The Genius of Latif Kerimov / Azerbaijanian Carpet (2 Bände

Autor/en: Roya Tagiyeva (Autorin und Hrsg)
Verlag: Azerbaijani Carpet and Applied Art State Museum
Erschienen: Baku 2006 und 2007
Seiten: je 152
Ausgabe: Hardbound mit Schutzumschlag
Preis: wird nachgetragen
ISBN: 5-8066-1240-6 /LK), 5-8066-1758-0 (AC)
Kommentar: Michael Buddeberg, September 2007

Besprechung:
Wissenschaftliche Forschung über die Entstehung und Entwicklung der Kunst des Webens und Knüpfens, über die Herkunft und Bedeutung der Muster, über das Alter und die ethnische und kulturelle Zuordnung von Teppichen und Flachgeweben ist eine fast ausschließlich westliche Domäne. Seit dem Beginn dieses Wissenschaftszweiges im ausgehenden 19. Jahrhundert waren es überwiegend europäische oder amerikanische Gelehrte, Kunsthistoriker zumeist, aber auch Ethnologen oder Chemiker, die Beiträge zur Bereicherung des Wissens über diese orientalischen Erzeugnisse geleistet haben. Das Fehlen fundierter wissenschaftlicher Forschung in den Ursprungsländern von Teppichen hat zuletzt Walter Denny in seinem Festvortrag zur XI Internationalen Konferenz über Orientteppiche in Istanbul im April dieses Jahres beklagt und dringend angeregt, das erwachende Interesse der Türkei für das alte und wichtige türkische Kulturgut Teppich in die Hände türkischer Wissenschaftler zu legen. Auch der Aserbaidschaner Latif Kerimov (1906-1991) war im strengen Sinne kein Wissenschaftler. Geboren in einer teppichknüpfenden Familie, begann er schon als Junge mit dem Knüpfen und Entwerfen von Teppichen. Seine ausgeprägte künstlerische Begabung und seine Liebe zu Poesie, Kalligraphie, Musik und Malerei ließ ihn zu einem Allround-Designer werden, als der er auch Architektur, Juwelen, Bücher, Plaketten und Briefmarken entwarf. Aber seine große Liebe und sein unermüdliches Engagement galt Zeit seines Lebens in erster Linie dem aserbaidschanischen Teppich und sein Wissen um diese Teppiche wurde und wird von niemandem übertroffen. So ist es noble Geste und Verdienst des Teppich Museums in Baku, das Kerimovs Namen trägt, zu seinem 100. Geburtstag einen Gedenkband mit einer Würdigung seiner Person, mit Fotos aus seinem Leben und mit seinen Werken – die allerdings bei all ihrer Präzision und Sorgfalt nicht den Geschmack heutiger Teppichliebhaber und Sammler treffen – herauszugeben. Zudem fand im Februar 2007 in Paris aus demselben Anlass ein Symposium über aserbaidschanische Teppichkunst statt, dessen 13 Referate zusammen mit einem Text von Kerimov den zweiten Band füllen. Nebenbei: Das Erscheinen der Referate in einem sorgfältig editierten und gestalteten, reich illustrierten Buch nur wenige Monate nach dem Symposium ist ein Rekord, der wohl kaum überboten werden kann. Dass Kerimov ein überzeugter aserbaidschanischer Patriot war, ist seinem Text über die Geschichte der Teppich-Weberei in Aserbaidschan deutlich zu entnehmen, denn er lässt, ohne dies wissenschaftlich belegen zu können, keinen Zweifel daran, dass die Wiege der Teppichkunst in Aserbaidschan zu suchen ist und dass hier schon seit dem 5. und 6. Jahrhundert die schönsten Teppiche geknüpft worden sind. Dabei gebraucht er den eher ethnisch und politisch zu definierenden Begriff Aserbaidschan geographisch und überdehnt ihn zugleich. (Dazu verweise ich auf Besprechung des Buches „Azerbeijan