Steppenkrieger – Reiternomaden des 7. bis 14. Jahrhunderts aus der Mongolei

Autor/en: Jan Bemmann (Hrsg)
Verlag: LVR Landesmuseum – Primus Verlag
Erschienen: Bonn – Darmstadt 2012
Seiten: 416
Ausgabe: Klappenbroschur/Hardcover
Preis: € 39.90 (Buchhandelsausgabe)
ISBN: 978-3-534-25230-5 Buchhandelsausgabe)
Kommentar: Michael Buddeberg, März 2012

Besprechung:
Steppenkrieger kannte die Antike spätestens seit der Beschreibung der Skythen durch Herodot. Skythen, das war damals und für lange Zeit danach das Synomym für alle reiternomadisch lebenden Völker, die immer wieder aus der Weite der eurasischen Steppen die sesshaften Kulturen Mitteleuropas – und am östlichen Ende der Steppe diejenigen Chinas – heimsuchten und als das leibhaftige Böse wahrgenommen wurden. Bis in die Neuzeit wurden sie in historischen Quellen mit einem vollen Strauss negativer Eigenschaften belegt, als treulos, wortbrüchig, gierig, grenzenlos grausam und blutrünstig, dazu feige und hinterlistig und bar jeglicher Kultur. Hinzu kam die beängstigende militärische Überlegenheit durch die geradezu symbiotische Verbindung von Ross und Reiter, die Perfektion im Umgang mit überlegenen Waffen und eine den nur in traditionellen Nahkampftechniken erprobten Verteidigern unverständliche und ungewohnte Taktik und Logistik. Bis zum „Mongolensturm“, als sich die Truppen Dschingis Khans anschickten, Europa zu erobern – und sich überraschend wieder zurückzogen -, blieben die häufigen Überfälle eine historische Konstante im Wechselspiel zwischen der unbekannten Welt der eurasischen Steppen und der sesshaften Kultur Mitteleuropas. Erst die systematische Plünderung von Kurganen seit dem 18. Jahrhundert, von Archäologie im modernen Sinne war man damals noch weit entfernt, brachte eine erste Ahnung von der geheimnisvollen Kultur der Reiternomaden, von ihrem einzigartigen Tierstil, einem aufwändigen Grabkult und zauberhaftem, nie zuvor gesehenen Goldschmuck und Goldgerät. Die nomadische Lebensweise jedoch, das Überleben in der Unwirtlichkeit der Steppen, die Mobilität, die Anpassung an die unendlichen Weiten und die extremen jahreszeitlichen Schwankungen in diesem Naturraum blieben weiter ein Geheimnis, das erst durch die moderne Archäologie allmählich erschlossen wird. Die Ausstellung über Steppenkrieger im LVR-LandesMuseum in Bonn (bis zum 29.04 und von Mai bis November 2013 im Kelten-Römer-Museum in Manching) und das dazu erschienene Begleitbuch sind ein eindrucksvoller Leistungsnachweis, was moderne, wissenschaftsunterstützte Archäologie in Verbindung mit internationaler Kooperation zu leisten vermag. Diese (ost)deutsch-mongolische Zusammenarbeit begann schon vor einem halben Jahrhundert, damals mit dem klaren Ziel, den Geburtsort und vor allem die Grabstätte von Dschingis Khan zu entdecken. Dieses Ziel wurde bis heute nicht erreicht, doch seit sich die Mongolei 1990 für den demokratischen Weg entschieden hat, haben sich die Kooperation und die archäologische Forschung erheblich intensiviert und spektakuläre Ergebnisse gezeitigt. Es ist der Zusammenarbeit der Universität Bonn, dem Deutschen Archäologischen Institut und der Akademie der Wissenschaften der Mongolei zu danken, dass seit 2008 eine Anzahl so genannter Felsspaltengräber aus dem 7. bis zum 14. Jahrhundert untersucht, archäologisch geborgen, wissenschaftlich erforscht, konserviert und