Parviz Tanavoli – Poets, Locks, Cages

Parviz Tanavoli – Poets, Locks, Cages

Autor/en:         Haghighi Pantea

Verlag:            Hirmer Publishers

Erschienen:     München Vancouver 2023

Seiten:             192

Buchart:          Hardcover

Preis:               € 55,00

ISBN:             978-3-7774-4159-7

Kommentar:    Michael Buddeberg

 

Farhad „The Mountain Carver“ war Künstler am Hofe des sassanidischen Königs Khosrow II (ca. 590-628). Einer persischen Legende zufolge zog er eines Tages aus, einen Berg von einem zum anderen Ende zu bearbeiten, eine gewaltige Treppe aus dem Fels zu hauen, „um das Unmögliche möglich zu machen“, und die geliebte armenische Prinzessin Shirin zu freien. Das Vorhaben scheiterte, Farhad stürzte sich vom Berg zu Tode, doch die Legende von Farhads bildhauerischem Höhenflug hätte durchaus das Zeug zur Begründung einer persischen Bildhauertradition. Doch dann fegte der Islam über das Land und erstickte alles bildhauerische Bemühen um ein Abbild des Menschen, sei es aus Holz, Stein oder Metall.

Parviz Tanavoli, der bekannteste und bedeutendste persische Bildhauer und Künstler unserer Zeit bedauert das Fehlen von Vorläufern, in deren Fußstapfen er seine Entwicklung hätte einbetten können und beruft sich daher, dies aber mit Überzeugung, auf Farhad als sein großes Vorbild. Tatsächlich jedoch erhielt der 1937 in Teheran geborene Künstler eine Ausbildung im Westen, in Carrara und dann in Mailand bei Marino Marini, kehrte 1960 nach Teheran zurück und entwickelte eine vollkommen neue, skulpturale Ästhetik, eine moderne, zeitgenössische Bildsprache, die dennoch in der persischen Kultur wurzelt,

Die Vancouver Art Gallery – Tanavoli lebt und arbeitet seit 30 Jahren in Vancouver – widmet eine Ausstellung und den dazu bei Hirmer in München erschienenen Katalog unter dem Titel „Poeten, Schlösser, Käfige“ diesem vielleicht wichtigsten Botschafter persischer Kultur und seinem skulpturalen Werk. Die Arbeiten mit dem Schwerpunkt auf seinen Bronze-Skulpturen – nebst einigen Gemälden und Keramiken – entstanden in einem Zeitraum von mehr als fünfzig Jahren. Sie belegen, dass Tanavoli ungeachtet seiner eher konventionellen, westlich geprägten Ausbildung in seiner Heimat rasch zu einer sehr individuellen Formensprache fand, die sein Werk bis heute unverwechselbar prägt. Der „Poet with Locks“, der Poet mit Schlössern aus dem Jahre 1972, der den Eingangsbereich des City-Theaters in Teheran dominiert, ist hier ein prägnantes Beispiel. Unverkennbar eine menschliche Figur, zusammengesetzt aus kantigen Käfigen und Vorhängeschlössern trägt sie einen überdimensionierten Schlüssel gleichsam  als ein Symbol der Öffnung oder Befreiung aus allem Zwang. Doch dies ist nur eine von vielen möglichen Interpretationen, die Tanavolis Stil, der irgendwo zwischen Abbild und Abstraktion zu verorten ist, möglich macht oder geradezu dazu herausfordert. Und trotz der Technizität seiner Bronzen und der auf geometrischen Grundformen beruhenden Gestaltungsmerkmale sind sie Skulptur gewordene Poesie. Tanavolis Werk ist durchdrungen von den persischen Dichtern Rumi, Hafiz und Saadi, ist persische Mystik mit einer Ästhetik von symbolischer Kraft und moderner Abstraktion. Und von der Poesie ist es nicht weit zu Schrift und Kalligraphie, die in Tanavolis Schaffen immer wieder eine Rolle spielen, etwa bei der Bronze Heech (Nichts), einem frei auf einem Holzsockel schwebenden kalligraphischen Zeichen, das in einer anderen Ausführungsform sich aus einem Käfig zu befreien scheint, oder bei den Stelen, die ein Keilschriftmotiv aus Persepolis phantasievoll interpretieren.

Zum Renommée und zur Bedeutung von Tanavoli darf seine enge und langjährige Freundschaft mit der amerikanischen Sammlerin Abby Grey (1902-1983) nicht unerwähnt bleiben. Abby Grey engagierte sich seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts bis zu ihrem Tod für Künstler aus der Türkei, dem Iran und Indien und baute mit zunehmender Kennerschaft und Intuition eine einzigartige Sammlung von zeitgenössischer Kunst aus diesen Ländern auf, die sich heute in der Abby Grey Art Gallery der New York University befindet (Lynn Gumpert, „Modernisms“, Hirmer Verlag 2019, Rezension im Dezember 2019). Abby Grey erkannte das Talent des jungen Tanavoli, ermöglichte ihm eine Lehr- und Schaffenszeit am Minneapolis College of Art und setzte mit ca. 80 Arbeiten von Tanavoli in ihrer Sammlung einen deutlichen Akzent. Viele Begegnungen, vor allem aber ein nie abreißender Briefwechsel zwischen Abby Grey und Tanavoli stehen für diese enge Beziehung zwischen Sammlerin und Künstler.

Mit seinem vielseitigen skulpturalen Schaffen ist Parviz Tanavoli nur unzureichend gewürdigt. Als Lehrer hat er eine ganze Generation junger persischer Künstler betreut, hat sich mit persischer Kunst- und Kulturgeschichte befasst, 1977 das Museum zeitgenössischer Kunst in Teheran initiiert und in beachtlichem Umfang persische Volkskunst gesammelt, hier vor allem die Teppiche und Textilien der persischen Bauern und Nomaden. Tanavolis Publikationen über Löwenteppiche aus Fars, über geknüpfte Arbeiten der Shasavan und Afshar, über persische Bildteppiche, über Sofreh und Tacheh bis zur Monographie über persische Flachgewebe wurden zu geschätzten Handbüchern für Händler, Museen und Sammler.

 

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