Ida Paulin – Glaskunst made in Augsburg

Ida Paulin – Glaskunst made in Augsburg

Autor/en:         Sarah Klein und Christoph Trepesch (Hrsg.)

Verlag:            Schnell + Steiner

Erschienen:     Regensburg 2024

Seiten:             464

Buchart:          Hardcover

Preis:               € 45,00

ISBN:             978-3-7954-3828-9

Kommentar:    Michael Buddeberg

 

München war um 1900 eines der europäischen Kunstzentren schlechthin. Sammlungen, Museen und ein florierender Kunsthandel schufen den Boden, auf dem die Kunst prächtig gedieh. Darüber hinaus zog die renommierte Akademie der Bildenden Künste viele Kunstschaffende in die Stadt. Doch das galt nur für Männer, Frauen hatten es ungleich schwerer. Eine akademische Ausbildung war ihnen verwehrt, denn bis 1920/21 wurde keine Frau in die Akademie aufgenommen. Für sie gab es nur die private „Damen-Akademie“, eine vom Künstlerinnen-Verein München 1884 gegründete Institution, deren Lehrplan sich an dem der Akademie der Bildenden Künste orientierte, den Studentinnen eine umfassende künstlerische Ausbildung bot, die aber durch ein hohes Schulgeld mancher begabten Frau verwehrt blieb.

Die Augsburgerin Ida Paulin (1880-1955) machte an dieser Münchner Damen-Akademie ihre ersten Schritte in die Welt der Kunst und man darf wohl annehmen, dass sich Ida Paulin und die etwa gleichaltrige Gabriele Münter (1877-1962) dort begegneten, zumal beide Frauen den Unterricht von Angelo Jank besuchten und beide den Schwerpunkt ihrer Kunstausbildung auf die freie Malerei legten. Und in der Tat lassen sich im malerischen Frühwerk der beiden Künstlerinnen Parallelen erkennen wie etwa die Farbenfreudigkeit, die Dominanz von Landschaften und das Fehlen jeglicher Abstraktion. Doch die Wege der beiden Künstlerinnen trennten sich bald. Während Gabriele Münter die Damen-Akademie verließ und mit Kandinsky Jahre später der Künstlergruppe um den „Blauen Reiter“ angehörte, verschrieb sich Ida Paulin mehr und mehr der angewandten Kunst und fand über textile Techniken wie Batik und Stickerei, über Grafik, sowie über das Bemalen von Porzellan und Hhintergmalerei zu einer seltenen Nische auf dem Gebiet der Glaskunst, der Veredelung von Gebrauchsglas. Ida Paulins Leben und Werk, das bis heute nur einem eher kleinen Kreis von Sammlern und Glasspezialisten bekannt ist, wird derzeit in einer umfassenden Werkschau im Schaezler-Palais in Augsburg (bis zum 31. März 2024 – verlängert bis 5. Mai) und einer zu dieser Ausstellung publizierten eindrucksvollen Monographie großartig präsentiert.

Mit weit über zweihundert Objekten von künstlerisch veredeltem Gebrauchsglas, viele davon mehrteilige Sets zum Trinken oder Speisen, wird ein Zeitraum von ca. 1910 bis in die fünfziger Jahre abgedeckt, ein Spiegel der Stilepochen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vom Jugendstil über Art Déco hin zu Bauhaus, Neuer Sachlichkeit und Konstruktivismus. Parallelen und Einflüsse etwa der Wiener Werkstätten mit den Multitalenten Josef Hoffmann und Dagobert Peche, Kunstglas namhafter Glasfachschulen wie Steinschönau und Haida oder des Glaskünstlers Fritz Heckert von der Glashütte Petersdorff werden aufgezeigt. Doch während es sich dort fast ausschließlich um Unikate oder um hochpreisige Luxuswaren in Kleinstserien handelte, blieb Ida Paulin während ihrer gesamten Schaffenszeit von einem halben Jahrhundert dem Gebrauchsglas verbunden. Sie kaufte ihre Rohlinge, zum Teil nach eigenem Entwurf, in böhmischen und bayerischen Glashütten, etwa der Krystallglasfabrik Frauenau von Hippolyt Freiherr von Poschinger, und konzentrierte sich ausschließlich auf deren Veredelung durch Flachfarben- und/oder Emailmalerei mit gelegentlicher Höhung durch Gold sowie durch geätzten Dekor.

