Japanische Keramik – Aufbruch im 20. Jahrhundert

Autor/en: Gisela Jahn
Verlag: VDG Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaften
Erschienen: Weimar 2014
Seiten: 664
Ausgabe: Hardcover
Preis: € 82,00
ISBN: 978-3-89739-744-6
Kommentar: Michael Buddeberg, November 2014

Besprechung:
Die ganze Schönheit und das Geheimnis japanischer Keramik lässt sich ohne ihren vornehmsten Inhalt nicht begreifen: den Tee. Buddhistische Mönche brachten ihn vermutlich im 8. Jahrhundert aus China über Korea nach Japan und seither war sein Genuss und die Art und Weise, ihn zu trinken, eng mit dem Zen-Buddhismus verbunden. In der abgeschiedenen Welt der Klöster aber auch an den Höfen des japanischen Schwertadels entwickelte sich der Genuss von Tee zum Kult, zunächst natürlich unter Verwendung des hochgeschätzten chinesischen Porzellans. Auseinandersetzungen mit Korea – man nennt sie heute „Keramikkriege“ – waren militärisch fast bedeutungslos, brachten jedoch keramisches Know How und koreanische Handwerker nach Japan und waren der unmittelbare Anlass dafür, dass das späte 16. und frühe 17. Jahrhundert, also die Momoyama- (1573-1624) und die frühe Edo-Zeit (ab 1624) zum goldenen Zeitalter der japanischen Keramikkunst wurde. Der Teeweg, chado, und sein wichtigster Ausdruck, die Teezeremonie, chanoyu, wurden als spezifisch japanische Kunstform geschaffen. Okakura, Chronist des Teeweges im 20. Jahrhundert, schrieb: „Tee ist ein Kunstwerk und braucht die Hand des Meisters, um seine edelsten Eigenschaften zu offenbaren“, und er meint damit den gesamten Vollzug: die Güte des Tees und seine Zubereitung, das Ritual des Darreichens und Trinkens, die Harmonie zwischen Gastgeber und Gästen, den Teeraum und dessen Ausschmückung mit einem Kunstgegenstand und natürlich die Teeutensilien, deren Herzstück die Teeschale aus Keramik ist. Ihre Hersteller genossen höchstes Ansehen und ihre Schöpfungen waren hoch begehrt. Das blieb so in der Zeit der japanischen Abschottung bis die von westlicher Militärpräsenz gewaltsam erzwungene Öffnung Japans in allen Lebensbereichen, auch in der Keramikszene, zu dramatischen Änderungen führte. Japans Teilnahme an Weltausstellungen, die durch den aufkommenden Japonismus explodierende Nachfrage des Westens nach japanischen Waren und die japanische Anstrengung, Anschluss an die westliche Industrialisierung zu finden, waren der Todesstoss für das traditionelle keramische Handwerk. Massenfertigung nach westlichem Vorbild, das Primat von Exportware mit verminderter Qualität und zweifelhafter Schönheit, führten zum raschen Verlust von Tradition und Know How. Die im Zuge der Meiji-Restauration vollzogene radikale Abschaffung der althergebrachten feudalen Strukturen – man denke hier etwa an das Dekret von 1876, das das Tragen von Schwertern verbot und von einem zum anderen Tag den Berufsstand der Schmiedemeister und Ziseleure auslöschte – entzog dem keramischen Handwerk den Boden. Doch die Wende kam relativ rasch. Schon zum Ende der Meiji-Zeit (1867-1912), vor allem aber in der Taisho-Zeit (1912-1926) besannen sich Handwerk und Intellekt, ja sogar Gesellschaft und Politik des bedeutenden Erbes japanischer Handwerkskunst und es kam zu einer Renaissance des japanischen Kunsthandwerks. Dieser Renaissance der japanischen Keramik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist das beeindruckende Werk von Gisela Jahn gewidmet. Es umfasst die spannende Zeit vom Ausklingen der Meiji-Zeit bis zum Kriegsende, die in Japan der Aufbruch in die Moderne ist, zugleich aber auch die Wiederentdeckung der japanischen Stile der Momoyama-Zeit. Es ist die Geburtsstunde der „traditionellen modernen Keramik“, die in der zweiten Hälfte des 20 Jahrhunderts bis heute den überragenden Ruf japanischer Keramik, vor allem der so genannten Tee-Keramik aber auch der Objekt-Keramik begründete.

