3500 Years of Textile Art

Autor/en: Antoine De Moor
Verlag: Lannoo Publishers
Erschienen: Tielt (Belgien) 2008
Seiten: 256
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: € 65.–
ISBN: 978-90-209-8103-2
Kommentar: Michael Buddeberg, September 2009

Besprechung:
Antwerpen kennt man als eine der bedeutendsten und größten europäischen Hafenstädte, es ist bekannt für seine Museen und Kirchen mit Meisterwerken der flämischen Malerei und ihren berühmtesten Vertreter Peter Paul Rubens, und mancher wird sich vielleicht auch noch als das weltgrößte Handelszentrum für Diamanten erinnern. Fast unbekannt, selbst in Fachkreisen, war jedoch bis zum Erscheinen des Buches, dass Antwerpen eine der weltweit größten und bedeutendsten Sammlungen koptischer Textilien beherbergt und dass deren Highlights auch besichtigt werden können. Dies freilich nicht in einem der Antwerpener Museen, sondern am Hauptsitz eines großen internationalen Logistikkonzerns, der von diesem selbst wegen dieser Kunstsammlung mit dem bezeichnenden Namen „headquARTers“ versehen wurde. Nun ist das Sammeln und die Präsentation von Kunst durch große Wirtschaftsunternehmen keineswegs ungewöhnlich, wird es doch durch die Gesetzgebung fast aller Industriestaaten steuerlich gefördert. Im Falle der Katoen Natie Group hat die Sammlung jedoch historische Wurzeln, denn das im 19. Jahrhundert gegründete Unternehmen ist durch den Handel mit Fellen, Wolle, vor allem aber Baumwolle groß geworden. Die von Katrine Huts, der Frau des Vorstandsvorsitzenden Fernand Huts in mehreren Jahrzehnten mit großem Engagement aufgebaute und von Professor Antoine De Moor sorgfältig wissenschaftlich betreute Sammlung steht daher nicht nur für die eminente Bedeutung von Textilien in der Entwicklung der Zivilisationen und Kulturen, sondern auch für die Anfänge von Katoen Natie im Handel mit wichtigen Grundstoffen für Textilien. Mit dem in Text und Bild außergewöhnlich sorgfältig hergestellten Buch „3500 Years of Textile Art“, werden nun die schönsten, wichtigsten und ältesten der weit über eintausend Textilien und mehrerer hundert weiterer Objekte, die zumeist mit der Herstellung oder der Verwendung von Textilien im Zusammenhang stehen, präsentiert und so die Sammlung aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt. 73 Glanzstücke der Sammlung, werden in hinreißenden Aufnahmen des Fotografen Hugo Maertens vorgestellt. Hervorzuheben sind die zahlreichen Detailfotos, die in bester Farbqualität und oft in vielfacher Vergrößerung Einblick in die Struktur der Textilien gewähren, wie er in der üblichen musealen Präsentation unter Glas und bei abgedunkelter Beleuchtung niemals möglich ist. Der Schwerpunkt der Sammlung sind Textilien, die sich im trockenen Wüstenklima Ägyptens wie kaum anderswo erhalten haben. Ein makelloses 3.800 Jahre altes Leintuch, römische Wollsocken, so farbfrisch als wären sie soeben von der Nadel genommen, frühe syrische Seidengewebe, ein mit echtem Purpur gefärbtes Kelimfragment, ein Wandbehang mit dominierenden Swastika, koptische Medaillons mit biblischen und mythologischen Szenen und zarte Gewebe mit gestickter arabischer Kalligraphie lassen uns den Gang der Geschichte Ägyptens vom Mittleren Königreich, über die Präsenz der Römer und koptischen Christen bis zur islamischen Abbasiden-Dynastie anhand ihrer textilen Kunst erleben. Neben den einleitenden Kapiteln über den jeweiligen historischen Kontext ist vor allem die wissenschaftliche Bearbeitung der Sammlung bemerkenswert. Lesenswerte Essays über die verschiedenen textilen Strukturen und die verwendeten Naturfarbstoffe und deren oft in erstaunlich fernen Ländern liegende Herkunft, vor allem aber die für die meisten Objekte durchgeführten Radiokarbondatierungen helfen, die Entwicklung und Bedeutung der textilen Kunst oder auch nur der Mode im Mittelmeerraum besser zu verstehen. Ein Höhepunkt der Sammlung sind zweifellos die etwa 20 vorhandenen, perfekt erhaltenen spätrömischen Tuniken, einfarbige, sparsam mit gewebten oder gewirkten Bändern verzierte Gewänder von erlesener Eleganz und exquisiten Geschmack. Sieben der schönsten sind im Buch abgebildet und vermitteln eine lebendige Vorstellung der Mode des späten Rom. Nach diesem Reigen altägyptischer Textilien folgt noch eine Anzahl früher zentralasiatischer Web- und Wirkarbeiten, vor allem Seidengewebe mit geflügelten Pferden, Hirschen, Fasanen und Argali, wohl sogdischer oder persischer Herkunft, allesamt natürlich ebenfalls radiokarbondatiert. Schließlich und endlich werden mit drei bedeutenden Teppichfragmenten ganz wichtige Mosaiksteine zu dem bis heute leider höchst unvollkommenen Puzzle der Geschichte des Orientteppichs beigetragen. Da ist einmal der aus der Literatur wohlbekannte grüngrundige kleine Teppich mit Zentralmedaillon, umgeben von vier Vogeldarstellungen in Oktogonen, der früher als ein Prototyp mamlukischer Teppiche des 15. und 16. Jahrhunderts galt. Aufgrund der Radiokarbondatierung ist inzwischen seine Enstehung in frühislamischer Zeit zwischen der Mitte des 8. und dem späten 9. Jahrhundert gesichert. Möglichweise hundert Jahre älter und ebenfalls karbondatiert ist ein kleines Fragment mit stilisierten floralen Motiven und einer auf sassanidischen Einfluß deutenden Perlbordüre, dessen Farbenpracht und Wollqualität ein ganz neues Licht auf frühislamische Teppiche wirft. Und dann finden wir in der Sammlung auch den ältesten bis heute bekannt gewordenen Teppich, entdeckt im Grabe eines Kriegers in Zentralasien, wobei der genaue Fundort und die Fundumstände leider nicht bekannt sind. Mit einer C-14-Datierung zwischen 750 und 400 v.Chr. übertrifft dieses Fragment den berühmten Teppich aus Pazyryk in der St. Petersburger Eremitage um einige hundert Jahre Sein geometrisches Zick-Zack-Streifenmuster, der verwendete türkische Knoten und die offenbare Farbenvielfalt beantworten indessen keine offenen Fragen, sondern geben neue Rätsel auf. Vor allem die großartigen Aufnahmen und die durch Radiokarbondatierung gewonnenen Erkenntnisse machen die Schönheit und den Wert dieses Buches aus – von der Anregung, nach Antwerpen zu fahren ganz abgesehen.

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