Gandhara – Das buddhistische Erbe Pakistans – Legenden , Klöster, Paradiese

Autor/en: Christian Luczanits
Verlag: Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Verlag von Zabern
Erschienen: Bonn und Mainz 2008
Seiten: 384
Ausgabe: Fester Einband mit Schutzumschlag
Preis: € 34.90 (Buchhandelsausgabe bis zum 28.02.2009)
ISBN: 978-3-8053-3916-2 (Buchhandelsausgabe)
Kommentar: Michael Buddeberg, Dezember 2008

Besprechung:
Afghanistan – verfolgt man den Lauf der Geschichte kommt man um die Feststellung nicht herum, dass dieses karge unwegsame Bergland irgendwie eines der geopolitischen Zentren auf diesem Globus ist und in der Tat gibt es kaum eine andere Region dieser Erde, wo fast schon regelmäßig politische Ideen, militante Mächte, verschiedene Religionen und gegensätzliche Kulturen aufeinander stiessen. Die jüngste Geschichte ist hierfür ein treffliches Beispiel. Die sowjetische Besetzung Afghanistans, der vom Westen geschürte Befreiungskampf des afghanischen Volkes, das Erstarken und die Verselbständigung der Taliban, das Entstehen der islamisch-fundamentalistisch begründeten Al Qaeda, der Terrorismus und der gegen ihn geführte Krieg halten die Welt seit fast 30 Jahren in Atem. Dieser politisch-militärisch-religiösen Gemengelage fügten die Taliban im März 2001 einen unerhörten kulturellen Akzent hinzu als sie vor den Augen der Weltöffentlichkeit und gegen deren Protest die beiden kolossalen Buddha-Statuen aus dem 6. Jahrhundert im Tal von Bamiyan in die Luft sprengten. So begann das 21. Jahrhundert buchstäblich mit dem größten Ikonoklast der Weltgeschichte, denn die Buddhas vom Bamiyan hatten eine Höhe von 38 bzw. 55 Metern. Auch 23 Jahrhunderte vorher war hier Unerhörtes geschehen, das wesentlichen Einfluss auf die politische und kulturelle Entwicklung der Antike nehmen sollte. Alexander der Große aus dem fernen Hellas eroberte Ghandara im Jahre 325 v. Chr. und setzte damit einen Prozeß der Begegnung des Okzident mit dem Orient in Gang, der einige Jahrhunderte später in der Kunst von Ghandara seinen Höhepunkt finden sollte. Dieser Kunst ist eine von der UNESCO geförderte Ausstellung in der Bundeskunsthalle in Bonn (bis März 2009, anschließend in Berlin und danach in Zürich) und das dazu erschienene, begleitende Buch gewidmet. Bemerkenswert ist zunächst, dass die weitaus meisten der fast 300 Exponate aus dem afghanischen Nationalmuseum in Kabul und aus pakistanischen Museen in Lahore, Peshawar, Islamabad, Taxila und Saidu Sharif stammen, zu einem sehr großen Teil noch nie im Westen zu sehen waren und nunmehr zum ersten Mal veröffentlicht sind. Es ist eine Kunst, die dem westlichen Auge merkwürdig vertraut erscheint. Ihre Formensprache, die faltenreichen, bis zum Boden reichenden Gewänder der Statuen, die Ebenmäßigkeit und Schönheit der Gesichter und die vermeintliche Darstellung von Inhalten und Motiven aus der antiken griechischen und römischen Kunst des Mittelmeerraumes lassen die Wurzeln dieser Kunst in der europäischen Antike vermuten. Richtig ist gewiss, dass die Künstler und ihre Auftraggeber mit westlicher Kunst vertraut waren und doch ist die Kunst Gandharas eine zutiefst buddhistische Kunst. Um die Zeitenwende wurde der Buddhismus im südasiatischen Raum zu einer kulturprägenden Massenbewegung und es war in Ghandara, wo der bislang vorwiegend nur symbol- oder gleichnishaft, etwa in Form seiner Fußabdrücke, wiedergegebene Buddha erstmals und in großem Umfang personifiziert dargestellt