Das Große Spiel – Archäologie und Politik zur Zeit des Kolonialismus (1860-1940)

Autor/en: Charlotte Trümpler (Hrsg)
Verlag: DuMont Buchverlag – Ruhr Museum
Erschienen: Köln – Essen 2008
Seiten: 670
Ausgabe: Hardback
Preis: € 49.90
ISBN: 978-3-8321-9063-7
Kommentar: Michael Buddeberg, Januar 2009

Besprechung:
Das Große Spiel – The Great Game – ist ein feststehender Begriff für den imperialen Kampf zwischen England und Russland um Territorien in Zentralasien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, ein Kampf, der zwar nie zum offenen Konflikt führte aber geprägt war von Misstrauen, Drohungen, Bluff und strategischen Konzepten. Eine neue ideologische und geopolitische Gesamtlage war im 19. Jahrhundert entstanden. Angefangen hatte es mit Napoleons Traum von einem nahezu grenzenlosen Imperium, der in dessen Zerschlagung endete. Die Idee machte Schule, der moderne Imperialismus war geboren, der russische Zar versuchte, Kontrolle und Macht über Innerasien zu gewinnen und die Ausdehnung des Britischen Weltreichs auf den Indischen Subkontinent durch die Machtübernahme der East India Company ließ erstmals in der Geschichte fiktive Grenzkonflikte zwischen Russland und England entstehen. Die britischen Bedenken, Russland würde Turkestan als Sprungbrett für den Weg nach Britisch-Indien benutzen, waren greifbar, und schließlich war als dritte, nur schwer einzuschätzende Macht, die mandschurische Qing-Dynastie mit ihrer Eroberung von Teilen der Mongolei und von Ost-Turkestan auf den Plan getreten. Diplomatische, aus heutiger Sicht eher an geheimdienstliche Aktivitäten erinnernde Aktionen bestimmten über Jahrzehnte das politische Geschehen in Zentralasien. Der spektakuläre Eroberungszug von Francis Younghusband nach Tibet im Jahre 1904, getragen von der Absicht, den Russen bei der Eroberung des Dachs der Welt zuvorzukommen war die größte Militäraktion des Great Game und läutete zugleich dessen Ende ein. Die russisch-britische Asienkonvention machte dem Great Game 1907 ein Ende. Das „Große Spiel“, dem der voluminöse Band von DuMont gewidmet ist, ist noch eine Hausnummer größer. Es ist ein globales Spiel und es geht um Imperialismus, Eroberung und Politik mit den Mitteln und unter dem Deckmantel der Forschung und der Archäologie. Das Schachspiel der Nationen – mittlerweile hatten sich das Deutsche Reich und Italien den anderen Großen hinzugesellt – um die besten und prestigeträchtigsten Ausgrabungsplätze dieser Welt war ebenso von Ranküne und Rivalität, von Misstrauen und Spionage, von Machtstreben und Eroberungssucht geprägt wie das Great Game. Das Buch untersucht, wie weit die großen Forscherpersönlichkeiten, die mit Visionen, großen Engagement, Enthusiasmus und unter enormen Strapazen ihre Expeditionen und Grabungen durchführten, bewusst oder unbewusst politisch-imperiale und koloniale Interessen vertraten, ob sie wirklich die Pioniere, Abenteurer und Entdecker waren, als die sie der Mythos der frühen Archäologie betrachtet oder doch nur Figuren in einem globalen Schachspiel. 50 Autoren behandeln in 60 reich mit historischem Bildmaterial versehenen Essays dieses spannende Thema, ein Umfang, der in einer Besprechung kaum angemessen gewürdigt werden kann. Deshalb müssen hier, mit Mut zur Lücke und mit einem großen Kompliment an die Herausgeberin für die Idee zu diesem Buch und zu dem Enthusiasmus, Engagement und Fleiß, die zu seiner Realisierung geführt haben, ein paar Appetithappen genügen, bevor sich mit einigen Anmerkungen zur Archäologie in Zentralasien der Kreis zum Great Game wieder schließt. Wer weiß schon, dass der Franzose Antoine Poidebard um 1930 im Nahen Osten die heute so wichtige und erfolgreiche Luftbildarchäologie begründete? Seine kleine Doppeldeckermaschine mit offenem Cockpit und die großen Plattenkameras erforderten fliegerisches Können und akrobatisches Geschick, um Kamelkarawanen, Ruinen und andere Spuren vergangener Zivilisationen auf die Platte zu bannen. Oder wussten Sie, dass die 1912 von Ludwig Borchardt in Tell el-Amarna ausgegrabene Büste der Nofretete schon 1924 von Ägypten zurückgefordert wurde, dass Hermann Göring 1933 diesem Ansinnen nachkommen und Nofretete König Fuad zu seinem Regierungsjubiläum als Geschenk überreichen wollte und dass erst Adolf Hitler