Zweck und Zier – Antike Taschen aus dem Kaukasus und Nordwest-Persien

Autor/en: Ernst Gügel, Rudolf Wühr
Verlag: Städtische Galerie Traunstein
Erschienen: Traunstein 2010
Seiten: 88
Ausgabe: Hardcover
Preis: € 20.– (zzgl. € 3.– Versandkosten im Inland)
ISBN: –
Kommentar: Michael Buddeberg, Juni 2010

Besprechung:
Der Zerfall der Sowjetunion in den Jahren nach 1990 und die Öffnung der zuvor abgeriegelten und kaum zugänglichen Sowjetrepubliken Georgien, Armenien und Aserbeidschan hat seit damals eine zuvor eher seltene und nur wenig beachtete textile Kunst in den Fokus des internationalen Sammlerinteresses gerückt: flachgewebte Gebrauchstextilien aus dem Kaukasus. Während kaukasische Teppiche und, wenn auch in geringerem Umfang, Kelims schon seit dem 19. Jahrhundert für den Export nach Europa und USA hergestellt wurden, blieben die kleinen Taschen und Vorratsbehälter lange unentdeckt und so dem eigenen Gebrauch der webenden Bauern und Nomaden vorbehalten. Dadurch haben sich in diesen Stücken Muster- und Webtraditionen aus alter Zeit weit besser erhalten als in der vielfach von fremden Einflüssen bestimmten Exportware. So ist es verständlich, dass sich diese Khordjin (Doppeltaschen), Mafrasch (große rechteckige Vorratsbehälter), Namakdan (Salztaschen) und andere kleine gewebte Taschen zum Aufbewahren von Scheren, Löffeln und den vielen kleinen Dingen des täglichen nomadischen Lebens rasch zu einem weltweit beliebten Sammelgebiet entwickelten. Stellvertretend für viele sei hier die Sammlung des Amerikaners Robert H. Nooter genannt, der sich im Auftrage der Weltbank und später privat lange in der Region aufgehalten und seine Sammlung und sein reiches vor Ort erworbenes Wissen 2004 in einem schönen Buch veröffentlicht hat (Flat-woven Rugs and Textiles from the Caucasus, Atglen 2004). Aber auch in Bayern sind Sammlungen dieser ungemein reizvollen und in ihrer Mustervielfalt so beeindruckenden Taschen aus dem Kaukasus und Nordwest-Persien entstanden, wie zur Zeit in einer sehenswerten Ausstellung in der Städtischen Galerie in Traunstein besichtigt werden kann (bis zum 25. Juli 2010). Dem Initiator dieser Ausstellung, Max Leonhard und den drei bayerischen Sammlern ist zu danken, dass sie die Mühen und Kosten eines begleitenden Kataloges nicht gescheut haben. Entstanden ist ein schönes Buch, in dem 76 dieser Taschen oder Taschenteile ganzseitig, geschmackvoll auf schwarzem Grund, präzise fotografiert und farblich korrekt abgebildet sind und das, schon seines günstigen Preises wegen, jedem Textilfreund wärmstens empfohlen werden kann. Für den Katalog zeichnen die Sammler Ernst Gügel und Rudolf Wühr verantwortlich, in bayerischen Sammlerkreisen seit langem für ihren exquisiten Geschmack und ihr Gespür im Auffinden außergewöhnlicher Stücke bekannt. Und so präsentieren Ausstellung und Katalog eine Auswahl von durchweg hoher und höchster ästhetischer und künstlerischer Qualität. Alle sind bereits im 19. Jahrhundert gewebt worden und manche von ihnen gehören gewiss zu den frühesten bekannten Exemplaren des jeweiligen Typs. Der knappe Text des Kataloges beschränkt sich auf notwendige Hinweise auf die Region, die dort lebenden Stämme und Volksgruppen, auf Gebrauchszweck und Technik der Taschen und auf die Schwierigkeiten der Zuschreibung. Verantwortlich für diese Schwierigkeit sind nicht nur die Aufkäufer und Händler, deren Interesse an der geographischen und ethnischen Herkunft der Stücke regelmäßig hinter ihrem Profitinteresse weit zurückblieb, sondern auch die ethnische Vielfalt der Region. Das Bergland zwischen dem Kaspischen- und dem Schwarzen Meer ist seit jeher ein Durchzugs- und Rückzugsgebiet, ein schwer zu durchschauendes Puzzle an Ethnien und Sprachen. Stammesfehden und Frauenraub aber auch friedliche, stammesübergreifende Ehen haben ein Übriges dazu getan, dass eine Zuschreibung von Stücken in eine bestimmte Region oder gar zu einem Stamm oder einem Dorf stets problematisch bleiben muss. Viele Fragezeichen bei der Beschreibung der Taschen tragen dem Rechnung. Noch schwieriger, um nicht zu sagen unmöglich, ist die Entschlüsselung der Muster. Es gibt kaum eine textile Gattung, die es mit der Muster- und Symbolvielfalt dieser kaukasischen Taschen aufnehmen kann. Tiere, Blütensterne und Vögel, gelegentlich auch anthropomorphe Gebilde, lassen immer wieder einen Bezug zur realen Welt erkennen. Viel öfter jedoch haben die Muster einen Abstraktionsgrad erreicht, der sich jeder Deutung entzieht. Im Verein mit den harmonischen Pflanzenfarben sind die Taschen aus den Sammlungen Gügel, Wühr und Weise, jede für sich, kleine ästhetische Kunstwerke von hohem Rang. Man kann das Buch noch so oft zur Hand nehmen, es ist jedes Mal eine Entdeckungsreise durch eine immer wieder neue, sich durch Form und Farbe bildende Mustervielfalt mit einem lockenden, doch nie wirklich zu entschlüsselnden, geheimnisvollen Bedeutungsgehalt. (Bestellungen an Max Leonhard, Hindringerstr.7, 83278 Traunstein, Tel: 0861/69656, mamoleonhard@@web.de)

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