Carpets from Islamic Lands – The al-Sabah Collection, Kuwait

Autor/en: Friedrich Spuhler
Verlag: Thames & Hudson
Erschienen: London 2012
Seiten: 186
Ausgabe: Hardcover
Preis: 35,00 engl. Pfund
ISBN: 978-0-500-97033-1
Kommentar: Michael Buddeberg, Dezember 2012

Besprechung:
Der größte Teppichraub aller Zeiten liegt nur wenig mehr als zwei Jahrzehnte zurück und dürfte wohl kaum das Ende des Phänomens Kunstraub markieren. Als prominentes Beispiel dafür, dass Krieg und Beute so etwas wie eine anthropologische Konstante in der Geschichte der Menschheit sind, mögen hier die berühmten Pferde von San Marco in Venedig genannt werden, die bis zur Plünderung durch die Ritter des vierten Kreuzuges im Jahre 1204 das Hippodrom in Konstantinopel zierten. Erst im Zeitalter der Aufklärung wurde das im römischen Kriegsrecht verankerte praeda bellica, das Recht auf Beute, vereinzelt in Frage gestellt und über die Restitution von Kriegsbeute nachgedacht – ohne großen Erfolg, wie die im zweiten Weltkrieg an allen Fronten und von allen Beteiligten wechselseitig eroberte Beutekunst zeigt. Erst mit der Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten aus dem Jahre 1954 sollten Zerstörung, Raub und Beschädigung von Kunstwerken und Kulturdenkmälern endgültig als Mittel kriegerischer Auseinandersetzung geächtet werden. Aber auch dies hinderte Saddam Hussein nach der irakischen Invasion und Besetzung von Kuwait im August 1990 nicht daran, binnen weniger Wochen die wesentlichen Schätze des National Museum Kuwait und mit ihnen die bedeutende Teppichsammlung nach Bagdad zu verschleppen. Wie man heute weiß, war dieser Kunstraub von der irakischen Führung sorgfältig geplant. Dank der dabei angewandten Logistik waren die Schäden und Verluste trotz der Kriegswirren nur gering. Aufgrund einer Resolution der Vereinten Nationen erfolgte die Rückgabe bereits im Laufe des Jahres 1991, doch das Museum, bis zum irakischen Überfall ein Kunst- und Ausbildungszentrum von Weltrang, war da schon in Rauch und Flammen aufgegangen. Die Sammlungen islamischer Kunst von Scheich Nasser Sabah al Ahmed al-Sabah und seiner Frau, die trotz ihrer relativ späten Entstehung im letzten Quartal des 20. Jahrhunderts in ihrer Qualität denen des Louvre, des British Museum, der St. Petersburger Eremitage oder der David Collection in Kopenhagen nicht nachstehen, werden ungeachtet der nur zögerlichen Wiedererrichtung des kuwaitischen Nationalmuseums fortgesetzt und vor allem wissenschaftlich erschlossen. Nach den Bänden über islamisches Glas (London 2001) und islamische Keramik (London 2004) liegt nun mit „Carpets from Islamic Lands“ aus der Feder von Friedrich Spuhler der Sammlungskatalog der Teppiche der al-Sabah Collection vor. Die Sammlungen des kuwaitischen Potentaten und seiner Frau, sei es Glas, Metall, Holz, Keramik oder Kunst auf Papier zeichnen sich durchweg durch die hohe und höchste Qualität der einzelnen Objekte aus, doch mit insgesamt 44 Teppichen aus 4 Jahrhunderten, von 1500 bis 1900, wobei viele zu den schönsten und wichtigsten Exemplaren der jeweiligen Gruppe zählen, nimmt die Teppichsammlung mit ihrem Anspruch, den im Westen vielleicht prominentesten Zweig islamischen Kunsthandwerks repräsentativ darzustellen, einen besonderen Rang ein. Friedrich Spuhler trägt dem Rechnung und beschränkt sich nicht auf eine exakte Beschreibung der einzelnen Teppiche, selbstverständlich mit