Ottoman Turkish Carpets in the Collection of the Budapest Museum of Arts

Autor/en: Emese Pásztor
Verlag: Museum of Applied Arts
Erschienen: Budapest 2007
Seiten: 176
Ausgabe: softcover
Preis: nicht mitgeteilt
ISBN: 978-963-9738-07-2
Kommentar: Michael Buddeberg, Juli 2008

Besprechung:
Nach London (South Kensington Museum 1852 – heute Albert & Victoria) und Wien (Museum für Kunst und Industrie 1864 – heute MAK) war das 1873 in Budapest gegründete Museum für angewandte Kunst das dritte derartige Museum in Europa, und Teppiche gehörten von Anfang an zu den vom Museum gepflegten Sammelgebieten. Das lag an dem vom Orientalismus und dem durch die großen Weltausstellungen in London, Paris und Wien mit ihren orientalischen Schwerpunkten geprägten Zeitgeist. Doch das allein ist noch keine Erklärung, warum das wunderbare historistische Gebäude des Museums für angewandte Kunst in Budapest, das den kommenden Jugendstil südosteuropäischer Prägung schon ahnen lässt, nach dem Museum für islamische Kunst und Kultur in Istanbul heute die weltweit zweitgrößte Sammlung klassischer anatolischer Teppiche beherbergt. Der Schlüssel für diesen Bestand ist die Geschichte Ungarns und das nahe gelegene Siebenbürgen. Ungarn war Grenzland und seit jeher dem Druck der aus der Tiefe Asiens drängenden Steppenvölker ausgesetzt. Zum Schutz dieser Ostgrenze riefen die ungarischen Könige im 12. und 13. Jahrhundert deutsche Siedler ins Land und überließen ihnen die damals – und bis zum ersten Weltkrieg – zu Ungarn gehörende terra ultrasilvana, das Land jenseits der Wälder, Transylvanien, Siebenbürgen. Die pauschal als „Sachsen“ bezeichneten Deutschen – in Wahrheit kamen sie überwiegend aus der Region zwischen Rhein und Mosel, deren Dialekt sie heute noch sprechen – machten aus Transylvanien ein blühendes Kulturland und sie nahmen ihre Verpflichtung, dieses Land gegen Überfälle zu verteidigen, sehr ernst, wovon die heute noch existierenden etwa 140, wie mittelalterliche Burgen befestigten Kirchen zeugen. Dass sich in diesen, seit der Mitte des 16. Jahrhunderts reformierten und eher schmucklosen Kirchen Siebenbürgens, der bedeutendste Bestand klassischer anatolischer Teppiche erhalten hat, ist eine ebenso spannende wie geheimnisvolle Geschichte, über die man bei Stefano Ionescu “Die Osmanischen Teppiche in Siebenbürgen“ (siehe Archiv) nachlesen kann. Es liegt nahe, dass solche Teppiche nicht nur zum Schmuck von Kirchen verwendet wurden, sondern auch die Haushalte von Adel und wohlhabenden Bürgern zierten. Mit dieser Frage befasst sich das einleitende Kapitel des vorliegenden Kataloges, das frühe schriftliche Quellen über diese Teppiche aus dem Königreich Ungarn untersucht – und fündig wird. Nicht nur die Kirchenbücher, sondern private Inventare, Testamente und Aussteuerverzeichnisse aus dem 16. und 17. Jahrhundert belegen die Beliebtheit und den reichen Bestand derartiger Teppiche in privatem Besitz in jener Zeit. Erhalten hat sich davon kaum etwas, mit Ausnahme eben der Teppiche im Budapester Museum, die weit überwiegend aus ungarischem Privatbesitz stammen. Der Katalog begleitet eine Ausstellung im Museum für angewandte Kunst (bis zum 31.12.2008) und zeigt 44 der schönsten, wichtigsten und ältesten aus dem knapp 200 Stück umfassenden Bestand. An erster Stelle sind die nach den Malern Crivelli und Memling benannten Teppichfragmente aus dem 15. Jahrhundert zu nennen, Meilensteine der Teppichforschung und seltene Beispiele für die kaum erhaltene Gruppe der so genannten frühen osmanischen Teppiche, oft wegen ihrer Tier-Darstellungen auch „Anatolische Tierteppiche“ genannt. Vor allem das einzigartige Crivelli-Fragment besticht durch seine ausgewogene Ästhetik, seine Farben und sein Muster, das es in eine Reihe stellt mit dem Berliner Drachen-Phönix-Teppich und dem Marby-Teppich aus Stockholm. Es ist eine verdiente Ehrung des 2005 verstorbenen Teppich-Wissenschaftlers Ferenc Batári, der seit 1973 dem Budapester Museum für angewandte Kunst angehörte, dass dieses berühmte Fragment in dem ihm gewidmeten Katalog nun den Namen „Batári-Crivelli“ führt. Darüber hinaus würdigt das Kapitel über die Geschichte der Teppichsammlung des Museums Batáris jahrzehntelange Forschungsarbeit, und die Zusammenstellung seiner tapitologischen Veröffentlichungen beeindruckt durch die schiere Anzahl ebenso wie durch die Breite der von ihm behandelten Themen. Von all diesen Publikationen Batáris soll hier nur der 1994 auch in englischer Sprache anlässlich einer Ausstellung im Helikon-Schlossmuseum in Keszthely am Plattensee erschienene Katalog der Teppichsammlung erwähnt werden, der mit 176 Nummern den gesamten Bestand erfasst und der im Gegensatz zu dem nun vorliegenden Ausstellungskatalog auch genaue Struktur- und Farbanalysen sämtlicher Stücke enthält. Er ist natürlich längst vergriffen und erreicht in seiner Abbildungsqualität auch bei weitem nicht das Niveau des jetzt vorliegenden Bandes. In farblich einwandfreien Wiedergaben finden wir neben den schon genannten Fragmenten aus dem 15. Jahrhundert Uschak-Teppiche mit Medaillon- und Sternmuster, einen Kairener Medaillon-Teppich mit Tschintamani-Muster, fast die ganze Palette der Transylvaner- und Säulenteppiche, weißgrundige Teppiche aus Selendi, vor allem solche mit dem berühmten Vogel-Muster, frühe Gebetsteppiche aus Melas, Ghiördes und Kula, sowie Teppiche mit Holbein- und vor allem Lottomuster. Womit nach Crivelli, Memling, Lotto und Holbein zum guten Ende wieder die Maler zu Wort (und Bild) kommen sollen. Bemerkenswert nämlich sind drei von unbekannter Hand stammende Begräbnisbilder aus Schloss Trencsény/Trentschin, alle um die Mitte des 17. Jahrhunderts entstanden. Alle zeigen den bzw. die aufgebahrte Verstorbene in Lebensgröße, wobei die Bahre von einem Teppich bedeckt ist. Zweimal sind es Teppiche mit Lotto-Muster und auf dem dritten Bild sieht man einen Teppich mit einer für das 17. Jahrhundert typischen Wolkenbandbordüre und einem schwer zu identifizierenden Feldmuster, dessen Vorbild eine Tschintamani-Darstellung gewesen sein könnte, Belege einmal für die vielfältige Verwendung von Teppichen im Königreich Ungarn und zum anderen für die Bedeutung von Bildern bei der Erforschung der Geschichte des Teppichs. Ein wichtiger Katalog, der die in den letzten Jahren verstärkt geführte Diskussion über die Herkunft und Bedeutung der Siebenbürger Teppiche wunderbar ergänzt.

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