Orientalismus – Okzidentalismus – zwei Seiten einer Medaille?

Autor/en: siehe unten
Verlag: siehe unten
Erschienen: siehe unten
Seiten: siehe unten
Ausgabe: siehe unten
Preis: siehe unten
ISBN: siehe unten
Kommentar: Michael Buddeberg, Januar 2011

Besprechung:
Roger Diederen, Davy Depelchin (Hrsg), Orientalismus in Europa – Von Delacroix bis Kandinsky, Hirmer Verlag, München 2010, 312 Seiten, Hardcover, € 39.90, ISBN 978-3-7774-3251-9

Schoole Mostafawy, Harald Siebenmorgen (Hrsg), Das fremde Abendland – Orient begegnet Okzident – von 1800 bis heute, Belser Verlag, Stuttgart 2010, 200 Seiten, Hardcover, € 29.95, ISBN 978-3-7630-2581-7

Spätestens seit den Kreuzzügen hat der geheimnisvolle Orient die Fantasie europäischer Künstler angeregt. Ihren Höhepunkt aber erreichte dieses Interesse im 19. Jahrhundert, als diese Genremalerei so populär wurde, dass man ihr im Nachhinein gar einen eigenen Namen gab: Orientalismus. Den Anfang dieses, sagen wir es neudeutsch „Trends“, machte Napoleon 1798 mit seinem Ägyptenfeldzug. Die in seinem Tross mitreisenden Künstler und Wissenschaftler brachten aus diesem exotischen Land so reiche und so aufregende Ausbeute mit, dass eine wahre Ägyptomanie ausbrach. Die beginnende Industrialisierung und die damit einhergehende Steigerung der Mobilität, der Ausbau von Handelsinteressen und die zunehmende diplomatische Präsenz Europas im Nahen Osten ließen den Ausflug in das Märchenland aus 1001 Nacht nicht mehr als gefährliches Abenteuer, sondern als Alternative zur Sommerfrische in der Schweiz oder im Seebad erscheinen. Ägypten, die Länder des Maghreb, das schwächelnde und daher nicht länger als Gefahr für den Bestand Europas angesehene Osmanische Reich und nicht zuletzt das Heilige Land waren das Ziel von Zeichnern, Malern, Fotografen und Aquarelllisten, deren Ansichten neben anderen exotischen Requisiten bald fester Bestandteil des bürgerlichen Interieurs wurden. Doch ein künstlerischer Stil im eigentlichen Sinne ist der Orientalismus nie gewesen, sondern mehr ein kulturelles, zeittypisches Phänomen, dessen Bedeutungsmoment ausschließlich durch das orientalische Thema bestimmt war. Entsprechend vielseitig sind die Erscheinungsformen dieser künstlerischen Strömung, die Bandbreiten der Ausdrucksmöglichkeiten und vor allem die Sujets dieser Bilder, die von der Kamelkarawane über Tempelruinen und Marktbilder bis hin zu den beliebten Harem-, Bade- und Hamamszenen reicht. Nie wirklich unmodern geworden und heute durch das Interesse am Islam hochaktuell sind die Bilder der Orientalisten begehrter denn je. So wird die in Kürze von Brüssel nach München in die Kunsthalle der Hypokulturstiftung reisende Ausstellung (dort vom 27.01. bis zum 01.05.2011) gewiss ein großer Erfolg, erfasst sie doch das gesamte Spektrum des Orientalismus von Delacroix und Ingres bis Kandinsky, Klee und Macke. Der bereits erschienene Katalog ist nicht nur ein reiches Bilderbuch dieser Malerei, sondern er behandelt in zahlreichen Essays Ursachen, Erscheinungsformen und Wirkungen des Orientalismus bis zu dessen durchaus auch klischeehaften, chauvinistischen und imperialistischen Zügen. Fast zwanglos drängt sich dann die Frage auf, ob diesem Bild, das sich der Westen vom Orient machte, etwas entsprechendes im Osten gegenübersteht. Haben die Orientalen die fremden Besucher aus dem Abendland mit ähnlicher Neugier betrachtet oder sich gar aufgemacht, den Okzident zu besuchen, zu entdecken und in ihrer Weise zu dokumentieren? Die Antwort findet sich in einer bereits zurückliegenden Ausstellung des Badischen Landesmuseums in Karlsruhe und dem von ihren Kuratoren herausgegebenen Katalog. Ziel dieses Projektes war es, ein in der Kunst- und Kulturgeschichte bisher kaum behandeltes Thema zu untersuchen, den Okzidentalismus und ob er denn wirklich die sprichwörtliche Kehrseite der Medaille ist. Er ist es nicht. Eine Darstellung des Westens mit den Mitteln und Ausdrucksformen orientalisch-künstlerischer Gestaltung in Form einer künstlerischen Bewegung, eines „Trends“ also, hat es nie gegeben und gibt es bis heute nicht. Okzidentalismus in der in Karlsruhe gezeigten Form sind vielmehr die Faszination und die nachhaltigen Einflüsse, die von der Kultur des Westens auf die Lebenswelt der Orientalen ausgegangen sind, sie mitgestaltet haben und bis heute gestalten. Okzidentalismus ist die Rezeption westlicher Kultur im Osten – in ihrem weitesten Sinne und damit natürlich auch die Unkultur umfassend – und das ist eben gerade nicht die Kehrseite unseres Orientalismus. Hat man diesen Unterschied der beiden „-ismen“ einmal begriffen, lassen sich in dem Karlsruher Katalog – auch dieser mit reichem Bildmaterial und vielen Essays versehen – überraschende Entdeckungen über die Auseinandersetzung des Orients mit der Kultur des Westens machen. Es ist allerdings eine kritiklose, der eigenen Schwäche Ausdruck verleihende, einer mutwilligen Verwestlichung und einem oft falsch verstandenen Modernismus dienende Rezeption westlicher Bildvorlagen. Das Panorama Schweizer Alpen in türkischen Kaffeehäusern und Hotels als zeitgemäße Vorstellung vom irdischen Paradies oder die Übernahme von Hans Zatzkas Elfenreigen in den Bilderkanon orientalischer Kunstverlage befremdet das am europäischen Orientalismus geschulte Auge ebenso wie Bilder des jungen Mohammed und anderer schiitischer Heiliger im Stil europäischer Kinoplakate der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Die Rezeption westlicher Bildvorlagen in der orientalischen Alltagsgrafik des ausgehenden 20. und des beginnenden 21. Jahrhunderts ist schlichter, sentimentaler und kommerzieller Kitsch, der es nicht einmal verdient, unter dem Kunstwissenschaftlichen Begriff des Okzidentalismus versammelt zu werden. So bleiben am Ende vielleicht die afghanischen Kriegsteppiche der 1990er Jahre die einzigen orientalischen Erzeugnisse, die einem am etablierten Begriff des Orientalismus orientierten Verständnis des Okzidentalismus zugeschrieben werden können. Es sind Teppiche, die bei oberflächlicher Betrachtung durchaus den gewohnten Mustern, Farben und sonstigen Gestaltungskriterien afghanischer Teppiche entsprechen, wobei sich allerdings die Musterelemente bei genauem Hinsehen als Kalaschnikows, Panzer und Hubschrauber mit Streumotiven aus Bomben, Granateinschlägen und Leuchtspurmunition entpuppen, ein Okzidentalismus, der dem Westen nun wahrlich kein gutes Zeugnis ausstellt.

Print Friendly, PDF & Email