Maya-Textilien aus Guatemala – Kleider für die Seele

Autor/en: Gitta Hassler
Verlag: Völkerkundemuseum der Universität Zürich – Arnoldsche Verlagsanstalt
Erschienen: Zürich Stuttgart 2006
Seiten: 240
Ausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
Preis: € 49.80
ISBN: 3-89790-237-0
Kommentar: Michael Buddeberg, Juni 2006

Besprechung:
Am 4. Februar 1976 bebte im Hochland von Guatemala die Erde. Es war das schlimmste Erdbeben in der jüngeren Geschichte des Landes und es gab 27.000 Opfer zu beklagen. Viele Dörfer im Hochland, wo die guatemaltekischen Indígenas, die Nachfahren der alten Maya leben, waren vollkommen zerstört. Neben unsäglichem Leid hatte diese Katastrophe auch Auswirkungen auf die textile Tradition des Landes. Die Not und der dem Beben folgende Kampf um eine neue Existenz zwang viele Familien zum Verkauf ihrer hochwertigen alten Textilien. Eine bis zu diesem Zeitpunkt kaum wahrgenommene textile Kultur wurde bekannt, erweckte Interesse und beeinflusste neue Modetrends und Textilproduktion. Andererseits gab es Familien, in denen alle älteren Familienmitglieder umgekommen und mit ihnen die ererbten textilen Kenntnisse begraben worden waren. Dieses große Beben war aber nur einer der Gründe, warum sich die textile Tradition der Indígenas den vergangenen Jahrzehnten nachhaltig verändert hat. War es früher möglich, bei den Frauen der Indígenas anhand ihrer Kleidung, vor allem ihrer huipil, der traditionellen Blusen und der Röcke und Tücher ihre lokale Herkunft zu bestimmen, hat der jahrzehntelange, grausame Bürgerkrieg, die fortwährende Unterdrückung der Indígenas durch die in Politik und Wirtschaft dominierenden Ladinos und die auch in Guatemala zu spürenden Folgen der Industrialisierung und Globalisierung für eine gewisse Nivellierung gesorgt. Geblieben ist die Liebe der Indígena-Frauen zu ihrer farbenfrohen, mit aufwendiger Webtechnik oder mit Stickerei und Applikationen verzierten Kleidung. Die von Umfang und Alter außergewöhnliche Sammlung von Maya-Textilien des Völkerkundemuseums der Universität Zürich mit über 300 Teilen vermittelt einen repräsentativen Querschnitt durch die letzten 125 Jahre dieser textilen Tradition. In dem Buch, das eine erste Ausstellung dieser Sammlung begleitet, werden, aufgeteilt nach ihrer Herkunft aus 10 der 22 guatemaltekischen Departementos, knapp 200 Blusen, Röcke, Bänder, Schürzen Gürtel, Taschen und Tücher in allen Größen für unterschiedlichste Verwendungszwecke vorgestellt, genau beschrieben und abgebildet. Historische, vor allem aber zahlreiche Aufnahmen aus jüngerer Zeit zeigen die Präsenz dieser Web- und Dekortradition im heutigen Hochland von Guatemala. Daneben informieren Beiträge mehrerer Fachautoren über die verschiedenen Materialien wie Baumwolle, Agave, Wolle, Seide und Kunstfasern, erklären das Weben mit dem traditionellen Hüftband-Webgerät und beschreiben Färbemethoden wie etwa die Ikat- oder Jaspe-Färbetechnik. Weit über diese textile Information hinaus führen die Kapitel über die politische Entwicklung Guatemaleas in den letzten 50 Jahren, die vor allem durch den grausamen Bürgerkrieg geprägt waren, der seit 1960 in dem Land wütete und erst mit dem Friedensvertrag von 1996 beendet wurde. Die Diskriminierung der indigenen Bevölkerung, die mit der Eroberung des Landes durch die Konquistadoren im 16. Jahrhundert begann und die bis heute anhält, zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Die bewusste Pflege der textilen Traditionen durch die Maya-Frauen kann so auch als gewolltes Festhalten an der traditionellen Identität und als ein Protest gegen die fortwährende Unterdrückung und Ausbeutung gewertet werden. Das Buch über die farbenfrohe traditionelle Kleidung der Hochland-Mayas in Guatemala ist daher weit mehr als ein Katalog einer bemerkenswerten völkerkundlichen Sammlung. Es ist ein interessanter und lesenswerter Bericht über ein Land, das ein wenig abseits des Interesses der Weltöffentlichkeit steht und ein Beleg dafür, dass auch Textilien Geschichte und Geschichten erzählen können.

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