sind noch nicht gefunden. Die chemische Analyse ist aufwendig und in der Regel wenig aussagekräftig, denn die Ausgangmaterialien für die Glasschmelze, Sand, Soda und Kalk, gibt es fast überall. Immerhin weiß man aus Grabungen, dass die Wiege der Glaskunst im alten Orient gestanden hat. Auf alten Keilschrifttafeln und in der Bibliothek des Assyrerkönigs Assurbanipal (668-626) in Ninive fanden sich gar frühe Glasrezepte. Die Römer waren es dann, die sich ganz besondere Verdienste um das Glas erwarben. In ihrem Weltreich, genau genommen an der syrischen Küste, in der Region der Hafenstädte Tyros und Sidon, wurde um die Zeit von Christi Geburt die Glaspfeife entdeckt. Mit der Technik des Glasblasens begann der Siegeszug römischen Glases. Die Glashandwerker des römischen Reiches entwickelten und beherrschten schließlich alle Produktions- und Dekorationstechniken, die bis in das beginnende Industriezeitalter die Glasherstellung bestimmen sollten. Auch islamisches Glas, also Glas, das seit dem 8. Jahrhundert in den Ländern des Islam produziert wurde, ist ohne das römische Vorbild nicht denkbar. Ganz so weit allerdings holt Sidney Goldstein, der Hauptautor des neuesten Bandes der Khalili Collection nicht aus. Für ihn sind die unmittelbaren Vorläufer, aus denen sich dann die frühen islamischen Glasgefäße entwickelt haben sassanidische Glasarbeiten aus der Region des heutigen Irak und Iran. Der Übergang zum islamischen Glas aus der Frühzeit, das vom 7. bis zum 11. Jahrhundert datiert werden kann, ist dann fließend und mehr vom Können der Handwerker geprägt als von islamischen Glaubensvorstellungen. Erst im Mittelalter bilden sich spezifisch islamische Gefäßformen und vor allem Dekorationstechniken heraus. Allen voran sind dies die prachtvollen Becher, Flaschen und Moscheelampen aus dem Syrien und Ägypten des 13. und 14. Jahrhunderts. Sie sind, mit Gold und bunten Emaillefarben sowie mit figürlichen Darstellungen und Kalligraphie verziert, absolute Höhepunkte islamischer Glaskunst. Diese schon damals begehrten, kostbaren und bis nach Europa und sogar China exportierten Meisterwerke waren es, die im späten 19. Jahrhundert mit der Woge des Orientalismus europäische Glaskünstler wie Gallé in Nancy, Brocard in Paris oder die Firma Lobmeyr in Wien zu großartigen orientalisierenden Nachschöpfungen inspirierten, mit denen das Buch ausklingt. In dem großformatigen und – wie alle der auf insgesamt 27 Bände angelegten Reihe – edel ausgestatteten und gedruckten Buch werden knapp 350 Glasobjekte aus der Sammlung islamischer Kunst von Professor Nasser D. Khalili in Wort und Bild vorgestellt. Wie stets in dieser wohl weltweit größten Privatsammlung islamischer Kunst bestimmen hohe Qualität und bestmögliche Erhaltung den Charakter der Objekte. Fragmente, Scherben und Grabungsfunde sind selten und nur dann in die Sammlung aufgenommen, wo dies zur Darstellung ungewöhnlicher Dekorationstechniken unbedingt notwendig war. Dem Anspruch aller Khalili-Publikationen, einen vollständigen Überblick über das jeweilige Gebiet zu geben, hier also über das islamische Glas, wird auch dieses Buch in einer Art und Weise gerecht, die kaum zu übertreffen ist. Die perfekte Qualität der oft ganzseitigen Abbildungen, die ausführlichen Beschreibungen, Glossar und umfängliches Literaturverzeichnis, vor allem aber die wissenschaftlichen Texte entsprechen dem hohen Standard dieser Publikationsreihe. In einem einführenden Essay gibt Sidney Goldstein (Corning Museum of Glas) einen Überblick über die Herstellungs- und vor allem Dekorationstechniken bei islamischem Glases, bevor J.M.Rogers (Kurator der Khalili Sammlung) auf die Probleme beim Studium islamischen Glases hinweist: Nach wie vor sind die Lokalisierung und die Altersbestimmung das große und bis heute kaum lösbare Rätsel. Das fast vollständige Fehlen schriftlicher Berichte und archäologischer Erkenntnisse über die Standorte von Glasmanufakturen und Schmelzöfen ebenso wie über den wohl blühenden Handel mit Glasschrott bewirken, dass nahezu alle Herkunftsangaben sehr vage sind und die Angaben über die mögliche Entstehungszeit regelmäßig einen Zeitraum von zwei oder sogar drei Jahrhunderten umfasst. Hier jedenfalls ist noch viel Forschungsarbeit zu leisten. Im übrigen wird in sorgfältigen Beiträgen der aktuelle Stand von Wissenschaft und Forschung lesenswert zusammengefasst. So diskutiert Goldstein die Jahrzehnte alte Streitfrage, wer zuerst die Lüstermalerei auf Glas angewandt hat und gibt hier den Ägyptern den Vorzug. Jens Kröger (Kurator am Museum für islamische Kunst in Berlin) befasst sich mit der Technik und den möglichen Werkzeugen früher Glasgravuren, des „scratched glass“, und Melanie Gibson (englische Autorin und Kunsthistorikerin für islamische Kunst) gewährt dem Leser einen tiefen Einblick in die Entwicklung, Techniken, Zentren und Motive der Dekoration von Glas mit Gold und bunten Emaillefarben in Syrien und Ägypten. Dass sich hier, also auf Objekten, die als der Höhepunkt islamischer Glaskunst gelten, auch rein christliche Motive finden, zeigt, dass man auch über die Kategorisierung „islamisches Glas“ durchaus nachdenken kann. Zwei Dinge schließlich verdienen es, noch hervorgehoben zu werden: Ein deutlicher und ästhetisch überaus reizvoller Schwerpunkt der Sammlung sind frühe, in Form geblasene Glasgefäße, darunter eine ganze Anzahl extrem seltener Objekte mit Inschriften. Eine weitere Besonderheit sind die vielen Zeichnungen. Zum einen sind es Schnittzeichnungen, die eine Vorstellung über die Wandstärken und damit das Gewicht bzw. die Fragilität der meist undurchsichtigen und daher auf den Fotos meist recht kompakt wirkenden Objekte vermitteln und zum anderen wunderbare zeichnerische Wiedergaben der auf den Fotografien oft nur unvollkommen erkennbaren Dekore. Die Zusammenschau dieser Zeichnungen mit den Originalen fördert das Verständnis für die hohe Kunst dieser frühen Handwerker und offenbart die Schönheit der Kunstwerke, die sie schufen. So kann man sagen, nur anfassen ist besser, doch wer kann das schon.

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