Tabo – Gods of Light – The Indo-Tibetan Masterpiece

Autor/en: Peter van Ham
Verlag: Hirmer Verlag
Erschienen: München 2014
Seiten: 308
Ausgabe: Hardcover
Preis: € 39,90
ISBN: 978-3-7774-2326-5
Kommentar: Michael Buddeberg, Oktober 2014

Besprechung:
„Buddhas Bergwüste“ hat Peter van Ham einmal recht treffend das entlegene und bis heute schwer zugängliche Spiti – Land zwischen Indien und Tibet – bezeichnet. In der Trockenzone des Himalaya gelegen, fast das ganze Jahr von Stürmen durchtost, ist es ein rauhes, lebensfeindliches Land mit schneebedeckten Gipfeln und steilen Bergwänden, die dem Spiti-River nur einen schmalen Streifen lassen. Das dort mit großem Geschick auf schmale Felder geleitete Schmelzwasser der Gletscher lässt ein wenig Gerste, Erbsen und Buchweizen wachsen und erlaubt es, genügsame Bäume wie Weiden und Pappeln zu pflanzen, all das kaum ausreichend für das entbehrungsreiche Leben der wenigen Bewohner. Dass dennoch Spiti nicht weniger als dreißig buddhistische Tempel und Klöster aufzuweisen hat, ist Zeugnis für die tiefe Religiosität seiner Bewohner, vor allem aber für die herausragende Bedeutung, die diese Region des Himalaya für die Bekehrung Tibets zum Buddhismus im 10. und 11. Jahrhundert gespielt hat. Die auf 3050 Meter Höhe im Osten von Spiti gelegene, seit ihrer Gründung im Jahre 996 unverändert erhaltene Tempelanlage von Tabo gehört zu den bedeutendsten Monumenten des gesamten tibetischen Kulturraumes. Zu jener Zeit entstand mit den westtibetischen Königreichen Purang und Guge ein Machtzentrum, dessen Einflussbereich über Kinnaur, Lahul, Zanskar und Ladakh bis nach Spiti reichte. Der König von Guge, Yeshe-Ö, selbst ein hoher Lama, der als „Großer Übersetzer“ bekannt gewordene Rinchen Zangpo und der indische Mönch Atisha sind die Hauptfiguren jener Zeit. Rinchen Zangpo soll 108 Klöster in West-Tibet gegründet haben, der Legende nach auch das sich damals rasch zu einer Art Universität entwickelnde Kloster in Tabo. Eine Inschrift im Haupttempel von Tabo weist indessen die Gründung unzweifelhaft Yeshe-Ö zu.

Peter von Ham, seit fast zwei Jahrzehnten ein eifriger Chronist der Länder des Himalaya, zuletzt von bedeutenden aber nur weniger bekannten Klöstern und Tempeln mit Wandmalereien in Ladakh („Heavenly Himalayas – The Murals of Mangyu and other Discoveries in Ladakh“, München 2010), hat nun ein opulentes Buch zur Klosteranlage von Tabo vorgelegt. Der Haupttempel von Tabo, der Tsugla Khang, 996 errichtet und bereits 46 Jahre später, 1042, aufwendig renoviert, ist ein unverfälschtes Zeugnis einer Kunst, die damals aus den Zentren buddhistischer Kunst in Indien ihren Weg nach Tibet gefunden hat. Malerei und Skulptur, unverändert, nie übermalt und für das Alter erstaunlich gut erhalten, repräsentieren den Stil jener Zeit. Diese frühe westibetische Wandmalerei wurde, wie auch noch im zeitlich deutlich später entstandenen Sumtsek von Alchi, vornehmlich vom eleganten Stil Kaschmirs beeinflusst. Dieser bereits im 10. Jahrhundert verfeinerte Stil vereinte in sich die typischen Merkmale der indischen Spätguptakunst mit Anleihen aus der spätindischen Höhlenmalerei, wie man sie aus Ajanta kennt, und aus dem hellenistisch-persisch-sassanidischen Erbe der Gandhara-Zeit. Hinzu kommen zentralasiatische Elemente sowie Züge der bengalischen Pala- und Sena-Periode, die über Nepal nach Kaschmir gekommen waren. Hauptelemente dieses Stils sind die elegante Linienführung und die gezierte Haltung der Figuren, die detaillierte Gestaltung von Textilien, das Ausfüllen der Fonds mit Miniaturfigürchen und floraler Ornamentik, liebevoll gestaltete Details, die verschwenderische Verwendung von Schmuck (Perlenketten, Gehänge, filigrane Goldranken) und üppiges Schlingwerk, mit dem beispielsweise Schmuckbänder verziert sind. Höfische Szenen erinnern in den dargestellten Trachten (Pluderhosen, Turbane, nach oben gebogene Schuhe) an die Kunst der Seidenstrasse. Der Perfektion der Malerei entspricht der Skulpturenschmuck des Tsugla Khang von Tabo. Die 32 lebensgroßen, polychrom bemalten, vollplastisch aus der Wand herauswachsenden Lehmfiguren, die ein dreidimensionales Vajradhatu-Mandala formen, sind in ihrer Eleganz und Perfektion unerreicht. Die Ursprünge dieser einzigartigen Bildhauerkunst liegen weniger in Indien sondern gehen vielmehr zurück auf die Ghandaraepoche in Afghanistan vom 1. bis zum 4. Jahrhundert. Es ist das Verdienst Peter van Hams, diese Wandmalereien und Skulpturen vor allem in zahlreichen Detailaufnahmen zu zeigen, die erst die Augen öffnen für die Schönheit, Vielfalt und Perfektion dieser vor einem Jahrtausend entstandenen Kunstwerke. Im übrigen muss sich das Buch Peter van Hams natürlich mit dem bereits 1997, wenige Jahre nach der Öffnung Spitis, erchienenen Werk von Deborah Klimburg-Salter, „Tabo – A Lamp for the Kingdom“, messen lassen, das hinsichtlich Umfang und Tiefe der geschichtlichen und kunsthistorischen Information nach wie vor eine Meßlatte bildet, die Peter van Ham nicht erreicht. Der Beitrag von Gerald Kozicz über die Dreidimensionalität des Vajradhatu-Mandala im Tsugla Khang von Tabo, vor allem aber die ebenfalls mit reichem Bildmaterial versehene Beschreibung der bisher in der Literatur kaum gewürdigten weiteren Tempel der Klosteranlage von Tabo bilden aber eine wertvolle und, will man Tabo in seiner Gesamtheit erfassen, kaum verzichtbare Ergänzung zu Klimburg-Salters Werk. Die Ausstattung der weiteren Tempel und Heiligtümer Tabos mit Wandmalereien und Skulpturen stammt aus dem 15. und 16. Jahrhundert. Sie sind ein Beleg dafür, wie aus den vielfältigen, aus Indien, Nepal, Afghanistan und Zentralasien herrührenden Einflüssen, wie sie der Tsugla Khang zeigt, ein typisch tibetischer Stil entstanden war, wie man ihn auch aus Tsaparang und aus Gyantse kennt und wie er – wie von Peter van Ham in seinem Buch gezeigt – auch in Tabo einen Höhepunkt erreicht hat.

Print Friendly, PDF & Email