Im Zeichen des Goldenen Greifen – Königsgräber der Skythen

Autor/en: Wilfried Menghin, Hermann Parzinger, Anatoli Nagler, Manfred Nawroth (Hrsg)
Verlag: Prestel Verlag
Erschienen: München Berlin London New York 2007
Seiten: 340
Ausgabe: Hardbound mit Schutzumschlag (Verlagsausgabe)
Preis: € 49.95 (Verlagsausgabe)
ISBN: 978-3-7913-3855-2 (Verlagsausgabe)
Kommentar: Michael Buddeberg, Juli 2007

Besprechung:
Im Geschichtsbewusstsein des modernen, aufgeklärten Europäers spielt der eurasische Steppengürtel, der vom östlichen Ungarn und der Schwarzmeerküste bis zum fernen Sibirien reicht, ein wenig beachtetes Schattendasein. Kaum jemand hat von den dort vor Jahrtausenden lebenden Nomadenvölkern gehört oder sich für sie interessiert. Das änderte sich erst im späten 20. Jahrhundert als erstmals Schmuck und anderes Goldgerät von herausragender Schönheit und unglaublicher handwerklicher Meisterschaft, geborgen aus gewaltigen Grabhügeln dieses Steppengürtels in viel beachteten Ausstellungen zu bestaunen war. Man sprach vom Gold der Skythen und hielt ein nomadisches Reitervolk, das in der Steppe nördlich des Schwarzen Meeres gelebt hat, jene Skythen also, für die Urheber dieser Schätze. Die Geschichtsforschung, vor allem aber die moderne, wissenschaftliche Archäologie und mancher glückliche Fund haben seither viel weiteres Material zu Tage gebracht und zu neuen Erkenntnissen geführt. So sind die Skythen aus unserer heutigen Sicht weniger ein bestimmtes Volk oder ein Stamm, sondern eher ein Phänomen, das sich in der Ausbreitung eines bestimmten Kulturverhaltens in den Steppen Eurasiens äußert. Der Begriff Skythen ist daher mehr kulturell als ethnisch aufzufassen und er umfasst verschiedene Kulturen aus unterschiedlichen Zeiten und geographischen Räumen der Steppe, die sich aber durch gemeinsame Merkmale auszeichnen: Es sind Reiternomaden mit einer Führungsschicht, deren erstaunliche Macht und unermeßlicher Reichtum sich in prunkvollsten Bestattungen unter monumentalen Grabbauten manifestiert. Ihr phantastischer Goldreichtum und eine spezifische Tierornamentik, der „Tierstil“, in dem Hirsche und Steinböcke, Pferde und Vögel, Löwen und Raubkatzen, vor allem aber das Fabelwesen Greif eine dominante, ornamentale und symbolische Bedeutung haben, sind weitere, all diesen Kulturen gemeinsame Merkmale. Die Tagar-Kultur aus dem Minusinsker Becken rechnet man dazu, die Pazyryk-Kultur aus dem Altai, die Saken Kasachstans und die Sauromaten aus der Steppe zwischen Don und Ural. Doch wie kam es zu diesen gemeinsamen und für ein Vieh züchtendes Nomadenvolk höchst ungewöhnlichen, kulturtragenden Merkmalen, woher kam der Reichtum, wie entstand dieser prägnante Tierstil und was waren seine Vorläufer? Diese und andere mehr sind Fragen, die sich aufdrängen und auf die bis heute klare Antworten fehlen. Der sensationelle Fund eines unberührten Fürstengrabes aus dem Ende des 7. Jahrhundert v.Chr. am Oberlauf des sibirischen Jennisei in der Autonomen Republik Tuva mit einem aus 5.600 Einzelteilen bestehenden Goldschatz hat die Wissenschaft einer Antwort näher gebracht und war Anstoß für die kaum weniger sensationelle archäologische Ausstellung, die zur Zeit durch Deutschland tourt (Berlin-München-Hamburg) und für das dazu erschienene Begleitbuch. Im Zentrum steht natürlich das Fürstengrab und der phänomenale „Goldschatz von Arschan“ (siehe hierzu die Besprechung des gleichnamigen Buches im November 2006, zu finden im Archiv) und die aus ihm gewonnenen Erkenntnisse, vor allem die sich immer mehr verdichtende Vermutung, dass der Ursprung all dieser kulturellen Kennzeichen, also auch die Entstehung des