Über den Inhalt des Forschungsprojekts „Holzschnitte aus dem Lehrbuch der Malerei aus dem Senfkorngarten und der Bilder- und Kalligraphiensammlung aus der Zehnbambushalle in der Asien-Sammlung von Emil Preetorius“

Im Jahr 1960 erwarb das Völkerkundemuseum München über 400 Objekte aus der Asien-Sammlung von Emil Preetorius. Darunter befanden sich 78 Holzschnitte aus dem Lehrbuch der Malerei des Senfkorngartens (chin. Jiezi yuan huazhuan), dessen erste Gesamtausgabe in drei Teilen 1701 erschien, und 47 Holzschnitte aus der Bilder- und Kalligraphiensammlung aus der Zehnbambushalle (chin. Shizhu zhai shuhua pu), dessen erste Gesamtausgabe in 16 Heften 1633 erschien. Einige der Blätter wurden bereits vor dem Zweiten Weltkrieg, als sie sich noch im Besitz von Emil Preetorius befanden, ausgestellt.
Während des Jahres 2007 bearbeitete ich die Holzschnitte im Rahmen eines von der Preetorius-Stiftung geförderten Projekts, wobei ein zentraler Aspekt meiner Arbeit in der Datierung der Einzelblätter bestand, die bisher fehlte. Im genauen Vergleich mit den Drucken anderer Sammlungen in den Museen für Ostasiatische Kunst in Berlin und Köln, mehrerer Sammlungen in London und dem Museum für Angewandte Kunst in Wien nahm ich diese Datierung erstmals vor und es gelang mir lediglich im Falle weniger Blätter nicht, die Blätter einer bestimmten Ausgabe des jeweiligen Werks zuzuordnen, da ich hier keine exakte übereinstimmung mit den mir verfügbaren Ausgaben feststellen konnte. Insgesamt stammen die Blätter aus der Zehnbambushalle bis auf zwei Ausnahmen alle aus späteren chinesischen und japanischen Ausgaben des späten 18. oder 19. Jahrhunderts. Lediglich zwei der Blätter sind späte Abdrucke von den Originalplatten der Erstausgabe von 1633. Die Blätter aus dem Senfkorngaren  stammen zum größten Teil aus dessen zweitem Teil und stellen Bambus, Chrysantheme, Pflaumenblüte und Orchidee dar. 25 Blätter sind aus dem dritten Teil (Blumen, Vögel und Insekten) und drei Blätter aus dem ersten Teil (Landschaften). Insgesamt konnte ich 27 Blätter der Jiaqing-Ausgabe von 1800 zuordnen, 23 Blätter der Kangxi-Ausgabe von 1701 (erste Gesamtausgabe) und 10 Blätter der Qianlong-Ausgabe von 1782

Ein Kennzeichen dieser Holzschnittsammlung ist das mehrfache Vorhandensein vieler Motive, die zwei-, drei- oder sogar vierfach repräsentiert sind. Dabei stammen diese entweder aus derselben Ausgabe, da sie offensichtlich mit denselben Holztafeln gedruckt wurden, oder sie gehören ursprünglich unterschiedlichen Ausgaben an.  Unter den Blättern aus dem Senfkorngarten bleiben daher nur noch 52 unterschiedliche Motive, unter denen aus der Zehnbambushalle 37.

Die zweite Fragestellung meiner Arbeit bestand in der Interpretation der lyrischen Bildaufschriften – diese sind fast alle Auszüge aus poetischen Werken berühmter Dichter- und Bildtitel einer Auswahl von 15 Blättern aus dem Senfkorngarten, die Chrysanthemen und Pflaumenblüten abbilden. Diese formen mit Bambus und Orchidee die Gruppe der Vier Edlen, denen unter allen Pflanzen in der Malerei ein spezifischer Stellenwert zukommt aufgrund der mit ihnen verbundenen Symbolik, die sich, lange bevor sie als eigenes Genre in der Malerei zur Geltung kam, in der Literatur entwickelte. Die Bildaufschriften der erwähnten Drucke enthalten eine Reihe gängiger poetischer Bilder, literarischer Anspielungen, Metaphern oder Vergleiche, die erkennen lassen, was der Mensch von Bildung mit der abgebildeten Pflanze verband und welche Bedeutung ihr als Motiv der Lyrik und schließlich der Malerei zukommt. Neben der Maltechnik vermittelt der Senfkorngarten somit auch einen, wenn auch geringen Ausschnitt der vielschichtigen, der Pflaumenblüte und der Chrysantheme eigenen Poesie, Metaphorik und lyrischen Tradition, die ein fester Bestandteil der kulturellen Tradition Chinas ist.

Mai-mai Sze erklärt im Vorwort ihrer übersetzung des Senfkorngartens dieses Werk als charakteristische Erscheinung seiner Zeit. 1644 fiel die Ming-Dynastie und China geriet wiederholt in die Hände einer Fremdherrschaft. Eine aus diesem Umstand resultierende Tendenz der chinesischen Gelehrten, die glorreiche künstlerische und wissenschaftliche Vergangenheit des eigenen Landes durch das Zusammentragen und Kompilieren von Kunstwerken oder Dokumenten der chinesischen Vergangenheit wieder aufleben zu lassen und an sie zu erinnern, zeigt sich auch im Senfkorngarten, der in einer Malschule systematisch die Glanzpunkte der chinesischen Kunstgeschichte präsentiert. Dies zeigt sich ebenso deutlich in den Aufschriften und Titeln der Chrysanthemen- und Pflaumenblütendrucke, die zusätzlich eine Auswahl von konventionellen, die chinesische Kulturtradition prägenden und dem gebildeten Publikum bekannten Themen beinhalten. Die gezeigten Drucke blieben ohne ihre lyrischen Aufschriften bedeutungsärmer und erhalten vor allem durch diese Lebendigkeit, Tiefe und Wichtigkeit.

 Bild: Chrysanthemen-Druck aus dem Senfkorngarten, Qianlong-Ausgabe von 1782.


Bild: Chrysanthemen-Druck aus dem Senfkorngarten, Qianlong-Ausgabe von 1782.

 Druck aus Teil 7 der Zehnbambushalle, Später Druck mit den Platten der Erstausgabe von 1633


Druck aus Teil 7 der Zehnbambushalle, Später Druck mit den Platten der Erstausgabe von 1633