Osmanische Keramik aus Iznik

Autor/en: Walter B. Denny
Verlag: Hirmer Verlag
Erschienen: München 2005
Seiten: 240
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: € 59.–
ISBN: 3-7774-2535-4
Kommentar: Michael Buddeberg, Mai 2005

Besprechung:
Während es eine schon beinahe sprichwörtliche Karriere ist, dass ein europäischer Auswanderer sich in den USA vom Tellerwäscher zum Millionär hochdient, dürfte es für einen amerikanischen Kunstprofessor eher ungewöhnlich sein, seine Laufbahn in Europa als Tellerwäscher begonnen zu haben. Bei Walter B. Denny, dem Autor des soeben erschienenen Prachtwerkes über orientalische Keramik aus Iznik, war es so. Als junger Wissenschaftler hatte Denny die Aufgabe, die reichen islamischen Schätze Pariser Museen, darunter auch die des Louvre, zu studieren. Seit 1918, als Paris vom Wald von Compiègne aus von deutschen Ferngeschützen beschossen wurde, schlummerte dort tief unter der Erde in dunklen Magazinen ein Großteil des inventarisch kaum erfassten Bestandes an Iznik-Keramik. Alles war von einer dicken Rußschicht bedeckt und erst nach gründlicher Wäsche gaben Fliesen und Teller nach und nach ihre leuchtenden Farben und ihre große Schönheit preis. Seither standen die Keramiken aus Iznik im Mittelpunkt von Dennys Interesse. Dieser jahrzehntelangen Liebe und Forschung, einem gescheiterten Ausstellungsprojekt und der Initiative eines internationalen Verlages verdanken wir nun ein Buch, das sich nicht nur durch einen fundierten Text über Umfeld, Entwicklung und Geschichte der Keramik aus Iznik auszeichnet, sondern das aufgrund seiner Gestaltung und seiner kongenialen Verbindung von Text und Bild das Zeug dazu hat im Wettbewerb der „Schönsten Bücher“ einen der vordersten Plätze zu belegen. Das große Format, ein lebendiger Wechsel zwischen weißen, natürlichen und tiefschwarzen Bildhintergründen, die perfekte Wiedergabe der berühmten Iznik-Farben und viele seiten- und doppelseitengroße Detailaufnahmen vermitteln ein ungemein lebendiges Bild eines der faszinierendsten und begehrtesten Produkte islamischer Kunst aus der Blütezeit der osmanischen Reiches. Es versteht sich, dass hier die schönsten und bedeutendsten Keramiken aus den großen Museen und Sammlungen der Welt vorgestellt werden, wie sie wohl kaum in einer Ausstellung zusammengetragen werden können, und dass daneben Fliesenschmuck aus türkischen Moscheen gezeigt wird, wie er sich heute noch an Ort und Stelle befindet. Ergänzt wird dieses Kaleidoskop aus Schönheit, Form und Farbe durch Beispiele von chinesischem Ming Porzellan, dessen ganz wesentlichen Einfluß die Keramik aus Iznik zu keiner Zeit verleugnen kann, sowie durch spätere türkische und europäische Ware, die ihrerseits ohne das große Vorbild aus Iznik nicht denkbar wäre. Dem hohen Rang dieser optischen Präsentation entspricht der begleitende Text, der zunächst auf die Entwicklung des osmanischen Reiches, die Bedeutung und Förderung der Künste unter den Osmanen und den wesentlichen Einfluss des Islam eingeht. Es mussten dann aber eine ganze Anzahl weiterer Voraussetzungen zusammenkommen, um die einzigartige Blüte des keramischen Kunsthandwerks in Iznik hervorzubringen. Die Wertschätzung chinesischen Porzellans, seine Seltenheit und sein durch den langen und gefährlichen Transport aberwitzig hoher Preis war eine dieser Wurzeln. Auch die Osmanen waren begierig, das Geheimnis der Porzellanherstellung zu ergründen und betrachteten daher die Förderung keramischer Forschung als Staatsaufgabe. Eine andere dieser Voraussetzungen waren die reichen Lagerstätten von Töpfertonerde bei einem kleinen Landstädtchen in der nordwestlichen Türkei und die umgebenden bithynischen Wälder, die schon immer das Holz für die Brennöfen in Iznik geliefert hatten. Mit der gezielten höfischen Förderung hochwertiger Keramik entdeckten und entwickelten begabte Handwerker in Iznik die