Gerettete Schätze – Afghanistan – Die Sammlung des Nationalmuseums in Kabul

Autor/en: Pierre Cambon, Jean Francois Jarrige (Hrsg)
Verlag: Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland
Erschienen: Bonn 2010
Seiten: 288
Ausgabe: flexibel gebunden
Preis: € 32.–
ISBN: 978-90-78653-20-2
Kommentar: Michael Buddeberg, August 2010

Besprechung:
Es begann wie viele archäologische Projekte: Ein scheinbar belangloser, mit trockenem, vergilbten Gras bewachsener Hügel im Norden Afghanistans, mit etwa 3 Metern Höhe und einem Durchmesser von kaum 100 Metern eher kleiner als viele andere in der näheren Umgebung. Ein paar offenbar recht alte, bemalte Tonscherben auf diesem Hügel hatten das Interesse einer afghanisch-sowjetischen Archäologenexpedition geweckt und man begann 1969 mit Grabungen. Mehr als die Überreste einer alten Ansiedlung und weitere Tonscherben wurden bis zum Einbruch des Winters nicht gefunden. Als das Team im Frühjahr 1970 zurückkehrte hatten sich Straßenbauer des Hügels bemächtigt. Baggerraupen zerwühlten die Mauerreste der freigelegten Siedlung zu Staub und die Zähne der Baggerlöffel wirbelten Keramikscherben durcheinander. Es gelang dem Team, die Arbeiten zu stoppen, gerade noch zum rechten Zeitpunkt – wenige Meter mehr, und die Bagger hätten unwiderruflich das zerstört, was später den Weltruhm von Tillja-Tepe begründet hat. Doch das wusste damals noch niemand. Viele Jahre lag die Ausgrabungsstätte einsam und verlassen bis das Team um den russischen Archäologen Victor Sarianidi im Herbst 1977 einen neuen Anlauf nahm, diesmal mit mehr Erfolg, denn es konnten die Reste eines gewaltigen Monumentalbaus freigelegt werden. Eine archäologische Sensation war das freilich noch nicht. Erst im Spätherbst 1978 funkelte Gold unter dem Spaten eines Arbeiters, das erste Grab mit reichen Grabbeigaben aus Gold war entdeckt, dem fünf weitere folgten. 20.000 goldene Objekte, Schmuck, Waffen, Tierfiguren, Gefäße und tausende Gewandplättchen konnten bis Februar 1979 geborgen werden. Als ein siebtes Grab entdeckt wurde, bereitete der Einmarsch sowjetischer Truppen allem ein Ende. Bekannt wurde der Fund vor allem durch den 1985 in Leningrad erschienenen Prachtband „Baktrisches Gold“, der auch den spannenden Expeditionsbericht von Sarianidi enthält. Gesehen haben den Schatz nur wenige und lange Zeit galt er allgemein als gestohlen oder von den Taliban zerstört. Es war ein gut gehütetes Geheimnis, dass mutige Mitarbeiter des Kabuler Nationalmuseums in der Zeit des größten Chaos zum Ende der sowjetischen Besatzung Afghanistans diesen und andere Nationalschätze in einem Tresor der afghanischen Nationalbank im Präsidentenpalast sicher versteckt hatten. Dieses Gold von Tillja-Tepe bildet nun den zentralen Schwerpunkt der Ausstellung in der Bonner Bundeskunsthalle (bis 3. Oktober 2010). Um ihn herum gruppieren sich drei weitere archäologische Funde, die insgesamt einen Zeitraum von 2000 Jahren von der Frühgeschichte bis zur Zeit der Kushana Herrscher abdecken und die bedeutende Rolle des alten Baktrien als Schnittpunkt zwischen West und Ost dokumentieren. Die bronzezeitlichen Goldgefäße von Tepe Fullol, ein Zufallsfund, Bauern hatten die Beute zum Zwecke der Aufteilung bereits mit dem Beil zerhackt, sind seltene Zeugnisse einer frühen, kaum bekannten Kultur am Oxus, die schon damals Handelskontakte von