dieses Vorhaben stoppte? Das berühmte und viel bewunderte Ischtar-Tor, eines der Glanzstücke des Vorderasiatischen Museums in Berlin bestand nach seiner 1899 beginnenden Ausgrabung aus hunderttausenden von Ziegelbruchstücken in 300 Holzkisten und es bedurfte der Vision seines Ausgräbers Robert Koldewey und fast dreier Jahrzehnte bis das größte Puzzle der Archäologiegeschichte zusammengesetzt war. Der Pergamon-Altar, die Ausgrabung von Karthago, prähistorische Felsmalereien in der Libyschen Wüste oder das historische Geschenk der Palastfassade von Mschatta vom osmanischen Sultan Abdul Hamid II an Kaiser Wilhelm II sind Themen im Großen Spiel. Wieweit das alles in nationales Prestige und politische Rivalität eingebunden war, zeigt ein Kommentar der britischen Presse, der den Transport des Palastes von Mschatta nach Berlin als Akt des Vandalismus bezeichnete – und dabei die Plünderung des Parthenon-Fries durch Lord Elgin natürlich unerwähnt ließ, aber das war ja auch ein ganzes Jahrhundert früher. Die Frage nach dem Recht zur Verbringung dieser Kunst- und Kulturschätze von ihren Fundorten in die großen europäischen Museen zieht sich, entweder ausdrücklich angesprochen oder auch nur latent präsent, durch fast alle Beiträge. Sie beherrscht natürlich auch die Zentralasien-Archäologie, den Wettlauf russischer, englischer, deutscher und französischer Forscher und Entdecker um die im Wüstensand Innerasiens verborgenen Zeugnisse frühbuddhistischer Kunst. Akteure waren hier weniger die Pioniere in Zentralasien, etwa Prschewalski, dem als hoher Offizier mehr die militärische Aufklärung am Herzen lag, oder Sven Hedin, in erster Linie Geograph und an Archäologie eher beiläufig interessiert. Gleichwohl, Prschewalski, Kozlov und Hedin entdeckten die in der Wüste Taklamakan versunkenen Städte, die ausgedehnten Höhlenkomplexe mit Wandmalereien und die vom Sand verwehten Statuen, Bilder und Manuskripte, die britische, deutsche und französische Expeditionen dann in den ersten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts bargen. Die deutschen Turfan-Expeditionen unter Albert Grünwedel und Albert von Le Coq brachten reiche Ernte. 46 Kisten bei der ersten, 103 bei der zweiten, 128 bei der dritten und 146 Kisten, jede 70 bis 80 kg schwer bei der vierten Turfan Expedition sprechen für sich, und in den Expeditionsberichten wird die handwerkliche Meisterschaft des Museumstechnikers Bartus bei der Ablösung von Wandmalereien gerühmt. Der vielleicht bedeutendste Fundort der Region war aber wohl die Bibliothekshöhle der buddhistischen Mogoa-Grotten von Dunhuang, untrennbar mit dem in britischen Diensten stehenden Ungarn Aurel Stein und dem Franzosen Paul Pelliot verbunden. Weit über 40.000 Dokumente, so schätzt man, lagerten einst in dieser schon im frühen Mittelalter versiegelten Höhle, deren Geheimnis, der Zweck dieses einzigartigen Archivs, bis heute nicht gelöst ist. Stein war dort als erster, um sich aus diesem Schatz an Handschriften und religiösen Malereien zu bedienen. Auch Paul Pelliot, erst Jahre später an Ort und Stelle, konnte als Sinologe und Sprachkundiger eine in die Tausende gehende exquisite Auswahl von Schrift- und Bildrollen treffen. Von dem verbliebenen Inhalt der Höhle, immerhin noch etwa zwei Dritteln des Bestandes, der Jahre später nach Peking gebracht wurde, hat man kaum je wieder etwas gehört. Die Frage nach der Legalität des Handelns, Raub oder Rettung, wird nie wirklich entschieden werden können, da sie je nach dem jeweiligen zeitlichen, kulturellen, historischen, nationalen oder rechtlichen Hintergrund viele Antworten kennt. Bedenken muss man dabei aber zeitgenössische Berichte, dass abgelöste Wandmalereien von lokalen Bauern wegen ihres Strohgehaltes als Dünger benutzt wurden und dass ein anderer Bauer nur kurz vor dem Eintreffen der ersten deutschen Turfan-Expedition mehrere Karrenladungen von Handschriften manichäischen Ursprungs, verziert mit Bildern in Farben und Gold, aus Angst vor ihrem unheiligen Charakter in den Flusse gekippt hat. Raub oder Rettung, die Ursachen dieses nationalen Wettlaufs nach zentralasiatischen Bildwerken und Manuskripten liegen nicht zuletzt im Aufeinandertreffen nationaler Interessen im Großen Spiel.

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