Farbjuwele des Morgenlandes – Frühe anatolische Kelims aus der Sammlung Prammer

Autor/en: Norbert Prammer
Verlag: Dr. Norbert Prammer
Erschienen: St.Veit/Österreich 2005
Seiten: 164
Ausgabe: Leinen (Querformat)
Preis: € 89.– (Vorzugsausgabe, nummeriert und signiert im Schuber: € 109.–)
ISBN: 3-901407-81-2
Kommentar: Michael Buddeberg, September 2005

Besprechung:
Irgendwo in Anatolien. Eine Yayla, Grasland wechselt mit bewaldeten Hügeln, schneebedeckte Gipfel am Horizont, fast könnte es das Muster eines Kelims sein, aus Aydin vielleicht oder aus Obruk. Darüber ein blauer Himmel mit weißen Sommerwolken, die die Landschaft darunter mit einem lebhaften Abrasch versehen. Im Zentrum, dominant, mächtig und doch fragil wie das Medaillon eines antiken Karapinar-Fragments, die halb zerfallene Burg eines Nomadenfürsten. Sie birgt einen nie zuvor gesehenen Schatz: Antike Gewebe, Kelims, Fragmente, in glühenden Farben und mit starken, geheimnis- und bedeutungsvollen Mustern. Und alle Freunde sind da und feiern ein rauschendes Kelimfest. So etwa könnte ein Traum eines Kelimliebhabers beschaffen sein. Doch das ist wirklich alles passiert: Die Yayla, das war eine liebliche und abgelegene Sommerlandschaft im südöstlichen Europa und die Nomadenburg heißt Piberstein und ist eine mächtige, nur noch teilweise bewohnbare Burgruine aus dem 13. Jahrhundert im oberösterreichischen Mühlviertel. Im Juni 1999 hatte Norbert Prammer, ein österreichischer Arzt und Sammler von Kelims und Textilien, eine internationale Gruppe von Experten und Liebhabern textiler Kunst auf Burg Piberstein geladen, um seine Kollektion anatolischer Kelims in diesem ungewöhnlichen und extravaganten Rahmen erstmals einer kritischen Öffentlichkeit vorzustellen. Es war ein spektakuläres und beglückendes Ereignis, von dem Peter Bichler in HALI 106 begeistert und mit folgendem Schlusssatz berichtete: „We await the promised catalogue with keen anticipation.“ Dieser Katalog liegt nun vor, er begleitet eine öffentliche Ausstellung dieser Sammlung im neuen Lentos-Kunstmuseum in Linz ( vom 26. Januar bis zum 10. September 2006) und er schafft es, die damals geweckten Erwartungen noch zu übertreffen. Er übertrifft sie einmal, weil die Sammlung gegenüber der Präsentation auf Burg Piberstein noch an Qualität gewonnen hat und er übertrifft sie, weil hier nicht nur ein Katalog, sondern ein ungemein engagiertes, persönliches, überlegt gestaltetes und schönes Buch einer homogenen privaten Sammlung entstanden ist, ein Buch das auch ein Schlüssel ist zur Person des Sammlers als eines ganz der Schönheit und Ästhetik der Farbe verschriebenen Menschen. Norbert Prammer hat es sich nicht nehmen lassen, als Herausgeber und Verleger selbst das Buchprojekt in die Hand zu nehmen und hat mit einem kleinen Team ganze Arbeit geleistet. Für den einleitenden Essay über die nur drei Jahrzehnte alte Erfolgsgeschichte anatolischer Kelims hat Prammer mit Udo Hirsch einen Kenner der Szene, vor allem aber einen intimen Kenner anatolischer Kelims gefunden, wie er besser nicht hat gewählt werden können. Udo Hirsch beschreibt die Entdeckung des anatolischen Kelims am Anfang der siebziger Jahre, den ungeahnten Aufschwung dieser Textilkunst durch den Einsatz engagierter Sammler und Händler, den Höhepunkt der Kelimbegeisterung in den achtziger und frühen neunziger Jahren, aber auch die negative