Four Centuries of Blue & White – The Frelinghuysen Collection

Four Centuries of Blue & White – The Frelinghuysen Collection

Autor/en:        Becky MacGuire

Verlag:            Ad Ilissum – Paul Holberton Publishing

Erschienen:     London 2023

Seiten:             432

Buchart:          Leinen mit Schutzumschlag

Preis:               GBP 90,00

ISBN:               978-1-915401-09-0

Kommentar:    Michael Buddeberg

 

Dass Porzellan in China erfunden wurde ist unstreitig. Doch wann und wo in diesem Jahrtausende alten Riesenreich zum ersten Mal echtes Porzellan aus einem Brennofen genommen wurde ist alles andere als klar und hängt von allerlei Parametern ab, etwa welche Ausgangsstoffe, Zusammensetzungen und Brenntemperaturen notwendig sind, damit man von Porzellan sprechen kann. Etwas einfacher wird die Frage nach dem wann und wo, wenn es um das mit Kobalt-Farben unter der Glasur dekorierte Porzellan, das berühmte Blau-Weiß geht. Vielleicht schon während der Song-Dynastie (960-1279), sicher aber unter der Herrschaft der Mongolen in der Yuan-Dynastie (1279-1368) wurde das Kobalt-Blau zum bevorzugten Porzellan-Dekor und erreichte seinen Höhepunkt in der Zeit der Ming-Dynastie (1368-1644). Es war also just jener Zeitraum, in dem erste China-Reisende wie Marco Polo im späten 13. Jahrhundert Berichte über das ferne Land und seine wundersamen Erzeugnisse nach Europa brachten und erste Exemplare von Blau-Weiß auf dem beschwerlichen Landweg den Westen erreichten. Sie erregten Staunen und Bewunderung, gelangten in die königlichen und fürstlichen Schatz- und Wunderkammern und erweckten den Ehrgeiz einer Zunft von Forschern die man heute pauschal als Alchimisten bezeichnet.

Bis allerdings Johann Friedrich Böttger und sein kurfürstlicher Auftraggeber August der Starke im frühen 18. Jahrhundert im sächsischen Meißen das erste europäische Porzellan in Händen hielten, vergingen vier aufregende Jahrhunderte, in denen Porzellan aus Fernost, insbesondere in seiner Ausformung als Blau-Weiß dank der Entdeckung des Seewegs und der dadurch möglichen Ausweitung des Handels einen Boom sondergleichen erlebte. In Jingdezhen in China, aber auch in Arita in Japan wurde in unzähligen Brennöfen spezielles Porzellan für den Export nach Südostasien, nach Thailand und vor allem nach Europa in verschiedenen polychromen Varianten und in Blau-Weiß hergestellt.

Der Amerikaner Rodney Frelinghuysen, lange Jahre Repräsentant des Staates New Jersey im US-Repräsentantenhaus, hat in einem Zeitraum von 50 Jahren eine Sammlung von Blau-Weiß aufgebaut, die als die wohl repräsentativste Kollektion dieses Genres in privater Hand bezeichnet werden kann. Sie umfasst knapp eintausend Positionen und zählt wegen der häufig paarweise oder in größeren Sets vorhandenen Stücke wie etwa Serien gleichartiger Teller weit über eintausend Eintzeltreile. Dieser grandiosen Sammlung ist ein bei Holberton in London soeben erschienener Katalog gewidmet, der in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert ist.

Zunächst ist das Konzept des Sammlers, das Blau-Weiß-Exportporzellan in seinem kaum überschaubaren Variationsreichtum zu erfassen, überzeugend gelungen und in dreizehn Kapiteln sachlich aufgegliedert. Es beginnt mit religiösen Themen, die von christlichen Kreuzigungsdarstellungen bis zu islamischen Moscheelampen reichen. Dann wird das breite Thema Essen und Trinken behandelt, von Salz- und Senfgefäßen über Teller bis zu aufwändigen Deckelterrinen, mit Krügen, Kannen und kleinen Stamperln für den Genuss von Gin. Apothekengefäße, Jardinièren und Tintenfässer stehen für sonstiges Allerlei, bevor Leuchter und Vasen das Thema Einrichtung abhandeln. Mit Figuren von Arhats und Pagoden tragenden Elefanten finden Wesen aus Fleisch und Blut ihr in Porzellan geformtes Abbild und leiten über zu europäischen Szenen und Landschaften und schließlich zur Darstellung von Schlössern, Palästen und Stadtansichten. Nicht zuletzt wird unter der Überschrift „Identität“ das schier unerschöpfliche Thema der mit Adelswappen und sonstigen persönlichen Insignien verzierten Porzellanobjekte schwerpunktmäßig behandelt, sind es doch diese, die vor allem ein Licht auf den Porzellanboom jener Zeit werfen, da von der Bestellung bis zur Auslieferung, nicht zuletzt durch den zweimaligen und durchaus gefährlichen Seeweg Jahre vergehen konnten, bis das bestellte und wunschgemäß dekorierte Speiseservice seinen Auftraggeber erreichte. Exportware für den südostasiatischen Markt und für Thailand sowie das in Japan für den Export nach Europa bestimmte Blau-Weiß vervollständigen die Darstellung zu einem Hand- und Vergleichsbuch, das keine Fragen offen lässt.

Über diese Handbuchqualität hinaus fasziniert „Blue & White“ den Liebhaber und Kenner chinesischen Porzellans durch die begleitenden Texte. Das sind neben den ausführlichen Beschreibungen der Objekte und den notwendigen Angaben zu Herkunft, Alter und Maßen, zur Provenienz und zu Vergleichsstücken aus der Feder von Becky MacGuire (V&A, Christie´s) die Einführung des Porzellanexperten William Sargent (Peabody Essex Museum, Salem), der Beitrag von Angela Howard, (Witwe des 2005 verstorbenen David Sanctuary Howard, Verfasser des zweibändigen Standardwerkes über Chinese Armorial Porcelain und Gründer der Galerie Heirloom & Howard) und das Resümee des Sammlers selbst. Rodney Frelinghuysen beschreibt, wie er mit 18 Jahren das erste Stück Porzellan – eine Imari-Schale – erwarb und stolz nach Hause trug, damit aber bei seinem Vater Peter Frelinghuysen, selbst Sammler von chinesischem Exportporzellan, allerdings in seiner polychromen Spielart, keine Begeisterung erwecken konnte. Doch die Leidenschaft war geweckt und Rodney war mehr und mehr von Blau-Weiß fasziniert, lernte David Howard und viele weitere Sammler und Experten kennen und wurde schließlich selbst ein solcher. Das immer tiefere Eintauchen in ein Sammelthema, das damit gleichsam zufliegende Fachwissen und vor allem die Begegnung, der Austausch und die Freundschaft mit Gleichgesinnten als der wertvollste Teil des Sammelns ist die Botschaft, die dieses außergewöhnliche Buch vermittelt. Die begleitenden Fotos aus dem alten Farmhaus der Familie Frelinghuysen in New Jersey gewähren einen intimen Blick in ein Porzellankabinett, wie es sicherlich kein zweites  gibt.

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