Tierstils weit im Osten, im Herzen Zentralasiens zu suchen ist und dass frühe chinesische Kulturen einen mitbestimmenden Einfluss hatten. Und es liegt nahe, Macht und Reichtum dieser Steppenfürsten damit zu erklären, dass es zu jener Zeit, also vom 9. bis zum 3. Jahrhundert v. Chr. schon einen nördlichen Strang der Seidenstrasse gab, dass also die Verbindungen, dass Handel und Austausch zwischen Asien und Europa weit intensiver waren, als wir uns das bisher vorstellen konnten. Um diesen Schatzfund von Arschan herum haben nicht weniger als 17 Museen und archäologische Institutionen in Russland, Kasachstan, Ukraine, Iran Rumänien, Ungarn und Deutschland, Ausgrabungsobjekte, Schmuck und Gerätschaften, Waffen, Pferdegeschirre, Trinkbecher und anderes mehr zu einer großartigen Ausstellung beigesteuert und knapp drei Dutzend Wissenschaftler aus Ost und West Essays für eine Publikation geschrieben, die so umfassend wie keine andere bisher diese Epoche beleuchtet. Es ist zwar nicht, wie der Klappentext verheißt, die „umfassende Kulturgeschichte der Skythen“, denn dazu weiß man einfach zu wenig von diesen schriftlosen Völkern, zu wenig von ihrem Siedlungswesen, ihren sozialen und gesellschaftlichen Strukturen und den politischen Gegebenheiten. Doch die materielle Kultur der Skythenvölker ist durch spektakuläre Funde aus Grabhügeln von teils beeindruckenden Ausmaßen, den Kurganen, gut bekannt und in dem Buch glänzend und umfassend präsentiert. Maßgebenden Anteil am Reichtum dieser Funde, die nicht nur aus Gold, Silber Bronze und Eisen bestehen, wie man erwarten könnte, sondern auch Fell, Stoffe, Filz, Leder, Holz bis zu gut erhaltenen Mumien der Bestatteten enthalten, haben besondere klimatische Verhältnisse. Das Kleinklima der Grabaufschüttungen in Verbindung mit ihrer Lage im hohen Altai ließ so genannte „Eiskurgane“ entstehen, in denen sich organisches Material, das normalerweise rasch vergeht, in Eislinsen quasi tiefgefroren bis heute gut erhalten hat. Herausragend sind hier die Funde aus den frostkonservierten Gräbern der Pazyryk-Kultur, die über ihre materielle Qualität und Schönheit hinaus auch einen lebendigen Blick in die geistige, von Naturglauben und Mythen bestimmte Welt dieser frühen Reiternomaden zulassen. Doch auch die moderne Archäologie und fortschrittlichste Untersuchungsmethoden haben ihre Grenzen. Dann kann oft nur noch die Überlieferung und die Geschichtsschreibung weiterhelfen. Immer wieder werden in den Essays schriftliche Überlieferungen aus römischer und vor allem griechischer Zeit den Ausgrabungsfunden gegenübergestellt, denn sie enthalten Informationen, die mit ausschließlich archäologischen Mitteln nicht zu erfahren wären. Der griechische Historiker Herodot (ca. 485-425 v. Chr.) ist hier die reichste Quelle. Über die Begräbnisrituale skythischer Könige schrieb er: „Dann tötet man eines seiner Weiber, seinen Weinschenken, seinen Koch, Pferdeknecht, Leibdiener, Boten, ferner seine Pferde, die Erstlinge alles anderen Viehs und begräbt sie in dem weiten Raum der Grube, der noch leer ist; ebenso auch goldene Schalen, denn Silber- und Erzgeräte nehmen die Skythen dazu nicht. Darauf türmen sie einen großen Grabhügel und suchen ihn so gewaltig wie möglich zu machen“. Archäologische Funde der letzten Jahrzehnte, darunter der Sensationsfund von Arschan 2, haben Herodots grausige Schilderung als präzise Geschichtsschreibung bestätigt. Nicht zuletzt die Verbindung historischer Quellen mit moderner Archäologie macht das Buch neben dem reichhaltigen Bildmaterial und dem hinreißenden Goldgerät zur spannenden Lektüre.

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