Figurative Art in Medieval Islam – and the Riddle of Bihzad of Herat

Autor/en: Michael Barry
Verlag: Flammarion
Erschienen: Paris 2004
Seiten: 408
Ausgabe: fester Einband mit Schutzumschlag
Preis: € 75.–
ISBN: 2-0803-0421-6
Kommentar: Michael Buddeberg, März 2005

Besprechung:
Die Sprengung der historischen Buddha-Statuen von Bamiyan durch die Taliban im März 2001 war nur der fatale und weltweit beachtete Höhepunkt des rätselhaften Phänomens der Bilderfeindlichkeit im Islam. Vorausgegangen war diesem Ikonoklasmus die systematische Zerstörung sämtlicher figürlicher Darstellungen im Museum von Kabul, die Vernichtung eines einzigartigen Welterbes buddhistischer, vorbuddhistischer aber auch islamischer Kunst. Bei allem berechtigten Unverständnis für diesen Frevel wird oft übersehen, dass die Taliban nur Glied in einer Kette sind. Die Buddhas von Bamiyan waren bei ihrer Sprengung bereits schwer vorgeschädigt. Schon im 17. Jahrhundert soll der idolfeindliche indo-islamische Moghulkaiser Aurangzeb den Versuch unternommen haben, diese Buddhas zu beseitigen. Der Versuch scheiterte an den eingeschränkten technischen Möglichkeiten jener Zeit, jedoch fehlte den Buddhas seither ihr Antlitz. Ist nun das Bilderverbot ein Grundprinzip islamischer Kultur? Diese immer wieder gestellte Frage ist bis heute nicht wirklich beantwortet worden. Sicher ist, dass der Koran nichts dergleichen enthält und dass etwas, das man als ein allgemeines Bilderverbot interpretieren könnte, erst viele Jahre nach dem Tode des Propheten niedergeschrieben wurde. Das Rätsel um das Bilderverbot im Islam wird nur noch größer, wenn man die islamische Buch- und Miniaturmalerei in die Überlegung mit einbezieht. Persische Miniaturen, insbesondere aus ihrer Blütezeit im 14. und im 15. Jahrhundert sind ein Höhepunkt erzählender figurativer Darstellung. Sie gehören ohne Zweifel zu den schönsten Äußerungen islamischer Kunst. Die Lebendigkeit und Ausdrucksstärke der in diesen Miniaturen dargestellten Menschen, gleichgültig ob es sich um Fürsten handelt, umgeben von ihrem Hofstaat, oder auf der Jagd, um Prinzessinen mit ihren Dienerinnen, um Musikanten, Handwerker, um einfache Menschen und die Natürlichkeit und Schönheit dargestellter Tiere, sind unübertroffene Schätze der Malerei. Aber die kunsthistorische Forschung hat mit diesem Paradoxon in der islamischen Kunst seit jeher ihre Schwierigkeit. Ist diese islamische Bildkunst ein bloßer Irrweg in einer bilderfeindlichen Welt, eine Perversion einer Handvoll islamischer Herrscher, eine den Mächtigen vorbehaltene, ausschließlich weltliche Kunstform? Mit diesem Thema befasst sich die eindrucksvolle Studie von Michael Barry. Für ihn kulminiert dieses Paradoxon im Namen und Werk des legendären „Meisters von Herat“, des Miniaturmalers Kamaluddin Bihzad (ca.1465-1535). Wie verträgt sich, so sein Ausgangpunkt, das vermeintlich niedrige Ansehen figürlicher Maler in einer angeblich bilderfeindlichen Welt mit dem Status eines „Großen Meisters“, gar dem eines Heiligen, wie ihn Bihzad schon zu Lebzeiten erreichte? Bihzad war bei den Chronisten der großen asiatischen Mächte des 16. Jahrhunderts, bei den Safawiden, den Osmanen und den indo-islamischen Moghul-Kaisern der unbestrittene Großmeister der figürlichen Malerei. Sein Name und Werk war bekannt und verehrt vom Bosporus bis zum Ganges. Barry geht von der These aus, dass auch die figürliche Malerei in der eigenen Kultur wurzeln muss und dass sie letztlich, wie alle islamische Kunst, nur aus den geistigen Grundlagen des Islam zu erklären ist. Schließlich waren es gerade diejenigen islamischen Herrscher, die in religiöser Überzeugung ihren