Siegel des Sultans – Osmanische Kalligraphie aus dem Sakip Sabanci Museum Istanbul

Autor/en: M. Ugur Derman
Verlag: Deutsche Guggenheim
Erschienen: Berlin 2001
Seiten: XII u. 212
Ausgabe: broschiert
Preis: DM 59.–
ISBN: 0-89207-243-1
Kommentar: Michael Buddeberg

Besprechung:
„Kalligraphie ist eine Art geistige Geometrie, erzeugt durch ein materielles Werkzeug.“ Dieses pointierte ästhetische Diktum aus frühen islamischen Quellen soll als Metapher für die Bedeutung der Kalligraphie im Islam am Anfang stehen. Die arabische Schrift wurde zur wichtigsten visuellen Ausdrucksform des Islam und so liegen die Urspünge dieser Schriftkunst ganz klar in der Religion. Schon bald nach der Begründung des Islam versuchten die Muslime, ihr Heiliges Buch, den Koran, so zu gestalten, daß jede Niederschrift dessen innere Schönheit wiederspiegelte. Der zunächst einfache Schriftduktus verwandelte sich in Kunst, die Buchstaben nahmen immer geschmeidigere Formen an, Punkte wurden zu dekorativen Akzenten, Vokalzeichen, sogenannte „hareke“ wurden erfunden, um das ausschließlich aus Konsonanten bestehende Alphabet zu begleiten und Verzierung und Illumination von Schriftblock und Papier wurden immer aufwendiger und kunstvoller. Auch in dem unter Osman Bey schon im 14. Jahrhundert begründeten osmanischen Reich nahm die Kalligraphie unter den Künsten stets eine hervorgehobene Stellung ein, erkennbar schon daran, daß Kalligraphien, gleichgültig ob es sich um Koranabschriften, öffentliche Urkunden oder einzelne Gebetblätter handelte, in der Regel vom Künstler signiert wurden – sonst eher eine Seltenheit in der islamischen Kunst. Eine weitere Besonderheit osmanischer Kalligraphie ist, daß sie ihren ästhetischen und künstlerischen Höhepunkt erst in der Zeit des 19. bis zum frühen 20. Jahrhundert erreichte, also eigentlich in einer Phase des Niedergangs des osmanischen Reiches, als sich Gesellschaft, Institutionen aber auch die Künste einer zunehmenden Europäisierung ausgesetzt sahen. Nicht so die Kalligraphie, die im Gegensatz zu Architektur, Malerei, Musik und Kunstgewerbe kein vergleichbares westliches Pendant besaß. Ihrer Entwicklung und späten Blüte setzte daher erst Mustafa Kemal Atatürk mit der Einführung des lateinischen Alphabets im Jahre 1928 einen – vorläufigen – Endpunkt. Die Sammlung osmanischer Kalligraphie des türkischen Industriellen und Mäzens Sakip Sabanci aus dem gleichnamigen Museum in Istanbul war nach New York (Metropolitan), Los Angeles (County Museum) und Paris (Louvre) Anfang des Jahres auch in Berlin zu sehen und so liegt nun das in englicher und französischer Sprache hochgelobte und schnell vergriffene Katalogbuch auch in einer deutschen Ausgabe vor. Es ist mit seinen 71 kalligraphischen Meisterwerken vom 15. bis zum 20. Jahrhundert, vor allem aber mit seinem einführenden Essay über die Kunst der türkischen Kalligraphie wesentlich mehr als ein Ausstellungskatalog. Man kann dieses Buch getrost als ein knappes Standardwerk der türkische Kalligraphie bezeichnen, da es sämtliche Aspekte dieser Kunst behandelt. Wir lesen über die Schreibgeräte und Materialien, über die verschiedenen Federn aus Schilfrohr, Palmendorn und Bambus, über die Rezepte für Lampenrußtinte und über des Leimen, Glätten und Polieren des Papiers. Wir erfahren etwas über den Zusammenhang zwischen Schreibgerät und Schrift, über die Entwicklung, Beliebtheit und das Wiedervergessen neuer Schriften, über die großen Kalligraphen und ihre Schüler und über die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten dieser Schriftkunst. Gerade im osmanischen Reich mit seiner ausgeprägten Bürokratie hat die Kalligraphie auch den Bereich weltlicher Schriftstücke erfaßt. Auf öffentliche Dokumente, Erlaße und Urkunden wurde oft die gleiche Mühe und Sorgfalt verwandt wie auf religiöse Texte, wobei die Fälschungssicherheit einer gekonnten Kalligraphie eine wesentliche Rolle gespielt hat. Vergleichbar mit den Symbolen oder Emblemen heutiger Nationen, wurde in osmanischer Zeit die Macht des Staates durch ein kalligraphisches Emblem bezeugt. Ein solches Symbol war die „tugra“, das Siegel des Sultans, die graphische Gestaltung des Herrschernamens, die so lange Gültigkeit besaß, wie dieser Herrscher an der Macht war. Graphischer Aufbau, Inhalt und Bedeutung dieser „tugra“, die dem Laien zunächst immer gleich erscheint und die doch so unendlich viele Variationen aufweisen kann, werden eingehend beschrieben. Trotz aller Kunst und Illumination bleibt die Lesbarkeit des Inhalts das primäre Ziel der Kalligraphie. „Schöne Kalligraphie zu lesen“, schrieb der berühmte Kalligraph Mustafa Izzet Efendi (1801 – 1876), „ist wie das Aroma einer Tulpe einzuatmen“. Selbst demjenigen, der die Texte nicht lesen kann, vermittelt der Band eine Vorstellung von der geistigen Eleganz und Anmut eines osmanischen Tulpengartens. (- mb -)

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