Ming – 50 Years that changed China

Autor/en: Craig Clunas, Jessica Harrison-Hall (Hrsg)
Verlag: The British Museum Press
Erschienen: London 2014
Seiten: 312
Ausgabe: Klappenbroschur
Preis: GBP 25,00
ISBN: 978-0-7141-2484-1
Kommentar: Michael Buddeberg, Dezember 2014

Besprechung:
Geschichtsschreibung ist die Dokumentation vom Wandel der Dinge und Geschichtsbewusstsein nichts anderes als die Einsicht in die grundlegende Unbeständigkeit aller Formen. Nur in China scheint das anders zu sein. Chinesische Historiker vermitteln seit jeher das Bild einer einheitlichen chinesischen Kultur, einer auf Kontinuität und Beständigkeit gegründeten, mittlerweile 5000 Jahre alten Hochkultur, von den Xia, Shang und Zhou bis zur heutigen Volksrepublik, ein Bild, das vom Westen willig übernommen wurde. Das Gegenteil ist richtig, wie ein selbst oberflächlicher Blick auf die Geschichte Chinas zeigt und wie es beispielsweise in Kai Vogelsangs wunderbarer „Geschichte Chinas“ (Stuttgart 2012) nachzulesen ist. Tatsächlich war es eine Vielfalt unterschiedlicher ethnischer, religiöser und regionaler Gruppen, aus denen schließlich Chinesen wurden und das Land der Reich, in dem sie leben, China. Ganz unterschiedliche Lebensweisen und Geisteswelten mussten einander angepasst werden. Eine chinesische Kultur mit all ihren immer wieder wechselnden Erscheinungsformen bildete sich erst als Lösung dieses Problems heraus. Statt Einheit und Kontinuität erscheinen im historischen Rückblick Vielfalt, Wandel und Diskontinuität als bleibende Größe. Die Geschichte Chinas wird nicht durch Monumentalität und Geschlossenheit geprägt, sondern sie fasziniert durch Vielfarbigkeit und Kontraste. Das gilt nicht nur für den Lauf der Jahrtausende, sondern auch im Rahmen von Abfolge und Verlauf einzelner Dynastien. Selbst die Dynastie der Ming (1368-1644), eingebettet in die Fremdherrschaften der Mongolen (Yuan-Dynastie, 1279-1368) und der Mandschuren (Quin-Dynastie, 1644-1911), oft als die han-chinesische Dynastie schlechthin angesehen, war durch alles andere ausgezeichnet als durch Kontinuität. Einem dunklen und grausamen Auftakt unter dem despotischen Emporkömmling Zhu Yuanzhang, dem ersten Ming-Kaiser Hongwu, folgte in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts eine Periode der Weltoffenheit, Prosperität und Blüte, bevor sich China erneut in sich selbst zurückzog und die Dynastie unter schwachen Kaisern schließlich in Bürgerkrieg und Revolution unterging.

Den 50 glanzvollsten Jahren der Ming-Dynastie von etwa 1400 bis 1450, die China – wieder einmal – veränderten, ist eine wunderbare Ausstellung im British Museum (bis zum 05.01 2015) gewidmet. Es ist die Zeit vor allem unter dem Ming-Kaiser Yongle (1403-1424), in der China der größte und mächtigste Staat der Welt war, in der eine kosmopolitische Gesellschaft intensiven Kontakt mit Nachbarn und mit fernen Ländern pflegte und in dieser Zeit von Frieden, Stabilität und Wohlstand auch in Literatur, Wissenschaft und Kunst eine einzigartige Blüte erlebte. Über 250 Objekte, vor allem aus chinesischen Museen aber auch aus privaten und öffentlichen Sammlungen in Frankreich, Deutschland, Korea, den USA und England, Porzellan, Gold, Juwelen, Lack, Möbel, Malerei, Kalligraphie, Textilien und Skulpturen, vermitteln den Eindruck eines goldenen Zeitalters chinesischer Kultur. Aus chinesischer Sicht war es auch ein ganz außergewöhnliches Zeitalter der Reisen und Entdeckungen. Ein ganzes Jahrhundert bevor portugiesische Seefahrer den europäisch-chinesischen Handel begründeten und lange bevor Christoph Columbus Amerika entdeckte und Vasco da Gama das Kap Horn umsegelte rüsteten Ming-Kaiser große Flotten aus, um die Ozeane zu bereisen. China war offen für fremde Einflüsse in Literatur und Wissenschaft, in Kunst und Kultur und brachte chinesische Fertigkeiten, Waren und Ideen nach Indien, in den südostasiatischen Archipel und bis nach Afrika. Es war ein Geben und Nehmen, eine glanzvolle Zeit, wie es sie ähnlich nur während der Han- und der frühen Tang-Dynastie gegeben hatte. Herausragend und prägend waren hier die von Kaiser Yongle unter seinem Admiral, dem muslimischen Eunuchen Zheng He (1371-1433) ausgesandten Flotten, deren Größe heute kaum vorstellbar ist. Mehrere Hundert Schiffe konnte eine solche Flotte umfassen, mit einer Besatzung von weit mehr als 20.000 Seeleuten, Offizieren und Soldaten, Diplomaten und Händlern und man mag sich vorstellen, welchen Eindruck von Macht, Glanz und Größe diese Geschwader demonstrierten als sie vor den Küsten Indonesiens, Indiens, Arabiens und dem östlichen Afrika aufkreuzten. Doch nur wenige unmittelbare Zeugnisse dieser Flotten haben sich erhalten, zum Schiffsbau verwendete Werkzeuge etwa, oder die Spuren der Werftanlagen in Longjiang, denen man immerhin entnehmen kann, dass diese Schiffe eine Länge von 60 Metern und mehr erreichen konnten (zum Vergleich: Die „Santa Maria“ von Christoph Kolumbus maß gerade mal 26 Meter). Doch in Kunst und Kunsthandwerk hat diese Periode der Weltoffenheit Chinas, haben die insgesamt sieben großen Schiffsexpeditionen in der Zeit von 1403 bis 1435 deutliche Spuren hinterlassen. Elefanten und Giraffen auf chinesischen Bildrollen, Porzellan im islamischen Formenkanon aus den kaiserlichen Öfen in Jingdezhen, frühe chinesische Landkarten, die bis zum Atlantik reichen und die Präsenz chinesischer Objekte aus Porzellan, Steinzeug, Lack, Jade und natürlich Seide von Jakarta bis Mogadischu sind Relikte aus dieser chinesischen Periode des Welthandels und der Offenheit, die spätestens unter dem Enkel von Yongle, dem Kaiser Xuande (1426-1435) ihr Ende fand. Die immensen Kosten dieser Expeditionen, die sich nie wirklich amortisierten, sowie Naturkatastrophen und Missernten, die weitere Mittel im Inneren banden, führten dazu, das sich China nach wenigen Jahrzehnten aus dem internationalen Handel wieder ausklinkte. Von Chinas goldenem Zeitalter erzählen in dem Ausstellungskatalog die vielleicht schönsten Porzellane aller Zeiten, prachtvolle Objekte aus Lack und Jade, Möbel, Rollbilder, Skulpturen und Kalligraphie, begleitet von Essays, die diese Zeit aus historischer, geistesgeschichtlicher, kunsthistorischer und ökonomischer Sicht wissenschaftlich aufbereiten.

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