Carpet“, sh. Archiv der Buchbesprechungen, Suchbegriffe: Azerbaijan oder Tagiyeva). Die wahre Leistung Kerimovs wird durch seine patriotische Sichtweise allerdings nicht geschmälert. Sie liegt in der exakten Zuordnung und Bezeichnung der fast unübersehbar vielen Muster- und Gestaltungsvariationen kaukasischer Teppiche zu bestimmten Regionen, Landschaften und Dörfern. Dieses Ergebnis nicht wiederholbarer, jahrzehntelanger Feldforschungsarbeit hat allerdings bis heute nicht Eingang in die Teppichwissenschaft und schon gar nicht in den Sprachgebrauch der Teppichwelt gefunden. Die Nomenklatur kaukasische Teppiche geht vielmehr überwiegend auf Ulrich Schürmann zurück und beschränkt sich auf vielleicht 60 Namen, deren teilweise Unkorrektheit bewusst hingenommen wird. Dies allerdings ist ein Phänomen, das nicht allein dem kaukasischen, sondern vor allem dem frühen anatolischen Teppich mit seinen Bezeichnungen nach Künstlern, die diese Teppiche erstmals malten (Lotto, Holbein, Memling u.a.) anhängt und das sich wohl nur schwerlich wird beseitigen lassen. So herrscht denn auch in den Beiträgen zum Symposium bezeichnungstechnisch überwiegend wieder eine heile Welt. Das gilt etwa für den schönen und reich illustrierten Beitrag von Wendel Swan über Knüpfarbeiten der Shasavan, eines nomadischen Stammes aus der nordwestlichen iranischen Provinz Aserbaidschan, der vor allem für seine Flachgewebsarbeiten bekannt ist und der bei Kerimov nicht vorkommt. Weitere Beiträge befassen sich mit flachgewebten Vorratsbehältern der Region (Herbert Exner), mit Musterverwandtschaften zwischen aserbaidschanischen und anatolischen (Bekir Deniz) und solchen mit turkmenischen Teppichen (Narmina Tagiyeva). Der Ungar Ivan Szanto befasst sich mit Teppichen aus Heriz, einer Stadt im Herzen der schon genannten iranischen Provinz und er prägt einen Begriff, der die Bezeichnungsproblematik auf einfache Weise lösen könnte: Kaukasische Teppiche aus Aserbaidschan. Zu erwähnen sind noch zwei Referate mit ungewöhnlichen Themen, die aber wundervoll dazu beitragen, die vielschichtige Persönlichkeit Latif Kerimovs zu erfassen und sie zu ehren. Das ist einmal die Geschichte eines der größten Teppiche, die je hergestellt wurden, erzählt von Robert Chenciner. Latif Kerimov war maßgeblich beteiligt als 1957 zum 40sten Jahrestag der Oktoberrevolution der 75 qm große Teppich mit einer überlebensgroßen Darstellung von Lenin geknüpft wurde. Der Lenin-Teppich aus Baku ist ein typisches Produkt des Zusammentreffens sowjetrussischer Ideen mit dem Orient und mit alter handwerklicher Tradition. Dass er dann vor mehr als einem Jahrzehnt eingerollt und weggelegt wurde gehört zu seiner und der Geschichte des Landes. Inna Naroditskaya schließlich sieht eine enge geistige Verwandtschaft und ästhetische und soziale Verbindungen zwischen dem Knüpfen von Teppichen und einer traditionellen Musikform, dem mugham, bei der Männer um kleine, einfache Melodien improvisieren. Roya Tagiyeva, die Direktorin des Teppichmuseums in Baku, hat mit diesen beiden repräsentativen, von der UNESCO gesponserten Büchern einer großen Persönlichkeit aus der Teppichwelt ein würdiges Denkmal gesetzt. (Adresse des Museums: The Azerbaijan State Museum of Art, 31, Istiglaliyat st., Baku 370001, Azerbaijan Republic)

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