Der Niedergang traditioneller Keramik in der Meiji-Zeit und die Neuorientierung des japanischen Kulturlebens im frühen 20. Jahrhundert sind in Ursache und Wirkung ausgesprochen komplexe Vorgänge mit politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Hintergründen und Folgen, denen Gisela Jahn minutiös in allen Verästelungen nachgeht. Ihr Buch ist daher weit über das keramische Thema hinaus eine einzigartige Dokumentation einer für Japan ungemein spannenden Zeit, die das Land bis heute prägt. Die plötzliche Öffnung nach Jahrhunderten der Abschottung, die fast bedingungslose Westorientierung mit forcierter Industrialisierung, dann aber auch das allmähliche Bewusstwerden der Wurzeln der eigenen japanischen Kultur haben Einfluss auf alle Lebensbereiche, auf Bildung und Ausbildung, Handel und Verkehr, Architektur und Handwerk, Museums- und Auktionswesen, Wohnen und Einrichten, bis hin zur Mode und zu den Ess- und Trinkgewohnheiten – und nichts davon bleibt in dieser Monographie des japanischen Aufbruchs im 20. Jahrhundert unbehandelt. Doch zurück zur Keramik: Die Weltausstellung in Paris 1900 zeigte, dass sich Europa und USA mit dem Aufkommen des Jugendstils nicht mehr für japanische Export-Keramik interessierte. Ein Umdenken begann, der japanische Bedarf und die eigene Kultur rückten wieder mehr in den Vordergrund, die japanische Volkskunst, „mingei“, wurde entdeckt und ausländische Sammler taten ein Übriges, dass Japan wieder seiner eigenen Kultur gewahr wurde. Eine spezifisch japanische Kunstgeschichte begann sich zu entwickeln, Ausstellungen und Museen förderten den Trend und 1907 eröffnete der Premierminister die so genannte Bunten (ab 1919: Teiten), die Kunstausstellung des Erziehungsministeriums, die allerdings vorerst westlichem Muster folgend, nur Malerei und Bildhauerei zeigte. Eine neue Keramikszene formiert sich, Ateliers entstehen, doch hindert die vom Westen übernommene Unterscheidung von Kunst und Kunsthandwerk den Durchbruch. Dieser ist dann 1927 geschaffen, als das Kunsthandwerk zur Teiten, damals veranstaltet von der kaiserlichen Akademie der Schönen Künste, zugelassen wird. Mit der Stilentwicklung der traditionellen modernen Keramik in deren Zentren Seto und Kyoto klingt Teil I des Buches aus. Im zweiten Teil werden Biographie und Werk von neun bedeutenden Keramikkünstlern aus jener Aufbruchszeit vorgestellt und hier findet sich dann auch der Löwenanteil der insgesamt 437 in dem Buch abgebildeten Keramiken, vornehmlich natürlich Teekeramik und neben den obligaten Teeschalen auch Teedosen, Teekannen, Vasen, Kaltwassergefäße, Schalen-Sets und anderes mehr. Es versteht sich, dass vor allem hier die Brenn- und Glasurtechniken von bizen bis reku und viele andere mehr in Wort und Bild studiert werden können und dass ein umfänglicher Anhang mit Glossar, Zeittafel und allerlei hilfreichen Registern das Werk abschließt. Gisela Jahn ist mit diesem Buch ihr opus magnum gelungen, das für lange Zeit der Maßstab für Literatur über japanische Keramik sein wird.

Print Friendly, PDF & Email