Mesopotamien bis zum Indus unterhalten haben musste. Fast zwei Jahrtausende später hatten die Griechen am Oxus Fuß gefasst. Die ab 1964 ausgegrabene Kolonie Ai Khanum ist eine Gründung Alexanders der Großen, eine königliche Residenzstadt mit Palast, Tempeln, Gymnasion und Theater. Architektur und bildende Kunst, in Ausstellung und Katalog belegt durch Architekturfragmente, figürliche Plastik und den sogenannten Oxus-Brunnen, einen steinernen Wasserspeier in Form einer grotesken Maske, dokumentieren einen archaischen, griechisch-achämenidischen Stil. Etwa um das Jahr 145 vor unserer Zeitrechnung plünderten und brandschatzten Nomaden die Stadt. Nomaden waren es auch, die dann irgendwann im ersten Jahrhundert nach der Zeitenwende in Tillya Tepe ihren Fürsten beisetzten, dem wohl fünf Frauen seines Hofstaates das Totengeleit gegeben haben. Woher sie kamen und welchem Volk sie angehörten ist nicht mehr feststellbar, dass ihre Goldschmiede aber große Meister waren, dass ihre Tierdarstellungen in der Tradition der Steppenkunst wurzeln und dass sie chinesische, indische und sogar griechische Einflüsse verarbeiteten, ist dem Goldschatz von Tillya Tepe ganz klar zu entnehmen. Ganz anders der Fund von Begram. In einer der landschaftlich schönsten und strategisch wichtigsten Lage des Landes nördlich von Kabul wurde 1937 der ungewöhnliche und rätselhafte Schatz von Begram entdeckt. In zwei versiegelten Kammern wurden Objekte von so außergewöhnlicher stilistischer Vielfalt und geographischer Herkunft gefunden, dass eine Einordnung in einen historischen Kontext bis heute nicht möglich ist. War es die Schatzkammer eines manischen königlichen Sammlers oder das Lager eines internationalen Kaufmanns? Chinesische Lackarbeiten, feinstes Glas, bemalte Becher und kunstvoll geformte Vasen aus dem Mittelmeerraum, Bronzen und elegante Gipsmedaillons, die an Rom denken lassen und schließlich Elfenbeinarbeiten und Reliefs, zu denen bis heute nichts Vergleichbares bekannt ist, machen diesen Fund zu einem der bedeutendsten Schätze in der Archäologie Asiens. Vor allem die Elfenbeine aus Begram, wohl indischer Herkunft, begeistern durch ihre Frische, ihre Intensität und die Vielfalt der meisterhaft umgesetzten Themenbereiche. Geflügelte Löwengreifen, gemessen schreitende Elefanten, zauberhafte Enten und immer wieder wundervolle Frauengestalten, provozierend nackt und entspannt, von vollendeter Natürlichkeit und Freiheit. Der Katalog wurde erstmals 2006 in Paris für das Musée des Arts Asiatiques-Guimet produziert und begleitete die Ausstellung auf ihrem Weg durch Europa, USA und Kanada. Das spannende Schicksal dieser afghanischen Nationalschätze in den vergangenen drei Jahrzehnten wird beschrieben, eng verknüpft mit der bedrückenden Geschichte des Nationalmuseums in Kabul, das zerstört, beraubt und schließlich ein Opfer der Flammen wurde. Schwerpunkt des Kataloges aber sind natürlich die genauen Darstellungen der vier Fundkomplexe und ihre geschichtliche und kunsthistorische Bewertung. Die geretteten Schätze Afghanistans, so schreibt Jean-Francois Jarrige mit einer Anspielung auf Bamiyan, sollen zeigen, dass auch Dynamit im Dienste einer systematischen Massenverdummung nicht in der Lage ist, einen Teil des kulturellen Gedächtnisses der Menschheit aus unserem Gedächtnis zu löschen.

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