Glanz der Himmelssöhne – Kaiserliche Teppiche aus China, 1450 – 1750

Autor/en: Hans König, Michael Franses
Verlag: Museum für Ostasiatische Kunst, Textile & Art Publications
Erschienen: Köln und London 2005
Seiten: 228
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag bzw. Broschur
Preis: € 70.– bzw. 45.–
ISBN: 1-898406-45-6 (Leinen), 1-898406-50-2 (Broschur)
Kommentar: Michael Buddeberg, Dezember 2005

Besprechung:
Kaum zu glauben und doch eine wahre Geschichte: Erst vor fünf Jahren wurden im Obergeschoß eines Pavillons im östlichen Teil der „verbotenen Stadt“, im chinesischen Kaiserpalast in Beijing, etwa 40 große kaiserliche Palastteppiche aus der Zeit der Ming-Dynastie entdeckt. Sie hatten dort, vergessen und unbemerkt, einen wohl einhundertjährigen Dornröschenschlaf gehalten. Für die Geschichte des chinesischen Teppichs, für die unbeantworteten Fragen nach Herkunft und Alter chinesischer Knüpfkunst war dies ein unerhörter Fund. Es war gleichzeitig ein Fund, der das Projekt einer Ausstellung klassischer chinesischer Teppiche und des dazugehörigen Katalogbuches wesentlich gefördert hat. Dieses Projekt hatten Hans König und Michael Franses, beide große Kenner chinesischer Teppiche, schon lange in ihren Herzen bewegt. Die einzigartige und in dieser Form sicherlich nicht wiederholbare Ausstellung kann nun in Köln bis zum 15. Januar 2006 besichtigt werden. Das dazu erschienene Buch ist, wie man es von Textile & Art Publications gewohnt ist, nicht nur eine repräsentative, elegante und in ihrer Gestaltung vorbildliche Dokumentation der ausgestellten 68 Teppiche, sondern auch ein bedeutender Schritt auf dem Weg der wissenschaftlichen Erforschung des chinesischen Teppichs.

Doch um das Ergebnis gleich vorwegzunehmen: Die Fragen nach Herkunft und Alter chinesischer Knüpfkunst werden auch hier nicht beantwortet. Und die etwas mutige These der Autoren, dass es „unter Würdigung aller bekannten Dokumente anzunehmen ist, dass bereits in der Yuan-Periode (1271-1368) die Herstellung von Wollteppichen (in China) eine feste Tradition hatte“, wird von eben diesen Dokumenten, also von den bis heute als Fragment oder vollständig erhaltenen chinesischen Originalen und den bildlichen und literarischen Zeugnissen gerade nicht getragen. Da ist zunächst festzustellen, dass sowohl von der Struktur wie auch von den Mustern zwischen den nicht wenigen in Ostturkestan oder in der Himalayaregion gefundenen frühen Teppichfragmenten und dem klassischen chinesischen Teppich kein Zusammenhang herzustellen ist. Die hier klaffende Lücke von etwa einem Jahrtausend kann auch durch Bilder und Berichte nicht wirklich geschlossen werden. So zeigen etwa die Wandmalereien aus Dunhuang oder die verschiedenen Illustrationsfolgen zur Geschichte der chinesischen Prinzessin Wen-Chi, die aus der Zeit der Song-Dynastie (960-1280) stammen, dass die zentralasiatischen Barbaren – wobei der Begriff „Barbar“ hier in seiner chinesischen Bedeutung als „Nicht-Chinese“ gebraucht wird – Teppiche kannten und benutzten, doch auch hier ist ein schlüssiger Zusammenhang zu Teppichen aus China, wie sie uns seit dem 15. Jahrhundert vorliegen, nur schwer herzustellen. Dabei ist es sicher und vielfach belegbar, dass auch die Han-Chinesen in ihrem eigenen chinesischen Kernland, den fruchtbaren Landstrichen nördlich des Yangtse, Teppiche kannten und schätzten und dass Teppiche, etwa während der weltoffenen Tang-Dynastie (618-907) Gegenstand eines florierenden Handelsverkehrs waren. Wann und weshalb Chinesen allerdings anfingen, selbst zu knüpfen, bleibt im Dunkel.

