Die Architektur der Dong in China

Autor/en: Klaus Zwerger
Verlag: Pállfy Editions bei Schlebrügge.Editor
Erschienen: Wien 2013
Seiten: 388
Ausgabe: Klappenbroschur
Preis: € 58,30
ISBN: 978-3-902833-42-6
Kommentar: Michael Buddeberg, Mai 2014

Besprechung:
„Die Dörfer der Dong sind hübsch und schattig, anmutig und abwechslungsreich; in frühen Morgennebeln verborgen, mit Hundegebell, Hühnergegacker und dem Knarren von Wasserrädern im Hintergrund wirken sie sehr poetisch und stimmungsvoll“, so war es in einer 1999 in Beijing erschienenen Architekturgeschichte Chinas zu lesen. Inzwischen hat sich die Situation auch in den entlegenen Regionen der südchinesischen Provinzen Hunan, Guangxi und Guizhou, wo das Dong-Volk, eine der 55 anerkannten Minderheiten Chinas lebt, dramatisch verändert. Die atemberaubend schnellen Veränderungen in China haben auch die einst abgeschiedensten Dörfer erreicht, Straßen wurden gebaut und es wird immer schwieriger, noch ein altes Holzhaus zu finden. Ja mehr noch, einzelne Dörfer haben inzwischen in potemkinscher Manier ganze Straßenzeilen mit Kulissenarchitektur gefüllt; die Bewohner wissen, dass die in Scharen anreisenden Touristen enttäuscht wären, andere als Holzhäuser anzutreffen. Reine Zweckbauten aus Stein und Beton und im schlimmsten Fall eine entseelte Tourismus- oder Schauarchitektur ersetzen mehr und mehr die Jahrhunderte alte, traditionelle Holzbauweise. Das Buch von Klaus Zwerger, der am Institut für Gestaltungslehre und Entwerfen der Technischen Universität Wien lehrt und als Forscher, Reisender und Fotograf über die Geschichte und Typologie der Holzarchitektur in Europa und Asien arbeitet, kommt daher gerade recht oder vielmehr gerade noch rechtzeitig. Zwerger hat auf zahlreichen Reisen in den vom Dong-Volk bewohnten Regionen in den Jahren 2000 bis 2011 ein großes Fotoarchiv über die Holzarchitektur der Dong aufgebaut, und sein Buch ist eine vollständige, umfassende und in der Fülle des Materials beeindruckende Darstellung zu diesem Thema. Zugegeben, es ist ein sehr exotisches Thema, das aber tiefer und viel unmittelbarer in die Geschichte und Vergangenheit Chinas hineinführt als die ungleich umfangreichere Literatur zu chinesischer Repräsentationsarchitektur über Kaiserpaläste, militärische Anlagen oder Tempel. Das Dorf war in China – gleichgültig ob in den von Han-Chinesen oder von Minderheiten bewohnten Regionen – bis in die jüngste Zeit die wichtigste und bei weitem überwiegende Siedlungsform und ein Spiegel von Jahrhunderte- oder sogar Jahrtausendealten Traditionen. Die Form von Dorfhäusern, ihre Ausführung, in der Regel aus Holz, seltener aus Lehmziegeln oder Stampflehm, sind Ergebnis von Erfahrungen aus vielen Jahrhunderten, Resultat historischer Entwicklung und abhängig von klimatischen Bedingungen und von geographischen, vor allem aber land- und forstwirtschaftlichen Gegebenheiten. Holz als – leider vergängliches – Baumaterial, eine Skelettkonstruktion, die ohne weiteres leichten Erdbeben widersteht, die generelle Ausrichtung der Häuser nach Süden, ausgeklügelte Dachkonstruktionen, geprägt durch den China-typischen, eleganten und harmonischen Schwung der Dachform und schließlich die durch bauliche Verdichtung und enge Gassen gegebene räumliche Enge sind überall in China anzutreffende Kennzeichen dörflicher Architektur. Sie sind zugleich Ausdruck der fast durchweg in China gegebenen, äußerst harten Lebenssituation der Bauern, ihrer schweren Arbeit und der zerstörerischen Armut