Unterglasurmalerei und gaben damit das Startsignal für die vor allem wegen ihrer leuchtenden Farben später so berühmten Keramik. Hinzu kam der ästhetische Einfluss führender Künstler aus den Hofateliers in Istanbul. Der Kalligraph und Zeichner Schah Kuli und sein Schüler Kara Memi bestimmten und entwickelten in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts während der Regierungszeit von Sultan Süleiman (1520-1566) diesen osmanischen Hofstil, der sich allmählich von einer dem chinesischen Musterkanon verbundenen Formensprache zu einer floralen, von islamischen Paradiesvorstellungen geprägten, naturnahen Symbolik wandelte. Die Wiedergabe naturalistischer Tulpen, Nelken, Narzissen und Rosen inmitten von Blättern und Rankenwerk bestimmte die Illumination kalligraphischer Texte, den Dekor von Samt und Seide und wurde prägend für Fliesen und Geschirr aus Iznik. Dort hatte etwa 1560 mit der Entdeckung des Unterglasurrots die Entwicklung der unvergleichlichen polychromen Keramik ihren Höhepunkt erreicht, gerade rechtzeitig um bei bedeutenden Bauvorhaben zum Einsatz zu gelangen. Die von dem großen Baumeister Sinan im Auftrage des mächtigen und reichen Hofbeamten Rüstem Pascha errichtete gleichnamige Moschee war das erste größere Projekt in der osmanischen Baugeschichte, bei dem Iznik-Fliesen in großen Umfang zum Einsatz kamen. Etwa 80 verschiedene Fliesenmuster kann man noch heute in der Rüstem Pascha Moschee zählen, und der Superlativ, dass eines schöner als das andere ist, stimmt hier aufs Wort. Anfang der 1570er Jahre folgten mit der Selimiye, der von Selim II in Edirne errichteten großen Moschee und mit der Sokulla Mehmed Pascha Moschee in Istanbul, beide wieder von Sinan entworfen und gebaut, weitere Meisterwerke osmanischer Architektur. Mit den Fliesen für die Selimiye und die Sokulla Moschee hatte die Iznik-Tradition ihren klassischen Zenith erreicht, eine Balance zwischen technischer und künstlerischer Perfektion, die nie und nirgends mehr übertroffen wurde. Auch die aus dieser Zeit noch erhaltenen Fliesen im Topkapi-Palast, entsprechend ihrem weltlichen Kontext weniger streng, überschwänglich und fast extravagant, sind Meisterwerke unvergleichlicher Schönheit und Qualität. Dieselbe Vielfalt von Mustern und künstlerischer Kreativität findet sich auch in der nicht unmittelbar im Auftrag des Hofes in Iznik gefertigten Keramik, bei Tellern, Schalen, Krügen und Vasen. Es ist bezeichnend, dass von den tausenden weltweit in Museen und Sammlungen erhaltenen Stücken kaum zwei ein identisches Muster haben. Dies ist Ausdruck bester islamischer Kunsttradition, die nicht zwischen hoher und zweitrangiger oder angewandter Kunst unterscheidet und in der jedes kunsthandwerkliche Produkt zugleich ein Zeugnis des Glaubens, ein Ausschnitt aus dem Paradies und ein Gebet an Gott ist. Die Töpfer in Iznik waren nicht nur Künstler, sondern sie verstanden sich auch als solche und wurden von der osmanischen Gesellschaft auch als solche empfunden und geschätzt. Doch die Glanzzeit der Iznik Keramik währte nur kurz. Bereits Ende des 16. Jahrhunderts begann mit einer Währungskrise – das Silber aus der neuen Welt hatte den Verfall der osmanischen Silberwährung zur Folge – ein rascher Niedergang. Wirtschaftskrisen, Brandkatastrophen und Krankheitsepidemien beendeten den Höhenflug der Keramik aus Iznik. Sie blieb als Vorbild für Manufakturen in Kkütahya und Damaskus, in Padua und Florenz, für die Keramik von Zsolnay in Pecs und die der Arts-and-Crafts- Bewegung in England von Bedeutung und hat für Sammler und Liebhaber bis heute nichts von Ihrer Faszination und Ausstrahlung verloren. Das Buch von Walter Denny steht gleichwertig neben dem längst vergriffenen Klassiker „Iznik“ von Atasoy/RabyPetsopoulos und ist damit für jeden Sammler und Liebhaber von Keramik und von islamischer Kunst ein unbedingtes Muss.

Print Friendly, PDF & Email