Jemen

Autor/en: Renate Horak, Kurt Rainer
Verlag: Akademische Druck- und Verlagsanstalt
Erschienen: Graz 2001
Seiten: 192
Ausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
Preis: EUR 49,–
ISBN: 3-201-01738-8
Kommentar: Michael Buddeberg

Besprechung:
Schlagzeilen hat der Jemen in den letzten Jahren vor allem durch spektakuläre Entführungen von Touristen gemacht. Obwohl naheliegend waren diese Entführungen nicht Ausdruck von Anarchie und Terror, sondern landesspezifisches Symptom für den Konflikt zwischen uralter Stammeskultur und einer labilen modernen Demokratie. Das bedarf der Erklärung: Die Entführungen fanden durchweg ein gutes Ende. Die Entführten hatten gar Worte des Dankes für ihre Entführer, die sie als Gäste behandelt hatten, zählt doch die Gastfreundschaft noch heute zu den zentralen Werten dieser archaischen Gesellschaft, ein Wert, der auf den Koran und das Leben des Propheten zurückgeht, Ausdruck einer gottgefälligen Verhaltensweise. Nun aber war im Siedlungsgebiet der Beduinenstämme Öl gefunden worden, im nahen Osten ein Garant für Reichtum und sozialen Wohlstand. Doch die Forderungen der Stämme nach Schulen, Krankenhäusern und moderner Infrastruktur wurden nicht erfüllt. Der junge Staat verwandte die Geldmittel aus dem Ölexport lieber in dichtbesiedelten Gebieten, um dort Wählerstimmen zu gewinnen. Die Entführung von Touristen war ein Druckmittel der Stämme gegenüber der Zentralregierung zur Durchsetzung ihrer Forderungen. Geändert hat sich indessen wenig. Wenn man bedenkt, daß aus den Ölquellen des Jemen nicht mehr als 0,27% der Weltfördermenge fließen, dann erweist sich die Hoffnung Erdöl wohl auch für die weitere Zukunft als trügerisch. Dieser Konflikt zwischen Stammeskultur und Demokratie, zwischen Tradition und Moderne, zwischen überlieferten Bräuchen und heutigem Leben zieht sich wie ein roter Faden durch das neue Jemenbuch. 320 Fotografien von Brigitte Horak zeigen uns ein Märchenland aus 1001 Nacht, eine uralte Kulturlandschaft, architektonische Juwelen, einfühlsame Portraits, Kunstwerke aus Alabaster, Holz und Silber. Die Texte von Kurt Rainer aber machen deutlich, daß die Welt hinter dieser schönen und faszinierenden Fassade längst nicht mehr in Ordnung ist, daß der Jemen einer schwierigen Zukunft entgegengeht. Da sind mittelalterliche Städte wie Sana’a, die sagenhafte Perle des Orients, oder Shibam im Wadi Hadramaut mit seiner eindrucksvollen lehmgebauten Hochhausarchitektur, beide 1984 von der UNESCO als kulturelles Welterbe eingestuft. Doch explodierende Einwohnerzahlen, wachsende Müllberge vor den Toren dieser Städte und dramatisch sinkende Grundwasserspiegel sind die Kehrseite dieser Schönheiten. Da ist der Genuß von Qat, einer staatlich zugelassenen Droge, für 90% der Jemeniten ein gemeinsames, soziales Bedürfnis, unentbehrliches Hilfsmittel bei der Suche nach dem Glück und der Harmonie der Seele. Doch ab etwa 14 Uhr, wenn sich die Jemeniten dem Qat-Kauen hingeben, steht die Volkswirtschaft still. Die riesigen Anbauflächen für Qat, der immense Wasserbedarf, Ursache des sinkenden Grundwasserspiegels sind ein ökonomisches Problem ersten Ranges. Verzaubernde Landschaften im Bergjemen, uralte Terrassenkulturen, Anbauflächen für Bäume und Sträucher, die über Jahrhunderte Weihrauch und Myrrhe für die ganze Welt lieferten, bizarre Dörfer, die, Adlerhorsten gleich, auf Bergspitzen tronen, sind eine unvergleichliche Kulisse für modernen Trekkingtourismus. Doch viele Dörfer stehen leer, die Terrassen verfallen, Wassermangel und Landflucht verschärfen die ohnehin bestehenden Probleme. Traditionelle Hochzeitsbräuche, tiefverschleierte Frauen und eine strikte Arbeitsteilung zeigen überlieferte Rollen von Mann und Frau. Doch immer weniger Frauen sind mit diesem traditionellen Rollenbild der Frau einverstanden. Die moderne Welt hat via Satellit und Fernsehehn auch hier Einzug gehalten. Das Bild der tiefverschleierten Bankbeamtin vor dem Computer ist Zeugnis für eine Zeit im Umbruch. Aber auch die Männerwelt hat sich geändert. Über Jahrhunderte war der Krummdolchs, der Djambija, das unentbehrliche Symbol für Stolz und Ehre des jemenitischen Mannes. Moderne Zeiten haben ein weiteres Attribut hinzugefügt. Die lässig über die Schulter geworfene Kalaschnikow gehört längst zur Ausstattung des wehrhaften Jemeniten, und der Suq von Dhamar ist bekannt für seinen Kalaschnikow-Markt. Eine friedvolle Lösung von Konflikten hat in der jemenitischen Stammesgesellschaft Tradition und man kann nur hoffen, daß diese Tradition auch im Zeitalter der Kalaschnikow Bestand hat. Der Bildband Jemen hinterfragt die mit diesem Land heute verbundenen Klischees und öffnet den Blick auf ein Juwel Arabiens und auf ein vielschichtiges Spannungsfeld. (- mb -)

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