nun mit Ausstellung und wissenschaftlichem Katalog vorgestellt werden können. Die Ergebnisse vermitteln ein umfassendes und detailgenaues Bild der bis heute fast unbekannten Kultur dieser Steppenkrieger, die vor allem mit ausgefeilten handwerklichen und technologischen Fähigkeiten glänzen. Als herausragendes Beispiel mag hier ein neben Pfeil und Bogen, Köcher, Sattel und weiterem Reiterzubehör im Felsgrab von Zargalant geborgenes Musikinstrument aus dem 7. oder 8. Jahrhundert n.Chr. erwähnt werden, eine wahre Sensation, denn es ist das älteste Instrument der Mongolei überhaupt und vielleicht sogar der Vorläufer der Morin Chuur, der Pferdekopfgeige, als des nationalen Musikinstruments der Mongolei schlechthin. Verziert mit eingeschnittenen Jagdszenen und einer Runenschrift ist dieses Objekt nicht nur Sinnbild für die Bedeutung der gesamten archäologischen Komplexe, sondern auch für deren wissenschaftliche Aufarbeitung. Die Deutung der Jagdszenen, der Versuch einer Übersetzung der Inschriften, die Identifizierung des Instrumententyps – vermutlich war es eine Art Harfe – und schließlich der Nachbau eines spielbaren Instruments werden in mehreren, ausführlichen Beiträgen behandelt. Dank den klimatischen Bedingungen zwischen 1800 und 3000 Metern Höhe im Altai-Gebirge, wo die Bestattungen in natürlichen Höhlen und Felsspalten erfolgten, präsentieren sich die Objekte, also auch solche aus organischen Materialien wie Holz, Textilien, Federn oder Leder in einem für Alter und Material ungewöhnlich gutem Erhaltungszustand. Doch der Anschein trügt: Aus den ausführlichen Berichten über die Fundsituation, die Bergung, die archäologische Aufbereitung und die wissenschaftliche Konservierung wird klar, welcher Aufwand betrieben werden musste, um die Objekte überhaupt im Rahmen einer Ausstellung präsentieren zu können. Die Funde waren stark verschmutzt und von zum Teil verkrusteten Ablagerungen aus Tierexkrementen und Erdreich mit pflanzlichen und mineralischen Einschlüssen bedeckt. Dies sowie Verfärbungen durch Schimmelpilz, Substanzverlust durch Fraß von Nagetieren und starke Korrosion bei Metallobjekten sind nur einige der Befunde, denen die Restaurierungswerkstätten des LVR-LandesMuseums in Bonn mit einer Vielzahl technisch-innovativer Maßnahmen zu begegnen hatten. Ein fast vollständig erhaltener Seiden-Deel und ein Reitermantel aus Filz, beides Funde im Felsgrab von Duguj Cachir aus dem 10./11.Jahrhundert stellte das Institut für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaft der FH Köln vor ähnlich große Herausforderungen. Gewissermaßen als ein Nebenprodukt der wissenschaftlichen Maßnahmen und Befunde wurde nicht nur das Musikinstrument, sondern auch der im Felsgrab von Zargalant gefundene Komposit- oder Reflexbogen samt Pfeilen und Köcher nachgebaut – und auch gleich erprobt. Die gemessene Pfeilgeschwindigkeit von fast 50 Metern pro Sekunde belegt die außergewöhnliche technologische Leistung der Bogenbauer vor 1000 Jahren und macht darüber hinaus auch verständlich, dass man die Steppenkrieger mit ihrer gefährlichen und konkurrenzlosen Fernwaffe, jedenfalls bis zur Erfindung des Schießpulvers, als Geisel Gottes deutete. Für jeden an moderner, wissenschaftlicher Archäologie Interessierten ist dieses Buch eine fast unerschöpfliche Fundgrube.

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