Afghan Gold – Photographs 1973-2013

Autor/en: Luke Powell
Verlag: Steidl Verlag
Erschienen: Göttingen 2013
Seiten: 224 (Tafelband), 48 (Textband)
Ausgabe: Leinen (Tafelband), Broschur (Textband), im Schuber
Preis: € 98,00
ISBN: 978-3-86930-648-3
Kommentar: Michael Buddeberg, Mai 2014

Besprechung:
1971 erlag der 25 Jahre junge amerikanische Journalist und angehende Fotograf dem damaligen Zeitgeist und machte sich auf den Weg von Europa nach dem Sehnsuchtsziel Indien. Doch der ausbrechende Krieg zwischen Indien und Pakistan ließ Luke Powell dieses Ziel nicht erreichen; er verbrachte den Winter in Afghanistan, damals noch eine Monarchie unter König Sahir Shah, und er fand dort das Land seiner Sehnsucht, sein Shangri-La, ein Land, dessen landschaftliche Schönheit und Unberührtheit und dessen Bewohner in der Bewahrung und Kraft ihrer Tradition ihn nicht mehr losließen. In den Jahren 1973 bis 1979 bereiste und fotografierte Powell fast alle Regionen von Afghanistan, dessen kleine Fluggesellschaft Ariana damals mit dem heute absurd erscheinenden Slogan „Afghanistan, Heaven of Peace and Tranquility“ um den Besuch von Touristen warb. Es entstanden zauberhafte Fotos von majestätischen Landschaften, vom ursprünglichen Leben der Nomaden und Bauern, von architektonischen Monumenten aus der buddhistischen Vergangenheit des Landes, Portraits und Szenen aus dem Dorfleben und von den kleinen und großen Festen der Menschen, ein fotografischer Schatz aus einer längst vergangenen Zeit. Nur wenige Tage vor dem Einmarsch sowjetischer Truppen im Dezember 1979 verließ Powell Afghanistan, das damals in einen Strudel aufeinander folgender Kriege und Bürgerkriege geriet, die bis heute andauern. Fotos und Nachrichten aus Afghanistan haben seither andere Inhalte: Ruinen, ausgebrannte Fahrzeuge, Menschen auf der Flucht, zerschossene Panzer, Bilder von Zerstörung, Leid und Tod. Für Powell aber blieb Afghanistan das Land seiner Sehnsucht und im Jahre 2000 kehrte er zurück, besuchte auf Einladung der damals von den Taliban gebildeten Regierung den Süden des geteilten Landes und kurz darauf, mit Billigung der Nördlichen Allianz, auch den Norden. Schon im Jahre 2003 war er wieder in Afghanistan, um im Auftrage des Minenräumprogramms der Vereinten Nationen Minenopfer und vor allem die Fortschritte der Minenräumung zu dokumentieren. Man sollte meinen, dass die nun in einem foliogroßen Band publizierten Fotos von Powell aus einem Zeitraum von vier Jahrzehnten ein Davor und Danach zeigen, die einstige Schönheit und deren Zerstörung, das Verschwinden von „Peace and Tranquility“ und die Folgen eines grausamen und nicht enden wollenden Krieges. Gewiss, die in den Sandstein geschnittenen Mandorlas, die einst die berühmten Buddhas im Tal von Bamiyan bargen, sind nun leer, und in einem Bild vom Sonnenuntergang in Kandahar sind im Vordergrund weiß bemalte Steine zu sehen, die von Minen geräumte Bereiche markieren. Doch sonst scheint sich in den Bildern aus Afghanistan von damals und von heute kaum etwas verändert zu haben. Eindrucksvolle, manchmal märchenhaft und unwirklich anmutende Landschaften prägen noch immer das Land, Baudenkmäler und Ruinen zeugen weiterhin von einer großen Vergangenheit, Waren werden wie seit jeher auf Eselsrücken über Gebirgspässe transportiert, das Leben in den Dörfern scheint unverändert und Feste wie Hochzeiten, Vogelkämpfe oder das traditionelle, wilde Reiterspiel um einen Ziegenbalg werden gefeiert und zelebriert wie eh und je. Nostalgie und ein Verschließen der Augen vor der Wirklichkeit mag hier manch einer dem Fotografen vorwerfen, doch sehr zu Unrecht, denn Powells Blick auf Afghanistan ist geprägt von tiefer Liebe zu diesem Land und von einem fotografischen Auge, das auch unter der Oberfläche der Destruktion und Veränderung seine unvergängliche Schönheit zu erkennen vermag. Gewalt, Materialismus und Vulgarität sind der gewohnte Alltag in der Berichterstattung über Afghanistan, doch Powell, nicht Journalist sondern ganz Künstler in der Tradition der frühen Impressionisten, man denkt hier an David Roberts, Camille Corot oder William Turner, versucht Momente der Schönheit, Anmut und Ordnung in einem armen, geplagten Land festzuhalten. Seine Fotos lassen hoffen, dass das gemeinsame Wirken einer großartigen Natur, einer kulturellen Tradition und der Unbeugsamkeit eines Volkes friedliebender Menschen die Spuren von drei Jahrzehnten aufgezwungener Kriege werden tilgen können. Das dem opulenten Bildband – von ihm war bisher die Rede – im gemeinsamen Schuber beigegebene Begleitheft verdient es, beachtet und gelesen zu werden. Die dort abgedruckten, ausführlichen Bildlegenden, verraten nicht nur für den fotografisch Interessierten technische Details wie Kamera, Optik und Filmmaterial, sondern sie vermitteln den geschichtlichen, kunsthistorischen, gesellschaftlichen, religiösen und politischen Kontext zu den Bildern. Wir erfahren neben vielen ganz persönlichen Erlebnissen des Fotografen und Autors, warum der Tee in Afghanistan so oft aus russischen Porzellanschalen getrunken wird, dass der Gebrauch der Burka schon im christlichen Byzanz begann, dass viele Zerstörungen von Kulturgütern auf die kolonialen Eroberungsversuche der Briten zurückgehen und warum nach 1000 Jahren religiöser Toleranz die Buddhas von Bamiyan gesprengt wurden. Luke Powell erzähltt über Musik und Musikinstrumente, über die Rolle von Frauen und Kindern in der afghanischen Gesellschaft, über den komplizierten Vorgang der Ikat-Weberei, über die Verbreitung des Buddhismus auf den Pilgerrouten durch Gandhara, über Falkenjagd, Hochzeit und Nomadenkultur. Es sind diese ganz individuellen und selbst erlebten und erfahrenen Begebenheiten und Eindrücke eines Menschen, der dieses Land liebt und kennt, in Verbindung mit seinen großartigen, künstlerischen Fotos, die verständlich machen, dass Afghanistan nicht nur ein Land des Schreckens sondern auch ein Land der Sehnsucht, ein wahres Shangri La, sein kann.

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