Belutsch-Textilien – Zurück zu den Wurzeln

Belutsch-Textilien – Zurück zu den Wurzeln

Autor/en:         Jörg Affentranger, Wolfgang Windau

Verlag:            Affentranger und Windau

Erschienen:     Muttenz und Emmendingen 2023

Seiten:             312

Buchart:          Leinen

Preis:               € 95,00

ISBN:             978-3-00-077144-9 (Deutsch), 978-3-00-077144-6 (Englisch)

Kommentar:    Michael Buddeberg

 

Jörg Affentranger ist Bauingenieur und Gründer eines namhaften Basler Büros für Tragwerksplanung. So viel nur zum beruflichen Hintergrund des Autors, Kenners und Sammlers der nur wenig bekannten Flachgewebe der Belutschen. Der Anfang war vielleicht die leicht verspätete Hochzeitsreise, die er mit seiner Frau Silvia in den sechziger Jahren nach Persien unternahm. Diese erste Begegnung mit dem Orient war jedenfalls prägend und nachhaltig. Geschichte, Landschaften und Bauwerke, die Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft der Menschen und vor allem die allgegenwärtige Präsenz von Teppichen und Textilien legten wohl den Keim zur drei Jahrzehnte später ausbrechenden Sammelleidenschaft mit einem Interesse für Belutsch-Teppiche und schließlich der Spezialisierung auf die großen, von ihren Schöpfern selbst als palas bezeichneten und für den Boden bestimmten Flachgewebe der Belutschen.

Das Ende November dieses Jahres vorgestellte Buch über die Textilien der Belutsch Stämme zeigt eine repräsentative Auswahl von mehr als einhundert dieser nur wenig bekannten und im Buch durchgehend seitengroß und farblich präzise wiedergegebenen Flachgewebe aus den Sammlungen Affentranger und Windau. Diese Kollektionen sind, je für sich und zusammen mit ca. fünfhundert Exemplaren weltweit konkurrenzlos. Angaben über Größe, Alter und Herkunft, über die Struktur, die Anzahl von Farben und der stets mehreren in einem Stück nebeneinander angewandten Flachgewebstechniken werden ergänzt durch Detailabbildungen, die einen noch besseren Eindruck von der Schönheit und Vielfalt dieser Kunstwerke vermitteln.

Das alles reicht bereits für eine Buchempfehlung. Doch es kommt noch faustdick: Jörg Affentranger hat von 2001 bis 2017 dreizehn akribisch vorbereitete Reisen in die zum Teil abgelegenen Siedlungsgebiete der Belutschen im Iran unternommen, um das nur noch fragmentarisch, meist bei alten Frauen vorhandene Wissen über dieses Kulturgut vor dem endgültigen Vergessen zu bewahren. Mit Hilfe der ihm eigenen Hartnäckigkeit, sorgfältig vorbereiteter Fragebögen und kompetenter iranischer Helfer und Dolmetscher ist es Affentranger gelungen, ein nahezu unmöglich erscheinendes Puzzle über die Geschichte der Belutsch-Stämme, über ihre Flachgewebe und deren stammestypisches Design zu einem Bild zu formen. Das ist Feldforschung vom feinsten in Zeiten, die für ein solches Vorhaben längst vergangen scheinen.

Mit der Publikation der wesentlichen Ergebnisse dieser Forschungsarbeit ist das Buch weit mehr als die bloße Vorstellung bisher wenig bekannter Flachgewebe. Mindestens zehn Stämme der Belutschen, von denen hier die Djan Beghi, die Arab und die Timuri beispielhaft erwähnt sein sollen, werden mit ihrer Geschichte und ihren Flachgeweben, garniert mit Fotos und mit allerlei Abenteuern und Anekdoten, die ein solches Unternehmen mit sich bringt, vorgestellt. Daraus wird vor allem deutlich, dass diese bodendeckenden, großen Flachgewebe und nicht die Knüpfteppiche der eigentliche Ursprung und seit Jahrhunderten das zentrale Objekt der textilen Kultur der Belutschen sind. Erst der nach dem Zweiten Weltkrieg beginnende ökonomische Wandel, vor allem die von oben verordnete Abkehr vom Nomadismus zur Sesshaftigkeit hatte ein jähes Ende der traditionellen Flachgewebskultur zur Folge. Die Notwendigkeit eines Beitrags der Frauen zum Familieneinkommen beendete die bis in die fünfziger Jahre gleichsam bestehende Pflicht der Frauen, für Aussteuer, Familie und Zelt große aber unverkäufliche Flachgewebe zu weben, nur um mehr und mehr kleine marktgängige und daher gut verkäufliche Teppiche zu knüpfen. Die Produktion der palas und die dazu erforderlichen Fähigkeiten und Webtechniken gerieten rasch in Vergessenheit und sind heute, wenn überhaupt, nur noch in den schmalen, flachgewebten Abschlüssen der Belutsch-Teppiche zu finden.

Jörg Affentranger hat seine durch die intensive Feldforschung gewonnenen Erkenntnisse stets zeitnah in Schrift und Zeichnung akribisch festgehalten. Tagebücher, ausgefüllte Fragebögen, Musterzeichnungen auf Millimeterpapier und Fotografien wuchsen im Laufe der Jahre zu einem Archiv über die textile Kultur der Belutschen. Der Wunsch nach einer Weitergabe dieses Wissens in einer Publikation rückte mit dem wachsenden Umfang dieses Archivs in immer weitere Ferne und wäre wohl gescheitert, hätte sich nicht mit Wolfgang Windau ein idealer Partner für eine überaus fruchtbare Kooperation gefunden. Selbst Sammler der großformatigen palas der Belutschen bildete Wolfgang Windau mit seinem Freund Jörg Affentranger ein Team, das gemeinsam aus dem Material tragbare Zuschreibungen und zusammenfassende Texte schuf und vor allem die komplizierte Logistik in Angriff nahm, aus alldem ein Buch zu formen, herzustellen und zu einem bewundernswerten Ergebnis zu bringen. Ein ganz großes Kompliment für diese Teamarbeit sei an dieser Stelle ausgesprochen.

Doch zurück zu den Hauptakteuren dieser Publikation, den palas der Belutschen. Mit dem verbreiteten Vorurteil zum Belutsch-Teppich, „dunkel und wenig Farben“, räumen die großen Flachgewebe gründlich auf. 7, 8, manchmal sogar 10 unterschiedliche Farben sind fast die Regel und ein leuchtendes Rot, oft auch hellblau oder gar grün sind neben dem obligatorischen Weiß immer dabei. Faszinierend und verglichen mit den Flachgeweben anderer orientalischer Kulturen besonders hervorzuheben ist die Vielfalt und das Nebeneinander unterschiedlicher Flachgewebstechniken in ein und demselben Stück. Neben der Feinheit vieler der palas ist es vor allem diese technische Besonderheit, die ursächlich ist für die erstaunliche und dennoch immer harmonische Mustervielfalt dieser Flachgewebe. Dass sie allesamt dem Typus Streifengewebe zuzuordnen sind, ist eine weitere Eigenheit und ein wichtiges Wiedererkennungsmerkmal.

Das Buch ist in einer deutschen und einer englischen Ausgabe erhältlich über Wolfgang Windau, Am Schaffhauser 4, D-79312 Emmendingen, E-Mail: wolfgang-windau@t-online.de.

 

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