wurde. Möglich war dies unter der toleranten und weltoffenen Herrschaft der aus der ostasiatischen Steppe stammenden Kushana-Dynastie, wobei die bildnis- und portraitorientierte römische Kunst gewiss einen ganz wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung gehabt hat. Vom ersten bis zum fünften Jahrhundert reicht die Blütezeit dieser Epoche, und Ghandara hatte zu jener Zeit auch wesentlichen Anteil an der Weiterentwicklung des Buddhismus zum „Großen Fahrzeug“ und damit an der reichen Ikonographie des Mahayana. So sehen wir in faltenreichen Gewändern, die an hellenistisch-römische Togen erinnern, nicht nur Buddha Shakyamuni, sondern auch die mit reichem kultischen Schmuck versehenen Bodhisattvas Maitreya, Avalokithesvara, Manjusri und viele andere mehr. Besonders reizvoll und von hoher künstlerischer Qualität sind neben diesen Statuen die vielen Dutzend, meist klein- und mittelformatigen Reliefs, die in meisterhafter Darstellung das Erdenleben Buddhas von seiner Geburt bis zu seinem Tode schildern. Auch hier hat unverkennbar die mittelmeerisch-antike Kunsttradition mit ihrem reichen Motivschatz auf komplexe Weise entscheidend auf die spezifische Form der nordwestindischen Bilderzählung eingewirkt und einen einzigartigen Korpus narrativer Plastik geschaffen. Diese Besonderheit der Kunst Gandharas kulminiert in den komplexen Stelen, die den predigenden Buddha in einer kunstvollen Architektur und inmitten einer großen Anzahl ihn umgebender Figuren zeigen. Die berühmte Mohammed-Nari-Stele aus dem Museum in Lahore ist hier ein herausragendes, einzigartiges und bis heute in seiner Bedeutung nicht gänzlich entschlüsseltes Kunstwerk. Ihr allein ist eines der insgesamt drei Dutzend Essays gewidmet, mit denen namhafte Autoren aus der ganzen Welt den Stand der Forschung zur Kunst Gandharas umfassend darstellen. Die Geschichte der Region, die geographischen Voraussetzungen warum hier so viel Geschichte passiert ist, die Entwicklung des Buddhismus in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechung sowie Bedeutung und spezifische Ausdruckformen der Kunst Ghandaras werden in diesen Essays untersucht, vor allem aber die spannende Geschichte der archäologischen Entdeckung dieser Kunst. Und damit sind wir wieder bei der geopolitischen Bedeutung Afghanistans angekommen. Es war die Zeit des „Great Game“, die Zeit der Auseinandersetzung zwischen den Briten, den Russen und China um die Herrschaft in Zentralasien, als britische Militärs die Gandhara-Kunst entdeckten und erste Grabungen begannen, damals vor allem um die Spuren Alexanders der Großen zu entdecken. Zu früh aus unserer heutigen Sicht, denn entsprechend dem damaligen Zeitgeist blieben Umstände und Kontext all dieser frühen Funde undokumentiert, und moderne Wissenschaft und Archäologie vermögen es nur unvollkommen, den verlorenen Kontext wiederherzustellen. So bleiben bis heute die zeitliche und kunsthistorische Zuordnung vieler Objekte ungewiss. Gewiss ist allein, dass das Zusammentreffen einer westlichen Kunsttradition mit einer in Südasien geborenen Idee des menschlichen Daseins eine Kunstform und Kunstwerke geschaffen hat, die das Erbe der Menschheit unendlich bereichern. So bleibt am Ende nur zu hoffen, dass auch die gegenwärtige Krise in Afghanistan, das erneute Aufeinandertreffen gegensätzlicher politischer, ideologischer und religiöser Überzeugungen letzten Endes in eine Erneuerung mündet.

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