Folge dieses Siegeszuges, den allmählichen Ausverkauf anatolischer Kelims und den heute nahezu vollständigen Verlust jahrhundertealter Webtraditionen. Es sei heute fast unmöglich geworden, schreibt Hirsch, eine Sammlung guter anatolischer Kelims in überschaubarer Zeit zusammenzustellen. Dies nun erweist sich als eine These, die von der Sammlung Prammer sofort widerlegt wird. Zwar verrät uns der Sammler nicht, wann er nach seinem anfänglichen Interesse für konventionelle kaukasische, türkische und turkmenische Teppiche erstmals von den archaischen anatolischen Geweben fasziniert wurde, doch ist die Sammlung, wie sich aus einigen Publikationshinweisen ergibt, eher später als früher entstanden. Und sie ist schließlich seit 1999 bis heute weiter gewachsen. Damals wie jetzt hat Prammer die Präsentation auf 64 ausgewählte Stücke beschränkt mit der Folge, dass eine ganze Anzahl von Fragmenten oder nicht so bedeutenden Kelims inzwischen durch bessere und zum Teil herausragende Stücke ersetzt wurden. Diese 64 Kelims reichen von Stücken kleineren Formats der Yüncü und der Karakecili über zauberhafte Streifengewebe, meist aus Zentralanatolien, über bedeutende Medaillon-, Kult- und Zeremonialstücke bis zu einer beachtlichen Gruppe von Nischenkelims. Diese formal so unterschiedlichen Stücke haben eines gemein: Sie wirken durch ihre klaren und stets, ob sie nun kräftig sind oder zart, harmonisch nebeneinander gestellten Naturfarben und sind so ein Zeugnis für einen ganz bestimmten ästhetischen Aspekt der Kunst ihrer anonymen Weberinnen, wie man ihn durchaus nicht bei allen frühen Kelims findet. Sie sind zugleich ein Zeugnis für den vollendeten Farbgeschmack des Sammlers und machen deutlich, wo der Schwerpunkt dieser Sammlung liegt. Nicht von ungefähr spielen denn auch die Farben, die Farbkombinationen, die Farbqualität, ungewöhnliche Farbzusammenstellungen oder einfach die farbliche Gesamtharmonie in den knappen persönlichen Kommentaren Prammers zu jedem seiner Stücke, fast stets die zentrale Rolle. Und so wird auch verständlich, dass aus dieser Sichtweise der Zustand der Stücke von zweitrangiger Bedeutung ist, und dass Prammer eine ganze Anzahl von sehr stark fragmentierten Kelims in seine Sammlung aufgenommen hat. Die Unvollständigkeit eines Kelims, fehlende Teile oder korrodierte Partien, ja selbst große Löcher vermag das Auge zu ergänzen und dies ist gewiss nicht nur auf das häufige Betrachten von Kelimfragmenten, sondern auch auf die durch ausgesuchte Farben und deren Zusammenstellung bewirkte Gesamtharmonie eines Kelims zurückzuführen. Zuguterletzt ist die hervorragende Druckqualität zu rühmen, eine vollendete Wiedergabe der im Querformat, zum Teil auf ausklappbaren Doppeltafeln wiedergegebenen Kelims. Nach anfänglichen Experimenten mit dem vielfach so beliebten schwarzen Hintergrund hat sich Prammer für ein chamoisfarbenes Papier entschieden, das für die Präsentation dieser „Farbjuwele des Morgenlandes“ geradezu ideal erscheint. Es gibt eine ganze Anzahl von Büchern, die mehr Informationen über Kelims vermitteln, aber es gibt kaum eines, das die Qualität, Vielfalt und Harmonie der Farben früher anatolischer Kelims so vollendet vor Augen führt. (Texte in deutsch und englisch,zu bestellen bei Norbert Prammer, Hagerstr.14, A-4173 St.Veit, norbertprammer@gmx.at

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