Chinese and Japanese Porcelain for the Dutch Golden Age

Autor/en: Jan van Campen, Titus Eliens (Hrsg)
Verlag: Waanders Uitgevers
Erschienen: Zwolle 2014
Seiten: 280
Ausgabe: Hardcover
Preis: € 39,95
ISBN: 978-94-91196-80-5
Kommentar: Michael Buddeberg, August 2014

Besprechung:
Es war ein echtes Piratenstück. Die mit Pfeffer und anderen Spezereien voll geladenen Schiffe Zeelandia und Langebercke einer holländischen Handelsgesellschaft liefen im März des Jahres 1602 auf dem Weg von Ostindien in ihren Heimathafen die entlegene Insel St. Helena an, um dort Proviant und Wasser zu bunkern. Dort ankerte auch die portugiesische São Tiago auf ihrem Heimweg von Goa nach Lisabon. Da man sich ja im Krieg mit den Iberern befand wurde nach einer dreitägigen Schlacht die São Tiago gekapert und gelangte Monate später als Kriegsbeute in den holländischen Heimathafen Middelburg. Die Versteigerung der kostbaren Fracht, Schmuck, Edelsteine und Textilien, vor allem aber Porzellan, geriet zur Sensation, denn es war das erste Mal, dass eine größere Menge chinesischen Porzellans die Niederlande erreichte. Im selben Jahr wurde die Verenigde Oostindische Compagnie (VOC) gegründet, die mit ihrem faktischen Monopol für den Ostasienhandel, also vor allem mit dem Import von Porzellan aus China und Japan, das ca. einhundert Jahre währende „Goldene Zeitalter“ der Niederlande prägen sollte. Böse Zungen könnten nun behaupten, dass dieses goldene Zeitalter mit einem Akt der Piraterie begonnen hat. Doch obwohl die Übereinstimmung der Daten verblüffend ist, sind es ganz andere Fakten, die den Aufschwung der Niederlande zu der führenden Seehandelsnation des 17. Jahrhunderts bewirkt haben. Es war der Niedergang Antwerpens in der Auseinandersetzung mit Spanien, von dem die niederländische Wirtschaft profitierte, und es waren neue Technologien im Schiffsbau und die Entwicklung gänzlich neuer Schiffstypen, die dem niederländischen Seehandel eine ganze andere Dimension und einen dauerhaften internationalen Vorsprung verliehen. Und dann hatte chinesisches Porzellan natürlich schon vor dem Jahre 1602 die Niederlande erreicht, auch wenn es als extrem kostbare Ware auf den Gebrauch bei Hof und Adel beschränkt blieb. Das änderte sich im Goldenen Zeitalter und bis heute hat sich in holländischen Haushalten, Sammlungen und Museen ein Bestand an frühem chinesischen und japanischen Exportporzallan erhalten, der an Quantität und Qualität beispiellos ist. Führend sind hier das Rijksmuseum in Amsterdam, das Gemeentemuseum in Den Haag, das Groninger Museum und das Keramiekmuseum Princessehof in Leeuwarden. Diese vier Museen haben seit dem Jahre 2002 ein gemeinsames Projekt verfolgt, das die Bedeutung des chinesischen und japanischen Porzellans für das goldene Zeitalter der Niederlande untersucht. Das Ergebnis liegt nun in einem großformatigen, reich illustrierten Sammelband vor, der das Thema in 13 Kapiteln unter ganz verschiedenen Gesichtspunkten erschöpfend behandelt. Nach der elitären Rolle, die das in kleinen Mengen im 16. Jahrhundert nach Europa gelangte chinesische Porzellan vor allem an den königlichen Höfen in Lisabon und Madrid gespielt hat, werden die Gründe für das Goldene Zeitalter der Niederlande herausgearbeitet: Wirtschaftliches Wachstum, technische Innovation und ein ganz neues Konsumverhalten. Eine Art ökonomischer Revolution zur Wende zum 17. Jahrhundert ließ in Holland die städtischen Zentren wachsen, der Seehandel brachte