Turkmen Carpets – Masterpieces of Art from the 16th to 19th Centuries – The Hoffmeister Collection

Autor/en: Elena Tsareva
Verlag: Arnoldsche Publishers
Erschienen: Stuttgart 2011
Seiten: 192
Ausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
Preis: € 64,80
ISBN: 978-3-89790-342-5
Kommentar: Michael Buddeberg, August 2011

Besprechung:
„Wie Blumen in der Wüste“ sollten die im Hamburgischen Museum für Völkerkunde aus Anlass der 7. International Conference on Oriental Carpets im Sommer 1993 ausgestellten turkmenischen Teppiche erblühen. Doch die glanzvolle Eröffnungsfeier geriet zum Eklat: Die Ausstellungsmacher hatten versucht unter Zuhilfenahme ethnologischer Dioramen zentralasiatische Atmosphäre herzustellen, hatten die geknüpften Taschen gefüllt, Türteppiche wie im echten Gebrauch zur Seite gefaltet, kleine Herdteppiche wie achtlos am Boden drapiert und seltene Hauptteppiche gar teilweise im Wüstensand vergraben. Den entsetzten Leihgebern war diese ethnologische Präsentation entschieden zuviel Völkerkunde und sie zogen ihre kostbaren Kunstwerke noch am selben Abend zurück um sie in die konservatorische Umgebung ihrer Sammlungen zurückzuführen, wo sie bestenfalls als gut ausgeleuchteter Wandschmuck in Erscheinung treten dürfen. Doch ist nicht die oft von Liebhabern und Sammlern anderer Orientteppiche belächelte Akribie von Turkmenensammlern, die „Turkomanie“, mit der auch noch den kleinsten Musterdetails und ihren kaum wahrnehmbaren Variationen Beachtung beigemessen und mit der über Stunden über die Bedeutung gewisser Schattierungen von Rottönen diskutiert wird, nichts anderes als Ethnologie, also Völkerkunde in ihrer ursprünglichen Bedeutung als der Erforschung der materiellen Kultur traditioneller außereuropäischer Gesellschaften? Solchen von der Turkomanie infizierten Sammlern und Händlern turkmenischer Knüpferzeugnisse kann daher nicht ihr Tun an sich, sondern allenfalls das Fehlen der wissenschaftlichen Grundlagen zum Vorwurf gemacht werden – wobei dem Rezensenten durchaus bewusst ist, dass der Autodidakt solchen Mangel durch Neugier, Leidenschaft und Liebe zum Objekt oft mehr als ersetzt. Bei Elena Tsareva aus St.Petersburg, die sich seit mehr als dreißig Jahren mit der traditionellen textilen Kultur der Völker Zentralasiens befasst, kommt beides zusammen, die wissenschaftlichen Grundlagen und die Neugier, Leidenschaft und Liebe zu turkmenischen Teppichen. Ihr soeben erschienenes Buch über dieses Genre hält daher was Danny Shaffer in der Einleitung verspricht: Es ist ab sofort das Standardwerk der Literatur über die Teppiche der turkmenischen Stämme. Dies umso mehr als der Gegenstand der Untersuchung eine der weltweit besten und umfangreichsten privaten Sammlungen antiker turkmenischer Teppiche ist, die sich ohne weiteres mit den Kollektionen bedeutender Museen im Westen und in Russland messen kann. Peter Hoffmeister, Sammler aus Leidenschaft, erfahren in der Welt der Teppiche und begabt mit einem Gespür für Qualität und dem Auge für Schönheit und Ästhetik ist vor 40 Jahren dem minimalistischen Reiz turkmenischer Teppiche erlegen und hat eine wahrhaft atemberaubende Sammlung aufgebaut. Es ist eine Sammlung, die die vielen verschiedenen und ganz unterschiedlichen Gebrauchszwecken dienenden Knüpfprodukte nomadisierender und sesshafter Turkmenen umfasst, die alle wichtigen Stämme abdeckt, die damit einen repräsentativen Überblick über dieses Sammelgebiet gewährt und die doch entscheidend durch die Vorlieben des Sammlers und die von ihm gesetzten Schwerpunkte geprägt ist. So sind etwa die bedeutungsvollen Ensi, Teppiche für den für Turkmenen heiligen