Die Rumseldschuken – Gründer der Türkei

Autor/en: Pitty Schöttler
Verlag: Schillinger Verlag
Erschienen: Freiburg 1995
Seiten: 320
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: DM 168.–
Kommentar: Michael Buddeberg, Oktober 1997

Besprechung:
Die wohl ältesten, mehr oder weniger fragmentarisch erhaltenen Teppiche Anatoliens werden dem 13. Jahrhundert und den Seldschuken zugerechnet. Wer waren die Seldschuken? Diese Frage kam in der bisherigen Literatur über die Türkei zu kurz. Wer sich eingehender mit der Geschichte und Kultur der Seldschuken befassen wollte, mußte sich mit spärlicher, schwer zugänglicher, längst vergriffener Literatur begnügen. Das ist mit dem Buch von Pitty und Heinrich Schöttler anders geworden. Es erzählt die Geschichte der Seldschuken, die aus den Steppen Zentralasiens aufbrachen, zunächst Persien einnahmen, dort als die Großseldschuken eine machtvolle Dynastie errichteten und wenig später von den durch viele Auseinandersetzungen mit kriegerischen Nachbarn geschwächten Byzantinern, den „Oströmern“, Anatolien übernahmen. Daher auch der Name: Rumseldschuken, das sind „die auf dem Gebiet der Rhomäer“ oder „die von Rhum“ oder eben einfach die Rumseldschuken, eine alte Bezeichnung, mit der sie selbst ihre Unabhängigkeit von den Großseidschuken Persiens zum Ausdruck bringen wollten. Ursprünglich waren die Seldschuken einer der unzähligen nomadisierenden Clans des eurasischen Steppengürtels, Teil des lockeren Stammesverbands der Oghusen. Einer dieser Oghusenhäuptlinge, Seldschuk, Ahnherr der Dynastie, vollzog um 970 mit seinem Stamm die Wende zum Islam, gewann Macht und Einfluß und konnte nach der Einnahme Persiens die dort blühende Hochkultur assimilieren. Hauptsächlich im 11. Jahrhundert erreichten Kunst und Wissenschaft, Architektur, Medizin, Dichtkunst und Philosophie in Persien unter den Großseldschuken eine frühe Blüte. Parallel hierzu holten sich die von Awaren, Slawen und Arabern bedrohten Byzantiner Hilfe bei seldschukischen Nomadenkriegern. Als Söldner in Diensten der Byzantiner eroberten diese Städte, die sie dann gleich behielten. Das späte 11. Jahrhundert war in Anatolien durch kriegerische Wirren geprägt mit wechselnden byzantinischen, seldschukischen und turkmenischen Machtverhältnissen, wobei auch die Kreuzfahrer aus Europa kräftig mitmischten. Mit dem machtvollen Sultan Masud I, der Eroberung Konyas als Residenzstadt im Jahre 1134 und dem Sieg über die Byzantiner 1176 in der Schlacht von Myriokephaion war die Reichsbildung der Rumseldschuken in Anatolien vollzogen. Ihre Blütezeit hatten sie dann im 13. Jahrhundert unter Sultan Kaykaus I (1210 – 19) und vor allem unter Sultan Kaykobad I (1219 – 36), dem Sultan der Superlative, den ähnlich wie den späteren Osmanensultan Suleyman den Prächtigen eine Aura von Glanz und Glorie umgab. Aber noch im 13. Jahrhundert eroberten die Mongolen das rumseldschukische Reich, duldeten die Rumseldschuken zunächst nach als Vasallen bis etwa 1308 Musud II, der letzte rumseldschukische Sultan starb. In diesen knappen zwei Jahrhunderten, so der Tenor dieses Buches, „wurde die Türkei gegründet“, vollzog sich die allmähliche Islamisierung und Turkisierung eines zuvor stark christlich geprägten Anatolien. Es war gleichzeitig eine Zeit großen Reichtums und Wohlstandes und Anatolien ein Schmelztiegel vieler Kulturen und Nationen. Islamische Theologen und Rechtsgelehrte, Ärzte und Astrologen aus Persien, Traumdeuter, Geographen und Philosophen aus Arabien, Handwerker und Baumeister aus Armenien und Georgien, italienische, jüdische und fränkische Kaufleute, sie alle trugen dazu bei, daß unter den Rumseldschuken im Anatolien des 13. Jahrhunderts etwas entstand das bis heute Bestand hat. Dies gilt vor allem für die Architektur, der der zentrale Teil des Buches und das reiche Bildmaterial gewidmet ist. Die seldschukische Baukunst fällt nicht nur auf durch imponierende Dimensionen oder verschwenderische Pracht sondern durch die Vielfalt von Formen und Material. Seldschukische Baukunst vereinigt frühchristliche und antike Traditionen, persischen Ziegelbau und georgische und armenische Steinbautechnik zu einem unverwechselbaren Charakter. Moscheen, Medresen und Grabbauten, Schlösser, Minarets und Portale, Mihrabs, Kuppeln und Gewölbe, überall finden wir eine perfekte ornamentale Gliederung der Fläche, wie wir sie auch von den wenigen erhaltenen seldschukischen Teppichen kennen. Das Schlußkapitel des Buches ist den faszinierenden Großbauten jener Zeit gewidmet, den Karawansarays. Mit der Eroberung der Häfen am Schwarzen Meer und am Mittelmeer gewannen die Rumseldschuken den Anschluß an die internationalen Handelswege zwischen Asien und Europa. Mit dem Wiederaufbau des Landes entstanden auch Straßen und Brücken. Und sie bauten in der Zeit von 1180 bis 1280 etwa 100 Karawansarays, stattliche Zweckbauten, sichere Unterkünfte für Menschen, Lasttiere und Waren, heute zweckentfremdete oder zerfallende Zeugnisse einer faszinierenden und prosperierenden Welt. Ein hochinteressantes Buch, das eine Frage aufwirft und nicht beantwortet: Fanden die Seidschuken, als sie Anatolien eroberten, die Technik des Teppichknüpfens vor oder brachten sie sie aus den Steppen Zentralasiens mit?

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