Mit diesen Zweifeln an einer frühen chinesischen Teppichtradition soll freilich der mit diesem Buch geleistete Beitrag von Hans König und Michael Franses für Verständnis und Wissen um den chinesischen Teppich nicht geschmälert werden. Michael Franses etwa kennt neben dem kompletten Bestand des Palastmuseums in Beijing wohl jeden einzelnen der, geschätzt, knapp 600 im Westen erhaltenen, klassischen chinesischen Teppiche und vermag es wie niemand sonst, in die spezifisch chinesische Musterwelt einzuführen. Auch wenn dieser Teil der Untersuchung knapp gehalten ist, so wird doch bewusst, dass die Ästhetik und Formensprache des chinesischen Teppichs bis heute, vor allem aber in seiner klassischen Zeit, nur aus der an Sprache und Schrift angelehnten Symbolik zu verstehen ist, wie sie das gesamte chinesische Kunstschaffen prägt. Als Beispiele mögen hier der allgegenwärtige Drache und das wohl erst mit dem Buddhismus nach China gelangte Swastika-Muster genannt werden. Der Drache, wichtigstes Motiv auch der kaiserlichen Palastteppiche, ist Sinnbild der zeugenden, männlichen Naturkraft und Sinnbild des Kaisers und Himmelssohnes. Demgegenüber steht das Swastika als fortlaufende Bordüre oder als unendliches Feldmuster, als so genanntes „Zehntausend-Schriftzeichen-Zeichen“ für Glück und langes Leben. In den Teppichen aus der Zeit des Mandschuren-Kaisers Kangxi (1664 bis 1723) – die meisten der erhalten klassischen chinesischen Teppiche stammen aus dieser Zeit – gehen nun Drache und Swastika eine formale Verbindung ein, die den schlichten, archaischen Stil der Teppiche dieser Zeit prägt. Aus dem machtvollen, naturalistischen Drachen der Mingzeit wurde der elegante und zierliche Laubdrache, der einmal mehr und einmal weniger in den aus mäandernden Swastika gebildeten Ornamenten verschwindet und damit auch in den rein geometrischen Teppichen präsent bleibt, als Wunsch für ein langes und glückliches Leben des Kaisers.

Mit den Anmerkungen von Elena Tsareva über die Struktur klassischer chinesischer Teppiche und vollständigen Strukturanalysen der Hälfte der ausgestellten Teppiche wird schließlich das in der bisherigen, knappen Literatur über den chinesischen Teppich immer wieder anzutreffende Vorurteil über das – bei aller Schönheit, die sie schufen – nur mäßige Können chinesischer Knüpfhandwerker endgültig widerlegt. Es ist zwar richtig, dass chinesische Teppiche der klassischen Zeit sehr, oft extrem grob geknüpft sind – das gilt vor allem für die kaiserlichen Palastteppiche – jedoch beherrschten es die Knüpfer meisterhaft, mit verschiedenen Knotenformen, mit der Verwendung mehrerer Farben in einem Knoten und mit zusätzlichen oder mit besonders voluminösen Knoten jedes Detail, komplizierte Bogenlinien und jede gewünschte Zeichnung exakt darzustellen.

Gut recherchiert und interessant zu lesen ist schließlich die Geschichte des klassischen chinesischen Teppichs im Westen, eine Geschichte aus dem letzten Viertel des 19. und den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Die Wirren der untergehenden Qin-Dynastie, ihr letzter Kaiser Puy und bekannte amerikanische Sammler und Designer wie Louis Comfort Tiffany, Frank Lloyd Wright oder Joseph Pierpont Morgan waren Akteure in diesem Spiel, das kaiserliche Palastteppiche in die Landsitze der amerikanischen Geldadels brachte.

Viele werden es bedauern, dass das Buch nur in deutsch erschienen ist. Aber ein um neue Erkenntnisse erweitertes Buch in englischer Sprache soll eine entsprechende Ausstellung in den USA begleiten, deren Zeitpunkt aber ungewiß ist. Auch eine Ausstellung und Publikation der Palastteppiche in Beijing wird es irgendwann einmal geben. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Plan realisiert wird und dass die vielfache Anregung der Autoren nach gezielter chinesischer Quellenforschung in Gemälden und Archiven auf fruchtbaren Boden fällt. Vielleicht finden sich dort Antworten auf die offenen Fragen.

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