Während diese knappen Hinweise das technische Repertoire der Glasveredelung durch Ida Paulin zusammenfassen, entzieht sich die grenzenlose Vielfalt der Motive und Dekorvarianten dem Versuch, diese auch nur einigermaßen zu beschreiben. Hier eröffnet sich für die Augen des Betrachters, sei es im Schaezler-Palais oder beim Blättern durch den Katalog ein bunter Reigen im wahrsten Sinne des Wortes: Marlene Dietrich tanzt mit Jazz-Musikern über ein Likör-Service, Radfahrer düsen um Becher, Pferdewagen reihen sich  in den Reigen ein, goldene Pflanzen ranken auf Vasen, Vögel zwitschern auf bauchigen Gefäßen, regenbogenfarbige  Linien umwinden Mündungen von Kannen, Flaschen und Flakons, Märchengestalten treten in Wettbewerb mit Nähmaschinen und Figuren in Trachten, konstruktivistische und geometrische Elemente konkurrieren mit rokokoartigen Rocaillen und Gittermustern, Sternchen funkeln, Weihnachtsbaum, Heuschrecke und Spinne erscheinen gleichwertig auf Tellern, Gläsern und Dosen. Es erscheint schier unmöglich, alle Motive und deren immer neue Kombinationen sowie die Farb- und Formvarianten zu erfassen oder gar in ein System oder eine „Handschrift“ einzuordnen. Mit dieser stets harmonisch, bunt und dem Zeitgeist folgend aufs Glas gebrachten Vielfalt erweist sich die Glasveredelung von Ida Paulin als eine ungewöhnliche Variante freien Kunstschaffens, die den engen Begriff der angewandten Kunst locker hinter sich lässt.

Diese künstlerische Potenz ist einer der Bausteine für Ida Paulins ein halbes Jahrhundert währenden Erfolg. Der andere Baustein, der sie rasch zu einer erfolgreichen Unternehmerin machte, ist eine offensichtliche Marketingbegabung. Nicht nur schuf sich Ida Paulin für ihre Glasprodukte schon von Anfang an mit der einprägsamen Signatur „IP ligiert, im Quadrat“ eine Marke mit hohem Wiedererkennungswert, sondern sie erkannte frühzeitig die Bedeutung der Präsenz ihres Schaffens in Galerien, Ausstellungen und Messen. Schon 1904 ist sie mit Gemälden in lokalen Kunstvereinen präsent und zeigt spätestens 1912 in überregionalen Ausstellungen ihre Glasprodukte. An der international wichtigen Leipziger Messe nimmt sie erstmalig 1916 und dann regelmäßig bis nach dem Zweiten Weltkrieg teil, sammelt Auszeichnungen und gewinnt internationales Ansehen sowie Kunden in aller Welt.

Es war also an der Zeit, sich dieser fast vergessenen Künstlerin mit einer Ausstellung zu erinnern und ihr mit diesem Katalog ein Denkmal zu setzen. Dass hier neben der Glaskunst auch die von Ida Paulin gepflegten weiteren künstlerischen Techniken, wie Malerei, Batik. Stickerei, um nur einige zu nennen, nicht zu kurz kommen, und vor allem ihr und ihres Mannes, des Malers Arnold Haag, Lebensweg breiten Raum einnimmt, sei angemerkt. Dass das Ehepaar Paulin-Haag nach dem Totalverlust von Wohnung, Atelier und Werk in einer Bombennacht des Jahres 1944 einen Neuanfang versuchte und schaffte, verdient besondere Erwähnung und ist nicht zuletzt der Verwandtschaft zu danken, die auch den Anstoß, die Informationen und das Material für diese Retrospektive gab.

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