Geschriebene Welten – Arabische Kalligraphie und Literatur im Wandel der Zeit

Autor/en: Deniz Erduman
Verlag: Museum für Angewandte Kunst und DuMont Verlag
Erschienen: Frankfurt und Köln 2004
Seiten: 216
Ausgabe: illustrierte Broschur (Museumsausgabe)
Preis: EUR 36.– (an der Museumskasse)
ISBN: 3-8321-7507-5 (Museumsausgabe)
Kommentar: Michael Buddeberg, November 2004

Besprechung:
Arabische Kalligraphie fasziniert schon durch die Eleganz ihrer geschwungenen Linien und durch das spannungsreiche Wechselspiel von Horizontalen und Vertikalen. So mag ein frühes Koranblatt oder eine schlichte Keramik mit Schriftdekor allein deshalb als schön, als ästhetisch befriedigend oder gar intuitiv als Kunstwerk empfunden werden. Doch ohne ein Verständnis der arabischen Schrift ist der Zugang zu dieser Kunstform schwierig und er wird nicht leichter, wenn man weiß, daß die Kalligraphie in der islamischen Welt dem Bild in der europäischen Zivilisation entspricht. Die westlichen Kriterien der Beurteilung von Kunst und Künstler versagen bei der Kunst der Kalligraphie. Die bildende Kunst, und hier vor allem die Schriftkunst, hat in der arabischen Welt ihre eigenen Wurzeln, eine andere Geschichte und sie hat einen anderen Wert. Sie ist vor allem Religiosität und sie beginnt, wie könnte es anders sein, mit Mohammed dem Propheten, mit dessen Offenbarung, mit dem Wort Allahs. Dieses Wort Allahs, gesprochenes Wort, Sprache, ist das eigentliche Herz arabischer Kultur. Der Koran war zuallererst nur Sprache, ein Heiligtum des Wortes. Seine Suren wurden von den Anhängern Mohammeds voller Ehrfurcht auswendig gelernt und mündlich überliefert. Schriftliches hat Mohammed kaum hinterlassen. Erst seine Nachfolger begannen, den Koran aufzuschreiben. Damit entstand das Bedürfnis, der Vollkommenheit dieser Sprache gerecht zu werden und die Heiligkeit des Wortes auch im Geschriebenen auszudrücken. Das war der Anfang islamischer Kunst, die Geburtsstunde der Kalligraphie. Die zur Frankfurter Buchmesse 2004 mit dem Schwerpunktthema „Arabische Welt“ vom Museum für Angewandte Kunst veranstaltete Ausstellung „Geschriebene Welten“ (bis 30.01.2005) und der dazu erschienene Katalog sind eine glänzende Einführung in die fremde und faszinierende Welt der arabischen Kalligraphie. Kalligraphie ist die Königin der islamischen Kunst. Sie ist in der ganzen arabischen Welt allgegenwärtig. Sie dominiert nicht nur religiöse, weltliche und wissenschaftliche Texte, prachtvoll gestaltete Handschriften und Kalligraphieblätter, sondern ist unübersehbar in der gesamten islamischen Architektur. Kunsthandwerkliche Objekte sind in der islamischen Welt überproportional häufig mit Inschriften versehen. Auch diese allgegenwärtige Präsenz von Schrift auf Gegenständen des täglichen Lebens, Kalligraphie auf Holz, Stein, Keramik, Messing, Textil und Elfenbein, verdeutlicht die herausragende Position, die sie in der islamischen Kunst innehat. Die in der Ausstellung gezeigten und im Katalog abgebildeten und detailliert beschriebenen, durchweg hochrangigen Objekte aus Sammlungen in Katar, Kairo, Sharjah, Paris und München werden begleitet von Texten, die die Entwicklung der Kalligraphie, die verwendeten Schriften und ihre Variationen, die Bedeutung des Schriftkünstlers in der islamischen Welt, seine Ausbildung und sein Handwerkszeug erläutern. Ganz besonders hervorzuheben ist aber, daß neben frühen abbasidischen Koranblättern in Kufischrift, neben hinreißend schöner Keramik aus Nishapur, Prachtkoranen der Mamluken, großen Messingbecken mit Gold- und Silbertauschierung, einem geschmiedeten Eisenbeschlag, der mit glücklicher Hand als optisches Thema für Ausstellung und Katalog ausgewählt wurde, ein wesentlicher Teil von Ausstellung und Katalog bedeutenden Werken zeitgenössischer arabischer Kalligraphen gewidmet ist, wie man sie sonst auf westlichen Ausstellungen und auf dem westlichen Kunstmarkt kaum zu sehen bekommt. In einem einführenden Essay erläutert Karin Adrian von Roques, daß auch diese moderne Kalligraphie von ihrer Beziehung zur Sprache lebt und daß ihr, bei aller Freiheit der Form, stets die streng festgelegten Regeln der klassischen Kalligraphie zugrunde liegen. Es ist spannend, zu sehen, wie sich vor diesem traditionellen Hintergrund, einem scheinbar begrenzten Spielraum an Gestaltung, eigenständiger individueller Ausdruck zu entwickeln vermag, und wie es Künstlern gelingt, die Kunst der Kalligraphie in die Universalität zeitgenössischer Kunst zu integrieren. Diese modernen Kalligraphien, überwiegend Leihgaben aus der bedeutenden Sammlung der Qatar Foundation in Doha und aus dem Institut Du Monde Arab in Paris, sind die eigentliche Überraschung von Ausstellung und Katalog.

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