Das Millennium Buch – (The Millennium Book), Anatolian Carpets – Masterpieces from the Museum of Turkish and Islamic Arts Istanbul

Autor/en: Dr. Nazan Ölcer und Prof. Walter Denny, technische Analysen von Nils Rüters, Fotos von Ahmet Ertug
Verlag: Ertug & Kocabiyik
Erschienen: Bern 1999
Seiten: Text- (88 Seiten) und Tafelband (204 Seiten)
Ausgabe: Leinenkasette
Preis: US-$ 1.000.–
Kommentar: Michael Buddeberg

Besprechung:
Der Palast des Ibrahim Pascha aus dem 16. Jahrhundert am alten Hippodrom in Istanbul beherbergt im Museum für türkische und islamische Kunst einen der weltweit reichsten Schätze islamischer Teppichkunst. Bis vor einigen Jahren war dies – abgesehen von den wenigen Stücken der Dauerausstellung – eines der am besten gehüteten Geheimnisse der Teppichwelt. Erst mit der Ausstellung „Turkish Carpets from the 13th – 18th Centuries“ im Herbst 1966 wurde ein Teil dieses Schatzes zugänglich und bekannt. Der damals zur Ausstellung erschienene Prachtkatalog des Architekten, Fotografen und Büchermachers Ahmet Ertug gab einen ersten und faszinierenden Einblick in den Fundus des aus cirka 2000 Teppichen bestehenden Depots, das in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts aus alten Moscheen, aus Mausoleen und Gräbern zusammengetragen und in den Kellern des Museums angehäuft worden war. Ahmet Ertug, dessen schöne und aufwendig hergestellte Publikationen seit Jahren der islamisch-byzantinischen Kunst, ihrer Architektur und ihrem Kunsthandwerk gewidmet sind – erinnert sei hier an das unvergleichlich schöne Buch über die Seidengewänder der osmanischen Sultane aus dem Topkapi Museum – hatte den Teppich entdeckt und diese Entdeckung ließ ihn nicht mehr los. Es entstand die Idee, zur IX. Internationalen Konferenz über den Orienttepich in Italien und zur Jahrtausendwende bisher nicht veröffentlichte Teppiche aus dem Museum für türkische und islamische Kunst in einem Buch vorzustellen, das zugleich den höchsten erreichbaren Standard an Fotografie, Buchgestaltung und Drucktechnik repräsentieren sollte. Aus der Idee wurde ein Projekt und zwei Jahre engagierte Arbeit. Die für das Projekt ausgewählten einhundertvierzig Teppiche, das sind nicht mehr als 7% des gesamten Bestandes, wurden zunächst auf Kosten der Verleger gereinigt und, soweit notwendig restauriert und konserviert. Diese wichtigen und heiklen Arbeiten standen unter der Aufsicht von Nils Rüters, dem Chefkonservator des Berliner Museums für Islamische Kunst. Im Museum wurde dann ein Fotostudio mit zwei Beleuchtungstürmen und einer digital kontrollierten Großformat-Kamera mit Spezialoptik vom Typ Sirdar eingerichtet. Wer je einen 10 Meter langen Teppich fotografiert hat – ein Uschak-Fragment mit drei mächtigen Medaillons erreicht dieses Königsformat – hat eine Vorstellung von der bewundernswerten technischen Leistung. Druck und Bindearbeiten schließlich besorgten die renommiertesten einschlägigen Unternehmen in der Schweiz. Das Ergebnis rechtfertigt den Aufwand. Schon das Öffnen der 47 x 38 cm großen Buckkasette und das Herausnehmen von Text- und Tafelband, alles in wertvolles japanisches Leinen gebunden, ist ein wahrhaft sinnliches Erlebnis, und das erste Blättern im Bildband eine Offenbarung der Vielfalt und Kraft anatolischer Teppiche. 140 überwiegend noch nicht veröffentlichte Teppiche aus höfischen Manufakturen und anatolischen Dörfern, vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, aus Uschak und Konya, von West- bis Ostanatolien, aus Melas und Bergama, aus Ladik, Gördes und Mucur, werden in einer technischen Perfektion präsentiert, die in ihrer Detail- und Farbtreue bisher unerreicht ist und die zweifellos den Höhepunkt moderner Reproduktionstechnik darstellt. Walter Denny, Kunsthistoriker und Teppichwissenschaftler, ist verantwortlich für die Texte und für die systematische Einteilung der Teppiche in insgesamt 12 Kapitel nach den Kriterien Design, Alter und Herkunft. Es fällt wahrlich schwer, aus der Fülle des Materials die Höhepunkte herauszugreifen. Sind es die wegen ihrer relativen Häufigkeit und ihres kommerziellen Charakters bisher eher weniger geschätzten Madaillon-Uschaks, die hier in 13 herausragend schönen Beispielen gezeigt werden, sind es die Reihengebetsteppiche, die Saphs, die für reiche Moscheen in Uschak im 16. oder 17. Jahrhundert geknüpft wurden? Oder sind es die dörflichen Versionen und Kopien dieser weitverbreiteten Uschak-Teppiche in West-, Zentral- und Ostanatolien, die in oft naiver aber künstlerisch genuiner Form höfisches Mustergut nachbilden? Das Fragment eines großen Drei-Medaillon-Teppichs aus Damaskus in der Technik der Schachbrett-Teppiche (Tafel 1) aus dem frühen 16. Jahrhundert ist eine Welt-Rarität und fasziniert ebenso wie der kleine zentralanatolische Teppich mit Bordüre im gelb-roten Lotto-Design und uni-blauem Feld (Tafel 25). Frühe Saphs mit Wolkenbandbordüren und geheimnisvollen Cintamani-Streumustern in den Gebetsfeldern (Tafeln 40 und 41) sind ebenso einzigartig wie der kleine weißgrundige Gebetsteppich mit filigranen Arabesken (Tafel 103). Der schönste ist vielleicht ein großer Karapinar (?) aus dem 17. Jahrhundert mit zwei mächtigen Medaillons auf abraschiertem blauem Grund (Tafel 75). Neben diesen schon den klassischen Teppichen zuzurechnenden Exemplaren finden wir eine ganze Anzahl von Ladiks, von „transsylvanischen“ Gebetsteppichen bis hin zu kleinen aber feinen Stücken aus Melas, Gördes, Konya und anderen Knüpfzentren des 19. Jahrhunderts. Das große Format, die aufwendige Aufnahmetechnik und der sorgfältige Druck gestatten ein Studium der gezeigten Stücke, wie es aus Büchern bislang nicht möglich war. Anatolian Carpets ist eine Meisterleistung der Fotografie, der Buchgestaltung und der Drucktechnik, eine bibliophile Kostbarkeit, ein Buch das das Prädikat „Das Millennium Buch“ in Form, Inhalt und Preis ohne jeden Zweifel verdient. Wer sich nun zum Erwerb dieses Edelsteins der modernen Teppichliteratur entscheidet, mag sich über den gewiß stolzen Preis mit der Tatsache hinwegtrösten, damit ganz wesentlich zur Erhaltung einer der wichtigsten öffentlichen Teppichsammlungen der Welt beigetragen zu haben. Das ist eine Novität in der Kunstliteratur schlechthin, und Ahmet Ertug gebührt Dank für diese Idee, ihre Realisierung und das großartige Ergebnis. (- mb -)

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