großen Wohlstand, das Bedürfnis nach Komfort, Besitz und Luxus wuchs und das in immer größeren Mengen importierte chinesische und später japanische Porzellan kam da gerade recht. Archivarisches Material der VOC aus Holland und aus deren wichtigstem asiatischen Stützpunkt Batavia, dem heutigen Jakarta, belegt geradezu erstaunliche, in die zig-, ja in die Hunderttausende gehende Anzahlen von Schalen, Tellern, Platten und Gefäßen aller Art, die das Land ihrer Herkunft auf chinesischen Dschunken verließen, in Batavia auf holländische Schiffe umgeladen und dann aus Amsterdam und anderen holländischen Handelsplätzen über Europa verteilt wurden. Fast mehr noch als Archive haben archäologische Fundstätten zu erzählen, solche auf dem Meeresboden, aber auch die zahllosen Abfallgruben aus alter Zeit, die in Middelburg, Amsterdam, Utrecht in vielen weiteren holländischen Städten anlässlich von Bauarbeiten oder durch Zufall im Laufe der Zeit entdeckt wurden. Die Aufzählung von knapp 20 untergegangenen und in den letzten Jahrzehnten wieder entdeckten Schiffen, auch solchen des VOC, mit Beispielen ihrer Fracht, wird fast noch überboten durch die Vielfalt der aus Scherben rekonstruierten Tassen und Teller, die vor 500 Jahren zu Bruch gingen und entsorgt wurden. Beide Komplexe berühren nicht nur durch die interessanten Objekte, sondern auch durch die Schicksale der Seeleute, die mit ihren Schiffen im Meer versanken oder die privaten Tragödien, die der Bruch kostbaren exotischen Porzellans heraufbeschworen haben mag. Ein weiteres, wichtiges Thema ist das Versiegen der chinesischen Porzellanproduktion in Jingdezhen anlässlich der bürgerkriegsähnlichen Unruhen, die in der Mitte des 17. Jahrhunderts in China das Ende der Ming-Dynastie einleiteten, das Ausweichen der holländischen Seefahrer und Importeure auf japanisches Porzellan mit ganz neuem Design und neuer Farbigkeit und das Bestreben der unter Kaiser Kangxi wieder erstarkten chinesischen Porzellanindustrie, sich dem neuen Trend anzupassen, was zu den Porzellanen der „famille vert“ und “ famille rosé“ führte. Das ganze Goldene Zeitalter, vor allem aber die Periode als chinesisches Porzellan in der Mitte des 17. Jahrhunderts knapp wurde, war begleitet von den Bemühungen der holländischen, vorwiegend in Delft ansässigen Steinzeugmanufakturen, möglichst gute Kopien dieser exotischen Kostbarkeiten herzustellen. Hervorragende Beispiele solcher frühen Delfter Fayence mit einer dem chinesischen Porzellan täuschend ähnlichen Zinnglasur und blau-weiß-Dekor konkurrieren mit ihren chinesischen Vorbildern. Die von Holland, vor allem von den Prinzessinnen des Hauses Oranje ausgehende Mode der Einrichtung von Porzellankabinetten machte rasch in europäischen Schlössern und Palästen Schule, und schließlich haben die holländischen Maler des 17. Jahrhunderts, die im Goldenen Zeitalter eine einzigartige Blüte erlebten, mit der Darstellung von chinesischem Porzellan in ihren wundervollen Stillleben ein großartiges Denkmal dieser Zeit und eines ihrer wichtigsten Accessoires geschaffen. Von den Scherben aus Abfallgruben in Amsterdam bis zu den zarten Darstellungen von chinesischem Kraak-Porzellan auf den Stillleben eines Jan von Kessel – chinesisches Porzellan und das Goldene Zeitalter der Niederlande, das ist die spannende Story, wie ein exotisches Produkt die Geschichte eines Landes im 17. Jahrhundert geprägt hat.

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