Die Dame mit der Phönixkrone – Tang-zeitliche Grabfunde der Adeligen Li Chui (711-736)

Autor/en: Sonja Filip, Alexandra Hilgner (Hrsg)
Verlag: Schnell und Steiner
Erschienen: Regensburg 2013
Seiten: 136
Ausgabe: Hardcover
Preis: € 24,90
ISBN: 978-3-7954-2716-0
Kommentar: Michael Buddeberg, November 2013

Besprechung:
Der im 9. Jahr seiner kurzen Regierungszeit vermutlich bei einem Wagenrennen tödlich verunglückte ägyptische Pharao Tutanchamun war zu seiner Zeit ein eher unbedeutender König. Unvergänglichen Weltruhm erlangte er erst 1922 als Howard Carter im Tal der Könige sein nahezu unberührtes Grab mit unermesslichen Kunstschätzen entdeckte. Ob in Ägypten, im Altai-Gebirge, in den Anden Südamerikas oder im Umkreis der Tang-zeitlichen chinesischen Hauptstadt Chang`an, fast immer waren und sind die Grabräuber schneller und erfolgreicher als die Archäologen. Moderne Technik und die unverändert boomende Nachfrage des Kunsthandels nach archäologischen Artefakten erleichtern das Auffinden und den Absatz derart geraubter Schätze. Der dabei regelmäßig fehlende und weder dokumentierte noch rekonstruierbare Fundzusammenhang macht solche Objekte allerdings wissenschaftlich wertlos. Es war daher ein Glücksfall und eine Sensation als bei den Bauarbeiten für die Ligong-Universität der Hauptstadt Xi´an in der chinesischen Provinz Shaanxi im Dezember 2001 ein unberaubtes Grab einer Tang-zeitlichen Adeligen entdeckt wurde. Der zeitliche Druck und der offenbar komplizierte Fundzusammenhang mit einer Unzahl kleiner und kleinster Bestandteile eines aufwändigen Schmucks machte eine so genannte Blockbergung erforderlich. Bei ihr werden wesentliche Teile des Fundes mitsamt dem umgebenden Erdreich in einer Gipskapsel geborgen, um dann unter Laborbedingungen unter Zuhilfenahme modernster Technik freigelegt, untersucht und bestimmt zu werden. So konnte hier in mehrjähriger Arbeit der genaue Aufbau, die Materialien und Details eines prachtvollen Kopfschmucks der Dame aus der Tang-Zeit rekonstruiert werden. Er ist über einen halben Meter hoch und besteht aus einem filigranen Materialmix aus vergoldeter Bronze, Silber, Eisen, Perlmutt, Bernstein, Perlen, Glimmer, Elfenbein, Glas, Türkis, Amethyst, Jade, Karneol und Bergkristall. Aus einem am Eingang der Grabanlage gefundenen Epitaph weiß man auch über die Trägerin dieses Schmucks und die tragischen Umstände ihres Todes. Li Chiu, eine Nachfahrin der Gründers der Tang-Dynastie, Kaiser Gaozu, starb im Jahre 736 im Alter von 25 Jahren an einer heimtückischen Krankheit und hinterließ einen trauernden Ehemann und ein kleines Kind. Das vorliegende Buch beschreibt in Bild und Text nicht nur die Fundumstände, die komplizierte Bergung und die jahrelange sorgfältig Schicht um Schicht freilegende archäologisch wissenschaftliche Detailarbeit, sondern versucht, anhand der weiteren Fundobjekte und zahlreicher Beiträge der verschiedensten beteiligten Wissenschaftler ein Bild vom Leben in der Stadt Chang´an in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts zu zeichnen. Chang´an war damals zur Blütezeit der Tang-Dynastie mit wohl einer Million Einwohnern eine der großen Metropolen der Welt, Ausgangspunkt der Seidenstraße und ein ökonomisches und kulturelles Zentrum von Weltrang mit internationalem Flair. Wir lesen über die damals schon alte Weinkultur, über die Mode jener Zeit und ihre Accessoires, über allerlei Schmuck und Spiegel, über Dosen aus Lack und Gefäße aus Silber, über Bronzekessel und Keramikschalen für den täglichen Bedarf und für das Leben nach dem Tode. Bestattungssitten spielten ein große Rolle ebenso wie die Grabbeigaben, die viel über die geistesgeschichtlichen und religiösen Grundlagen des Lebens in der Tang-Zeit erzählen, vom Streben nach Unsterblichkeit und dem Versuch, diese mit den Mitteln der Alchemie zu erreichen. Das Buch ist ein hoch interessanter und lesenswerter Beleg dafür, wie Archäologen heute mit Wissenschaftlern aus ganz anderen Bereichen zusammenarbeiten, um den Geheimnissen der Vergangenheit auf die Spur zu kommen. So entstand aus einer beispielhaften interdisziplinären und internationalen Kooperation nicht nur die nach einem mit Türkisen verzierten goldenen Phönix benannte Krone, sondern das Bild einer jungen Chinesin aus hohem Adel, die ähnlich wie der ägyptische Pharao Tutanchamun erst länger als ein Jahrtausend nach ihrem Tod zu Ruhm und Ansehen gelangte.

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