Central Asian Textiles and Their Contexts in the Early Middle Ages

Autor/en: Regula Schorta (Hrsg)
Verlag: Abegg Stiftung
Erschienen: Riggisberg 2006
Seiten: 316
Ausgabe: broschiert
Preis: CHF 85.–
ISBN: 3-905014-19-X
Kommentar: Michael Buddeberg, Juli 2006

Besprechung:
Die Öffnung Tibets Anfang der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts aber auch die Ausweitung, Professionalisierung und Internationalisierung chinesischer Archäologieprojekte in den Wüstenregionen Westchinas haben das textile Wissen bereichert wie nie ein Ereignis zuvor. Diese These mag übertrieben klingen, jedoch haben diese zentralasiatischen Funde und Entdeckungen so viele Erkenntnisse über Muster, Techniken und Herstellungsorte bisher unbekannter Textilien ergeben und so viele Informationen und Anhaltspunkte über Handelswege, Technologien und Verwendungszecke gebracht, dass man getrost behaupten kann, das unendlich feinteilige Puzzle der Textilgeschichte ist um so viele Teile ergänzt worden, dass es sich zu einem, wenn auch bloß schemenhaften Bild zu formen beginnt. Die Abegg-Stiftung hat frühzeitig die Zeichen erkannt und im Gegensatz zu manchen europäischen Museen auch die Mittel gehabt, um in ihrer Sammel- und Forschungstätigkeit einen deutlichen Schwerpunkt auf diese frühen Textilien von der Seidenstrasse zu legen. Der 1998 erschienene Band 6 der Riggisberger Berichte („Entlang der Seidenstraße“) und Band 10 aus dem Jahre 2001 mit der Vorstellung der geheimnisvollen und überwältigend schönen Webarbeiten von Shanpula („Fabulous Creatures from the Desert Sands“) geben eindrucksvoll Zeugnis von dieser Sammlungs- und Forschungsarbeit. Dazu gehört auch ein Kolloquium, zu dem Karel Otavsky, seinerzeit Kurator für Mittelalterliche Textilien der Abegg-Stiftung, im Herbst 1999 geladen hatte. Wissenschaftler aus 15 Nationen haben damals ihre Thesen vorgetragen, Verbindungen hergestellt, über Forschungen berichtet und Grabungsfunde gezeigt. Die nun als Band 9 der Riggisberger Berichte vorliegende Veröffentlichung von 17 Beiträgen aus diesem Kolloquium fügt dem genannten Puzzle, um bei diesem Bild zu bleiben, wieder eine ganze Anzahl von Teilen bei. Der Nebel um die Seidenstraße hat sich weiter gelichtet und man beginnt zu erkennen, dass Zentralasien eine Drehscheibe der textilen Weltgeschichte war. Die Wanderung von Textilien, Mustern und Technologien und ihre gegenseitige Beeinflussung über weite Entfernungen auf diesem wichtigsten Handelsweg der alten Welt waren weit bedeutsamer und intensiver als bisher angenommen. Nehmen wir ein Beispiel: Widder, geflügeltes Pferd, Eberkopf und Senmurf, regelmäßig dargestellt im typischen Perlmedaillon, gehören zur zentralen Ikonographie der Sasaniden und stehen dort für Ruhm und Glanz der Dynastie, für die Macht des Königs und seine göttliche Herkunft. In Astana (Xinjang, Westchina) ausgegrabene Textilien mit eingewebten chinesischen Schriftzeichen belegen nun, dass sich chinesische Weber eben dieses sasanidischen Stils für ihre für den Export bestimmten Textilien bedienten. Kein Wunder also auch, dass sich ein seidenes Samit-Gewebe mit typisch sasanidischer Ikonographie und chinesischen Schriftzeichen im japanischen Nara gefunden hat. Der Austausch hat aber auch in der anderen Richtung funktioniert, wie man an Ausgrabungen aus Antinoe (Ägypten) und an der späteren byzantinischen Seidenproduktion erkennen kann. Ein anderes Zentrum früher zentralasiatischer Textilkunst war das antike Sogdien. Mehr und mehr gelingt es, zum Beispiel die auf Wandmalereien von Panjikent oder Afrasiab dargestellten Textilmuster zu entschlüsseln und ihre Herkunft und ihren Einfluss auf andere textile Traditionen zu enträtseln. So ist den Mustern der von den Frauen auf den Höhlenmalereien von Ajanta (Idien) getragenen Textilien deutlich der sogdische Einfluss zu entnehmen. Jeder einzelne der Beiträge in diesem Kompendium stellt solche Querverbindungen her und regt dazu an, weiter darüber nachzudenken und vielleicht gar neue Verknüpfungen zu finden, um damit das textile Weltpuzzle weiter zu vervollständigen. Dabei werden nicht nur vordergründig Muster behandelt, sondern natürlich auch Materialien, Webstrukturen und Webtechnologien, die in gleicher Weise auf Wanderschaft gingen. Kurz und gut, auch wenn das Kolloquium und die dort gehaltenen Vorträge nun fast sieben Jahre zurück liegen, haben die Beiträge in all den Jahren nichts an Aktualität und Interesse verloren. Die Herausgeberin entschuldigt sich im Vorwort für die lange Wartezeit und begründet sie mit den Schwierigkeiten der Übersetzung der fünf chinesischen Beiträge. Dies Zuwarten allerdings hat sich gelohnt, denn es wäre ein Verlust gewesen, auf diese chinesischen Beiträge zu verzichten. Han Jinke berichtet über die Gold- und Silbertextilien aus dem berühmten Schatzfund des Famentempels aus der Tang-Dynastie, ein Fund, der in seiner Bedeutung nur noch mit der berühmten tönernen Armee des Kaisers Qin Shihuangdi verglichen werden kann. Viele Lagen Seidenstoffe schützten die kostbaren Gefäße dieses Tempelschatzes. Ihr extrem schlechter Zustand ist eine Herausforderung an die Konservatoren und es wird noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, bis dieser Fund voll erschlossen ist. Dennoch ist bereits einem vielfach auf diesen Stoffen wiederkehrenden Motiv ein Beitrag gewidmet: Lin Chunmei erläutert die Typen und Techniken des mit goldenen Fäden auf feine Seide gestickten Lotosmotivs, kleine textile Kunstwerke aus dem 9. Jahrhundert. Die Entdeckung und Ausgrabung tibetischer Gräber in Dulan in der chinesischen Provinz Qinghai – das ist das alte tibetische Amdo – und die dort gefundenen prächtigen Textilfragmente, über die Xu Xinguo berichtet, geben einen Vorgeschmack auf das, was künftige archäologische Grabungen in Tibet noch zutage fördern werden. Mit diesen knappen Hinweisen kann die Vielfalt der behandelten Themen hier nur oberflächlich gestreift werden. Der in gewohnter Weise gestaltete und reich illustrierte Essayband ist ein Werk, das man immer wieder zur Hand nehmen kann, um stets neues zu entdecken, um es dem Puzzle eigenen Wissens hinzuzufügen.

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