Textiles from India – The Global Trade

Autor/en: Rosemary Crill (Hrsg)
Verlag: Seagull Books (Berg Publishers)
Erschienen: Calcutta London New York 2006
Seiten: 388
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: 40.– engl.Pfund
ISBN: 1-9054-2-217-2
Kommentar: Michael Buddeberg, Juli 2006

Besprechung:
Globalisierung ist das viel gebrauchte Schlagwort der Wirtschaftspresse am Beginn des 21. Jahrhunderts. Angst und Hoffnung verbergen sich hinter diesem Wort, das für ein zunehmendes Zusammenwachsen der internationalen Märkte steht, Hoffnung auf immer bessere und billigere Produkte und Angst vor dem Aussterben ganzer Wirtschaftszweige. Die Textilindustrie kann ein Lied davon singen. Billige Importtextilien aus China und Indien überschwemmen seit Jahren den Markt und erschweren europäischen Produktionsstätten das Überleben. Ein Ausweichen auf Qualität, Luxus oder Design konnte immer nur kurzfristig Abhilfe schaffen, denn die Konkurrenz in Fernost und auf dem Subkontinent hat es gelernt, sich rasch dem Geschmack der fernen Kunden anzupassen und auf geographische, nationale und kulturelle Besonderheiten zu reagieren. Wenn das die Globalisierung ist, dann hat sie nicht erst jetzt, sondern schon vor langer langer Zeit begonnen. Schon seit hunderten von Jahren reisen Textilien aus Indien um den Globus, liefern Stoffe für die Kleider von Fürsten und Königinnen aber auch für den einfachen Mann. Indische Textilien waren seit jeher ein wichtiges Handelsgut in Europa, Amerika, Afrika und im Fernen Osten und immer schon umfassten sie das gesamte textile Spektrum vom einfachen Stoff für das tägliche Leben bis zu den feinsten und kostbarsten Geweben für festlichen Gebrauch bei Hof und für Ritual und Zeremonie in Kirche und Tempel. Dieser Globalisierung, dem jahrhundertealten und weltweiten Handel mit indischen Textilien war im Oktober 2003 eine Konferenz in Kalkutta unter der Bezeichnung „Sutra: Thread, Ties and Transformations; two thousand years of trade between the Indian subcontinent and the world“ gewidmet. Mit „Textiles from India“ liegt nun der von Rosemary Crill herausgegebene, reich illustrierte Essayband mit 23 Beiträgen internationaler Wissenschaftler vor. Und jeder einzelne dieser Aufsätze bringt neue, interessante Details über Techniken und Dekore indischer Textilien, über die Handelswege rund um die Welt und über die Reaktion von Händlern und Webern auf wechselnde Nachfragen und Moden. Da ist zum Beispiel die in Europa kaum bekannte Brokatindustrie von Benares. Wer heute buddhistische Länder bereist, etwa das kleine Königreich Bhutan oder Osttibet, wo in den vergangenen Jahren hunderte von Klöstern und Tempeln wiederaufgebaut wurden, wundert sich über die reiche textile Ausstattung der Sakralbauten mit goldglänzenden Stoffen. Die Gewänder überlebensgroßer Skulpturen, Decken und Wandbehänge, Baldachine, Tempelbanner und Siegeszeichen werden von Kaskaden schwerer Brokate mit den vielfältigsten Mustern gebildet. Drachen und Phönix, flammende Perlen, Päonien und Lotus und immer wieder die buddhistischen Glückszeichen weisen auf chinesischen Ursprung hin. Doch das täuscht. Spätestens in der Mitte des 19. Jahrhunderts hatten die Weber in Benares damit begonnen die chinesischen Brokate zu imitieren, um den Bedarf nach Textilien mit buddhistischen Motiven zu decken. Das gelang ihnen so gut, dass die schweren indischen Goldstoffe bald die teuren chinesischen Brokate verdrängt hatten. Und das ist bis heute so geblieben. Zwei Beiträge von Monisha Ahmed und von Joss Graham widmen sich diesen Gyasar genannten Brokatstoffen aus Benares, die auch heute noch für die Festtagskleidung tibetischer Nomaden und zur Ausstattung tibetischer Klöster im Himalaya und in Indien wie auch in Europa und in Amerika dienen. Ein anderes großes Thema sind indische Stoffe in Südostasien. In Sulawesi, auf der früher Celebes genannten indonesischen Insel hat man die ältesten indischen Textilien gefunden, die mittels der Radiocarbonmethode in das 13. und 14. Jahrhundert datiert wurden. Es sind reservegefärbte und mit Blockdruck gemusterte Baumwollstoffe aus nordwestindischer Produktion, die über den Hafen von Gujarat nach Südostasien verschifft wurden, längst bevor Europäer sich des lukrativen Handels bemächtigten. Die große Frage, wie diese Textilien über Jahrhunderte dem tropischen Klima trotzen konnten, beantwortet Ruth Barnes mit deren Funktion und Wertschätzung. Da es in Sulawesi keine alte und hoch entwickelte Webtradition gegeben hat, entwickelten sich diese fremdländischen Textilien rasch zu Prestigeobjekten und Erbstücken, die sorgfältig verwahrt und nur selten für bestimmte Rituale und Zeremonien gebraucht wurden. Auch einige in ihrer Musterung ganz außergewöhnliche und einzigartige Baumwollstoffe aus offensichtlich indischer Produktion, die sich im Schatz des Raja von Los Palos auf Ost-Timor gefunden haben, gehören zu dieser Kategorie heiliger Erbstücke und sind in das 15. bis 17. Jahrhundert zu datieren (Brigitte Khan Majlis). Eine Reihe weiterer Beiträge widmen sich dem Handel mit indischen Textilien nach Europa, Amerika und Afrika. Noch heute etwa wird die Identität und Mode mancher afrikanischer Stämme, etwa der Kalabari aus dem Niger-Delta, fast ausschließlich von ganz eigenen indischen Textilien bestimmt. “Real Madras Handkerchief“ oder RMHK ist hierfür das Schlagwort, und Handwerker aus Madras weben diese mit besonderen Karos und Streifen gemusterten Textilien ausschließlich für diesen afrikanischen Markt (Joanne B. Eicher). Ein ganz seltenes Beispiel dafür, dass der Textilhandel manches Mal auch in umgekehrter Richtung stattfand sind ikatgefärbte muslimische Gebetsmatten aus Naturfasern. Sie wurden in Nordwestindien gefunden, kommen aber zweifellos aus Madagaskar, wo sich im 19./20 Jahrhundert, dies aber wieder unter indischem Einfluss, eine auf Naturfasern (Raffia) gegründete Ikat-Webtradition etablieren konnte (Jeffrey A. Hess). So reiht sich in diesem Buch eine spannende Geschichte rund um indische Textilien an die andere, ein glänzendes Beispiel dafür, was Forschung und Entdeckergeist zu leisten vermögen. Der Beitrag von Rosemary Crill, der großen Kennerin asiatischer Textilien, der die Konferenz und dieses Buch zu danken sind, soll hier als letzter erwähnt werden: In Hardwick Hall in Derbyshire befindet sich die vielleicht älteste erhaltene indische Stickerei. Es ist ein großer Bettüberwurf, der bereits in einem Inventar aus dem Jahre 1601 erwähnt ist, zauberhaft zart bestickt mit Blumen, blühenden Bäumen und schwebenden Engeln, Moghul-Kunst vom Allerfeinsten. Die Frage, ob dies Meisterwerk ein extrem frühes Exporttextil war oder als sommerlicher Bodenbelag für den kaiserlichen Hof bestickt worden ist, bleibt offen.

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