Eingang in die Jurte, besonders repräsentativ und für die meisten Stämme gleich in mehreren Exemplaren vertreten. Im Gegensatz zu manch anderen der Teppiche, die schon sehr früh auch für den Handel hergestellt wurden, waren Ensi sehr lange nur für den Eigengebrauch bestimmt und bewahrten in ihren komplexen Mustern ein Bild des turkmenischen Kosmos von der mit Menschen und Tieren bevölkerten Erde bis an die Pforten des Himmels. Ebenfalls gut vertreten sind Tschowals, Mafrasch und besonders Torben, geknüpfte Vorratstaschen, hier insbesondere des Stammes der Tekke. Dieses Nebeneinander oft fast identischer Stücke schult das Auge und lässt den Betrachter die Bedeutsamkeit kleiner Unterschiede für die Schönheit eines Stückes aber auch für Alter und Herkunft erkennen und nachvollziehen. Und da sind schließlich die Zeltbänder, ganze 27 an der Zahl, die Hohe Schule turkmenischer Knüpfkunst. In diesen für das Hochzeitszelt der Turkmenen bestimmten Kunstobjekten ohne Gebrauchszweck haben sich archaische, wohl von Fruchtbarkeitsmotiven abgeleitete gemeinsame Muster früher Steppenbewohner als der Vorfahren aller Turkmenen erhalten. Auch wenn die Deutung und Zuordnung dieser Zeltbänder schwer und manchmal gar nicht möglich ist, kann man sich dem Zauber dieser geheimnisvollen Bildwelten nicht entziehen. Ein asmalyk (Kamelschmuck) vom Stamme des Yomud mit der Darstellung einer Kamelkarawane, mehrere khalyk (Eingangsschmuck für die Hochzeitssänfte) der Tekke, ein monumentaler Wandbehang der Salor mit hohem Seidenanteil und ein Tekke-germech (Schwellenteppich), der aufgrund der Radiokarbondatierung spätestens im 17. Jahrhundert entstanden ist, sind weitere highlights dieser an schönsten, wichtigsten und frühesten Stücken ihrer Art so reichen Sammlung. Es kommt hinzu, dass Fotografie und drucktechnische Wiedergabe in diesem Buch eine bisher nicht bekannte Perfektion erreicht haben. Auch wenn die bei den Originalen durch die Dreidimensionalität des Flors fast magische Farbwirkung der vielfältigsten Rottöne vom hellen ziegelrot und orange über kirschfarben und aubergine bis zu violett, tiefpurpur und dunklem braunrot auf Papier nicht möglich ist, wurde hier ein neuer Maßstab gesetzt. Doch zurück zum Text: Beeindruckend ist das Detailwissen von Elena Tsareva über die tausendjährige Geschichte der Turkmenen und ihrer einzelnen Stämme, über ihre Wanderungen und wechselnden Aufenthaltsgebiete und über Gewinn und Verlust von Macht und Ansehen. Diese Kenntnisse ermöglichen ihr, aus Struktur, Muster und Farben von Teppichen Rückschlüsse auf die jeweilige Stammesgeschichte zu ziehen. Noch eindrucksvoller aber ist, wenn es Elena Tsareva gelingt, mit diesem historischen Detailwissen unter Einbeziehung geographischer Gegebenheiten, farbanalytischer Kenntnisse und chemischer Vorgänge, wie etwa des Einflusses der Wasserqualität auf das Färben von Rottönen, den Ort und den Zeitpunkt der Herstellung eines Teppichs einzugrenzen. Das ist interdisziplinäre Ethnologie auf höchstem Niveau. An diesem Buch und seinen Erkenntnissen und Informationen werden sich alle künftigen Diskussionen, Forschungen aber auch Fantasien über turkmenische Teppiche messen lassen müssen. Was in diesem schönen und wichtigen Buch leider fehlt, ist ein Glossar, das die überaus zahlreichen, im Text verstreuten Fachbezeichnungen für Muster und deren Details, für technische Varianten und für andere Einzelheiten dem Leser und Betrachter zusammengefasst zur Verfügung stellt. (Das Buch erschien in englischer Sprache mit einer im Anhang abgedruckten vollständigen deutschen Übersetzung)

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