The Nomadic Peoples of Iran

Autor/en: Richard Tapper, Jon Thompson (Hrsg)
Verlag: Azimut Editions
Erschienen: London 2002
Seiten: 324
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: 50.– englische Pfund
ISBN: 1-898592-24-1
Kommentar: Michael Buddeberg, November 2002

Besprechung:
Kein Zweifel, auf den ersten Blick faszinieren vor allem die ein-drucksvollen Farbbilder des iranischen Fotografen Nasrollah Kasrai-an. Weit über 200 sind es, entstanden in den letzten zwei Jahrzehn-ten des 20. Jahrhunderts, und sie zeigen eine faszinierende, eine noch heute intakt scheinende, nomadische Gesellschaft, zeigen ein Nomadenleben, wie man es sich vorstellt. Nomadenzelte und deren Einrichtung, ursprüngliche Gebrauchsgegenstände und Ausrüstung, Webrahmen, Textilerzeugnisse, Kelims, Teppiche und immer wieder Menschen, eindrucksvolle Portraits, Nomaden bei der Arbeit mit ih-ren Tieren und anderen täglichen Arbeiten, Kinder, und vor allem Frauen, beim Spinnen, Weben, Backen und Kochen, Frauen in far-benprächtigen Kleidern mit traditionellem Schmuck. Kaum je ist nomadisches Leben derart eindrucksvoll in Szene gesetzt worden. Solche Aufnahmen entstehen nur wenn sich fotografische Kunst mit Begeisterung und Liebe zum Thema verbindet und großes Engage ment hinzukommt. Bei Nasrollah Kasraian traf das zu, er besuchte die entlegensten und unzugänglichsten Gebie-te des Iran, verbrauchte dabei mehrere Fahrzeuge, wurde gar verhaftet, seine Filme wurden konfisziert und mehr als einmal geriet er in Lebensgefahr. Kurzum: Eine einzigartige visuelle Dokumentation iranischer Nomaden! Aber der erste Blick täuscht. Das Buch ist weder nur Bilderbuch, noch ist die Welt der Nomaden wirklich in Ordnung. Namhafte Geographen, Anthropologen und Ethnologen beleuchten in 17 Essays die problematische Situation iranischer Nomaden am Ende des 20. Jahrhunderts. Alle Beiträge befassen sich mit den gravierenden Änderungen der vergangenen Jahrzehnte, dem Sturz der Pahlevi Dynastie, der Islamischen Revolution und der auch im Iran um sich greifenden Globalisierung. Die moderne Welt und ihr ökonomisches und politisches Sys-tem und der Trend zur seßhaften Gesellschaft hat aus den Nomaden im Iran, einst eine starke Stütze des Staates, eine kleine Minderheit gemacht. Ihre Wirtschaftsform erscheint heute überkommen, unproduktiv, als ein Ana-chronismus in der Welt des 21. Jahrhunderts und das Ende des Nomadismus wohl nur noch eine Frage der Zeit. Die durch die Essays dokumentierte Bestandsaufnahme der nomadischen Kultur und ihrer Vielfalt im Iran ist daher angesichts eines möglichen Endzeitszenarios von herausragender Bedeutung und Wichtigkeit. Sie beleuch-tet die materielle Kultur, den Glauben und die soziale Struktur der Nomaden im Iran. Die einzelnen Essaays befassen sich mit den Kurden und Turkmenen, mit den Schahsavan und den Talisch im Norden des Iran, den Bachtiaren und Luren im Zagros-Gebirge und mit den Kaschgai, den Beludschen und Afsharen im Süden, um hier nur die wichtigsten Stämme zu nennen. Ihren traditionellen Tugenden, Ehre, Fleiß, Gastfreundschaft und Freiheit, stehen heute Armut, politische Diskriminierung sowie mangelnde soziale und medizinische Versorgung gegenüber. Aber immerhin haben Stammestradition, familiäre Strukturen und die Anforderungen der nomadi-schen Viehwirtschaft bis jetzt das Festhalten an der nomadischen Lebensform begünstigt, das Festhalten an der Migration zwischen Winter- und Sommerweide und an den traditionellen Zeremonien und Ritualen, die vor allem rund um die Hochzeit existieren. Das gilt insbesondere auch für die textile Produktion und für die Klei-dung, beides Domänen der nomadischen Frau und beides wichtige Bereiche nomadischer Identität. So ist die materielle textile Kultur der Nomaden im Iran wichtiger Bestandteil fast aller Esssays, wobei die Beiträge über die Bachtiaren und die Kaschgai und deren Textilien besonders hervorzuheben sind. Die Fotos von Nasrollah Kasraian unterstreichen denn auch nachdrücklich die Bedeutung der Textilien im Leben iranischer Nomaden. Auch wenn die Stoffe der farbenfrohen Kleider nomadischer Frauen heute fast ausschließlich aus der Fabrik stammen und im Basar erworben wurden, so ist doch deren opulenter und üppiger Gebrauch im Alltag, deren Zusammenstellung in farbenfrohen, ebenso gewagten wie gekonnten Kombinationen Ausdruck nomadischer Tradition und Identität, Ausdruck von Stolz und Selbstbewußtsein. Die Fotos sind es daher, die trotz aller ratio-nalen Zweifel der Essay-Autoren am Überleben der Nomaden Hoffnung machen. Jedenfalls dort, wo andere, moderne Wirtschaftsformen nicht oder nur schwer Fuß fassen können, und das sind weite Bereiche im Iran, hat der Nomadismus auch heute und in der Zukunft noch eine Chance. Das Buch vermittelt die Hoffnung, daß die Nomaden des Iran die Kraft haben werden, diese Chance zu nutzen. The Nomadic People of Iran ist ein Buch ohne Vorbild. Ernsthafte ethnographische und anthropologische Beiträge und eine über eine bloße Dokumentati-on hinausgehenden Fotografie mit künstlerischem Anspruch schlossen sich in der ethnologischen Fachliteratur bisher aus. Die Kombination herausragender, poetischer und schöner Fotos mit wissenschaftlichen Beiträgen von Rang hat ein ganz außerordentlichen Buch entstehen lassen, ein Buch, das für die Darstellung des Nomadismus einen Meilenstein darstellt. (Vertrieb: Thams & Hudson, London)

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