Mythos und Mystik VI – Usbekische und kirgisische Textilkunst – Die Sammlung Breuss

Autor/en: Karl-Heinz Breuss
Verlag: Adil Besim
Erschienen: Wien 2011
Seiten: 144
Ausgabe: Hardcover
Preis: € 49,00
ISBN: 3-9500941-5-6
Link: www.adil-besim.at
Kommentar: Michael Buddeberg, September 2012

Besprechung:
Das Rätsel um den ersten Teppich wird wohl nie gelöst werden. Das bislang älteste aufgefundene Teppichfragment stammt, radiocarbondatiert, etwa aus dem 6./5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung und es lässt den Schluss auf eine sehr viel ältere Tradition zu (Sammlung Katoen Natie, Antwerpen). Was aber davor gewesen sein könnte ist bis heute nur Vermutung und Spekulation. Die Erfindung der Nadel vor mehr als 20.000 Jahren ermöglichte es erstmals, Fellstreifen dauerhaft aneinanderzufügen und durch die Wahl unterschiedlicher Farben einfache Muster zu bilden. Waren das die ersten Teppiche? Dass Tierfelle Vorbild für die ersten textilen Teppiche waren ist nahe liegend und das usbekische Wort Djulchyr, deutsch „Bärenfell“, für zottelige, urige Schlafteppiche scheint hierfür eine Bestätigung zu sein. Doch der Weg vom Fellteppich zum ersten Teppich aus textilem Material war lang. Erst im 5. Jahrtausend v.Chr., so weiß man heute, führten genetische Veränderungen bei domestizierten Schafen und Ziegen zu einem längeren, verspinnbaren Wollvlies und es entwickelten sich die ersten nomadischen Hirtenkulturen. In diese Zeit könnten auch die ersten Versuche datiert werden, Tierfelle aus Wolle zu kopieren. Die Entdeckung von Färbedrogen und die Entwicklung von Färbetechniken ließ dann auch nicht mehr lange auf sich warten und so mag das erste nomadische Produkt, das wir als Teppich bezeichnen können, vielleicht 6000 Jahre alt sein. Archäologische Beweise hierfür wird man kaum finden können, jedoch haben wir allen Anlass zu der Annahme, dass sich die frühesten Techniken der Teppichherstellung in bis vor wenigen Jahren kaum beachteten, einfachen nomadischen Schlafteppichen bis heute erhalten haben. Die anatolischen Siirt, ostanatolische Zakatalas, Wangden Dromtse und Tsudruk aus Tibet, persiche Gabbehs, Tülü aus der Region Karapinar und Obruk, Filikli aus Zentralanatolien und eben jene „Bärenfelle“ aus Usbekistan und Afghanistan rechnen zu diesen langflorigen, fellartigen Produkten, die besser als jeder andere Knüpfteppich dazu geeignet sind, Schutz gegen die Kälte der Nacht und die Feuchtigkeit des Bodens zu gewähren. Es liegt im Zuge der Zeit, dass der ästhetische Reiz dieser urtümlichen und einfachen Knüpferzeugnisse mehr und mehr erkannt und geschätzt wird (vgl.Brüggemann, „Die Macht den Einfachen“ in „Der Orientteppich“, Lübeck 2007), und dass sie Objekte der Sammelleidenschaft wurden. Einer dieser Sammler ist der Österreicher Karl-Heinz Breuss, dessen von Adil Besim in einem Verkaufkatalog publizierte Sammlung nicht weniger als 16 solcher usbekischer Djulchyrs enthält. Die stets aus schmalen Knüpfstreifen zusammengenähten Teppiche faszinieren durch den oft meisterhaften Umgang mit wenigen Farben und einfachen Mustern, der minimalistische Kunstwerke von hoher ästhetischer Qualität entstehen lässt. Das interessanteste Belegstück für die Entstehungsgeschichte des Teppichs mag aber der aus ungefärbten und gefärbten Fellstreifen von Yak und Schaf zusammengenähte Djulchyr sein, dessen naturbraunes Mittelfeld tatsächlich ein Bärenfell sein könnte. Seine Farbgebung mit der dunkelbraunen äußeren Bordüre, schmalen blauen Streifen und einem leuchtenden Orange, das im Kontrast zu dem ruhigen Zentrum steht, ist ein herausragendes Beispiel für die monumentale Macht des Einfachen. Doch das ist nicht alles. Die Sammlung Breuss umfasst in ausgewählten Stücken das gesamte Kaleidoskop usbekischer und kirgisischer Textilkunst, von Filzarbeiten über die wenig bekannten kirgisischen Teppiche bis zu usbekischen Kelims, die sich durch lebhafte Streifenmuster auszeichnen. Zelt- und Zierbänder sind ebenso zu finden wie eine ganze Reihe geknüpfter und flachgewebter Doppeltaschen und Taschenfragmente bis hin zu Stickarbeiten der Lakai und der Kasachen. Ein usbekischer Tschapan aus Baumwoll-Seidenikat, ein Susani aus Taschkent mit einem plakativen Muster aus flammenden Sonnen und ein wunderschönes Seidenikat-Paneel mit vielfarbigem Pfauenfeder-Muster vervollständigen den Überblick über die erstaunliche Vielfalt zentralasiatischer Textilkunst. Die einführenden, knappen Texte über die textilen Techniken, über das Land, seine Menschen und die nicht immer erfreuliche geschichtliche Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, sämtliche Beschreibungen, Strukturangaben und Literaturhinweise, wie auch die begleitenden Fotos von Landschaften und Baudenkmälern der Region stammen von Karl-Heinz Breuss, der daher in dieser Besprechung entgegen der bibliographischen Angaben im Impressum des Buches als Autor genannt wird. Die Initiative und Leistung des Hauses Adil Besim, das mit diesem Band die Reihe „Mythos und Mystik“ mit einem Einblick in eine private Sammlung fortsetzt, soll damit keineswegs geschmälert werden. Vielmehr erwecken Qualität von Buch und Thema den dringenden Wunsch nach einer Fortsetzung der Reihe.

Print Friendly, PDF & Email