den vollständigen Angaben zur Struktur, Provenienz und mit Hinweisen auf einschlägige Literatur, sondern nimmt die Sammlung zum Anlass, eine aktuelle Geschichte des Orienteppichs vorzulegen. Beispielhaft sei hier Anatolien genannt. Spuhler beginnt, auch wenn in der al-Sabah-Sammlung nicht vertreten, mit den seldschukischen Teppichen des 13. Jahrhunderts, behandelt die anatolischen Tierteppiche des 14. und 15. Jahrhunderts und kann Lotto und Holbein, vor allem aber die höfischen Teppiche aus dem 16. Jahrhundert, die Uschaks mit Stern- und Medaillonmuster, mit perfekten Beispielen aus der Sammlung al-Sabah illustrieren. Den Höhepunkt osmanischer Teppichkultur markiert dann der seidene Gebetsteppich, der schon den Band IV der Kataloge von Eberhard Herrmann als Titel zierte, bevor sich Spuhler dann dem anatolischen Dorfteppich und der breiten Gruppe der Siebenbürger zuwendet, die auch hier wieder in der Sammlung mit ausgezeichneten Stücken vertreten sind. Dass Gebetsteppiche aus Ladik und Melas, aus Ghiordes und Kula aus dem 18. und 19. Jahrhundert den Gang durch Anatolien beschließen zeigt die Breite der kuwaitischen Teppichsammlung. Diese gekonnte und lesenswerte Mischung aus erzählter Teppichgeschichte, unterlegt mit aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen, illustriert mit erstklassigen Beispielen und gewürzt mit kleinen Geschichten und Anekdoten findet sich auch bei der Behandlung der mamlukischen und der Schachbrettteppiche sowie der persischen und moghul-indischen Teppiche. Dass alle diese Provenienzen, meist mehrfach durch herausragende Exemplare dokumentiert sind, braucht nicht mehr besonders erwähnt zu werden. Wäre dies alles schon durchaus genug, um das Buch jedem Teppichliebhaber empfehlen zu können, so ist die erstmalige Publizierung und Beschreibung einer Gruppe sasanidischer Teppichfragmente, die vor einigen Jahren in Afghanistan gefunden wurden und die in die Sammlung al-Sabah gelangten, der eigentliche Höhepunkt des Spuhlerschen Buches. Mit diesen Fragmenten aus dem 3. bis 6. Jahrhundert beginnt sich das tapitologische Vakuum von 1.700 Jahren, das sich mit der Entdeckung des Teppichs von Pazyryk in einem skythischen Eisgrab im sibirischen Altai und den seldschukischen Teppichen auftat, mit hoch interessantem Material zu füllen, das es erlaubt, der 2.500-jährigen Geschichte des Orientteppichs ein neues Kapitel hinzuzufügen. Es ist freilich nur eine erste und oberflächliche Begegnung mit den Mustern und der Technik dieser wohl als nomadische oder dörfliche Gebrauchsteppiche hergestellten Stücke, die Friedrich Spuhler zulässt, denn die ausführliche Beschreibung und Würdigung dieses sensationellen Fundes ist einem separaten Band vorbehalten. Die an tibetische Teppiche erinnernde Struktur dieser Fragmente, der angewandte Schlingenknoten, die satten harmonischen Farben und die Vielfalt und mögliche Bedeutung der Bordüren- und Feldmuster, die geflügelte mythische Tiere, eine Prozession von Hirschen, Bordüren mit Wellen oder Ranken aber auch streng geometrische Musterungen zeigen, lassen diesen weiteren Band mit großer Spannung erwarten. Jedenfalls gleicht dieser bedeutende Zuwachs der al-Sabah Teppichsammlung den Verlust aus dem größten Teppichraub der Geschichte mehr als aus: Einer der nach Bagdad entführten Teppiche ist bis heute unauffindbar verschwunden.

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