Glauben mit Feuer und Schwert verbreiteten, die vom 14. bis zum 17. Jahrhundert diese figürliche Malerei in Auftrag gaben und sammelten. Die Existenz figürlicher Malerei im Islam kann also nicht der Exzentrizität oder gar Perversität einiger Mächtiger zugeschrieben werden, sondern muss ganz andere Wurzeln haben. Und in der Tat sind die Bildthemen oft nur oberflächlich weltlicher Art, sind vielmehr bei genauerem Hinsehen und bei Rekonstruktion ihres ursprünglichen Zusammenhangs – aus dem sie Kunsthändler zum Zwecke besserer Verwertung herausgenommen haben – tatsächlich Illustrationen sakraler Texte und behandeln moralische und mysthische Themen. Islamische figürliche Malerei also ein Ausdruck göttlichen Handelns? So wie auch die in den „Shaname“, den Büchern der Könige, verherrlichten Taten islamischer Herrscher als Taten Gottes gelten? Wenn dem so ist, muss diese figürliche Malerei einen Symbolgehalt besitzen, einen verlorenen allegorischen Kode. Diese Ikonographie persischer Miniaturmalerei versucht der Autor am Beispiel der Werke Bihzads zu entschlüsseln. Barry kommt zu dem Ergebnis, dass Bihzad harmonische, technisch perfekte, visuelle Allegorien geschaffen hat, Miniaturen, die den gesamten göttlichen Kosmos und die göttlichen Moralgesetze in virtuosen und ausgewogenen Kompositionen wiederspiegeln. Und so sahen die fürstlichen Auftraggeber Bihzads in ihm einen heiligen Künstler, beseelt vom Hauch Gottes und in seinem Werk einen Spiegel der Wunder Gottes. Ob Barry damit den allegorischen Kode dieser figürlichen Malerei wirklich geknackt, ob mit dieser Studie die figürliche Kunst einen Standort in der islamischen Kunst erobert hat, und ob das Paradoxon als gelöst angesehen werden kann, wird erst die kunsthistorische Auseinandersetzung mit Barrys Untersuchung zeigen. Doch die Art und Weise der Beweisführung, die Parallelen zu Literatur und Poesie jener Zeit, der Vergleich mit der Entschlüsselung mittelalterlicher christlicher Malerei, die ein Jahrhundert früher stattgefunden hat, sind ausgesprochen lesenswert. Gleiches gilt für die Auseinandersetzung des Autors mit der besonderen Ästhetik persischer Miniaturmalerei, der eigentümlichen Abwesenheit von Perspektive und der klaren Farbgebung, malerische Eigentümlichkeiten, die schon die Malerei der Fauvisten, (Matisse) beeindruckt hat. Wir lesen über die Beschäftigung westlicher Maler an islamisch-orientalischen Höfen – der osmanische Sultan Mehmet der Eroberer ließ sich schon 1480 von Bellini portraitieren – und über die Orientmode am Anfang des 20. Jahrhunderts, die dazu geführt hat, dass der Kunsthandel viele der damals noch kompletten Bücher auseinander nahm, um mit dem Einzelverkauf der Miniaturen hohe Gewinne zu machen. Und natürlich werden wir informiert über das Leben von Bihzad, die Entstehung der Dynastie der Safawiden unter Shah Ismail (1501-1524), deren Konsolidierung unter seinem Sohn und Nachfolger Shah Tahmasp (1524-1576) , die Verschmelzung des turkmenischen Täbris mit der sensitiven Welt des timuridischen Herat und die Entstehung des berühmten Buchs der Könige als des prächtigsten Zeugnisses islamisch figürlicher Kunst. Illustriert ist das Buch mit den schönsten Miniaturen aus diesem Buch der Könige, aus den Fabeln von Kalida und Dimna, aus illustrierten Ausgaben der Dichter Nizami und Firdausi und anderen bedeutenden Werken, die heute über die großen Bibliotheken der Welt verstreut sind. Michael Barrys Buch ist eine Hommage an eine der großartigsten Schulen figürlich darstellender Kunst. Es ist seine Antwort auf den Bildersturm der Taliban im März 2001.

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