und Hoffnungslosigkeit. Einer einfühlsamen Einführung zu den Prinzipien ländlichen Bauens in China, der Bedeutung von Holz in der chinesischen Kultur, kritischen Anmerkungen zur Geomantik, dem Modetrend „fengshui“, und der Fragestellung des Autors, ob „Tradition“ als „Mangel an Mut und Originalität“ überhaupt einen positiven Wert darstellt, folgt die eigentliche Dokumentation der Architektur der Dong. Eingebettet in eine abwechslungsreiche Topographie mit Bergen bis um die 2000 Meter Höhe und tief eingeschnittenen breiten oder engen Tälern, liegen die Dörfer der Dong auf Bergkuppen, an steilen Hängen, in Talsenken und vor allem an Flüssen und immer umgeben von mehr oder weniger terrassierten Reisfeldern. Die durchweg aus Holz gefertigten Wohnbauten, ihre unterschiedliche Konstruktion als Ständerbauten oder auf dem Boden stehend, das Raumprogramm von Veranden als Pufferzone zwischen öffentlichem und dem von der Familie beanspruchten privaten Räumen mit Feuerstellen, die fast unendliche Variation von Grundrissen und baulichen Details werden – hier zeigt sich der Autor ganz als Architekt – in Wort und Bild, in Zeichnungen und Schnitten detailliert beschrieben. Religiöse Kultbauten, Dorfbühnen, Nebengebäude, Ställe, Brunnen, Trocknungsräume, Getreidespeicher, natürlich auch Aborte, sind weitere Themen, doch es sind zwei Bautypen, die die Dörfer der Dong vor allen anderen auszeichnen und jeden Besucher in ihren Bann ziehen: Die Wind-Regen-Brücken und die Trommeltürme. Wind-Regen-Brücken sind überdachte Holzbrücken als Verbindung zwischen zwei durch einen Fluss getrennte Ortsteile oder als Brücke vom Dorf zur Außenwelt. Konstruktiv handelt es sich um Ausleger- oder Cantileverbrücken, wie man sie aus dem Himalaya kennt, mit der Besonderheit, dass sie an End- und Mittelpfeilern pagodenförmige Aufbauten tragen. Sie sind der Stolz jeden Dorfes, sind mit ihrem Schutz gegen Wind und Regen und eingebauten Sitzgelegenheiten Kommunikationszentren und gehören zu den attraktivsten Brückenbauten Chinas. Sie sind die horizontalen Gegenstücke zu den noch berühmteren Trommeltürmen, die weithin sichtbar aus dem engen Häusermeer der Dongdörfer herausragen und deren Zentrum markieren. Es sind nicht eigentlich Türme, sondern ein- oder zweigeschossige, große Hallen mit einem vielfach gestuften Dach, das an große Pagoden denken lässt. Diese Trommeltürme sind monumentale Manifestationen von Familienclans, die auch für Errichtung und Unterhalt zuständig sind. Größere Dörfer mit einigen solcher Großfamilien haben daher oft mehrere, bis zu fünf, dieser Trommeltürme. Es sind öffentliche Gebäude, Orte der Kulturvermittlung, Zentren für das Feiern von Festen, für Musik, für Kartenspiel und für alle Arten dörflicher Kommunikation. Durchweg sind diese Trommeltürme Zeugnis für das herausragende handwerkliche Können und die konstruktive Genialität der Zimmerleute, die sie schufen. Dabei muss man immer bedenken, dass in dem fanatischen Bestreben, Symbole für tradierte Werte auszulöschen, während der Kulturrevolution viele dieser Trommeltürme zerstört und erst nach dieser dunklen Zeit wieder errichtet wurden. Wenn diese heute erneut, ebenso wie manche Wind-Regen-Brücke oder auch ganze Dong-Dörfer wieder verschwinden oder einer seelenlosen Tourismus-Architektur Platz machen, ist das eine Revolution, für die ein Name erst noch gefunden werden muss. Nur gut, dass Klaus Zwerger vorher noch alles dokumentiert hat.

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