Kilim: The Complete Guide – History – Pattern – Technique – Identification

Autor/en: Alastair Hull, José Luczyc-Wyhowska
Verlag: Thames & Hudson
Erschienen: London 2005
Seiten: 352
Ausgabe: paperback illustriert
Preis: 24.95 englische Pfund
ISBN: 0-500-28221-8
Kommentar: Michael Buddeberg, August 2005

Besprechung:
Das gewichtige Buch im großen Format ist der Reprint eines erstmals 1993 erschienenen und im Jahre 2000 in einer paperback-Auflage wieder aufgelegten und wiederum längst vergriffenen Buches. Ein Klassiker also? Ein Buch, das der an Kelims Interessierte haben muss? Die Antwort fällt schwer. Der schiere Umfang, 650 Abbildungen, die meisten davon in Farbe, über 400 Kelims von Nordafrika bis nach Zentralasien, Karten, Zeichnungen von Mustern und Techniken, historische und aktuelle Fotos aus den Regionen, sprechen für einen Stammplatz in der Bibliothek, das Alter der Publikation – wenn man bedenkt, wie viel aufregende Kelims in den dutzend Jahren seit dem Erstdruck auf dem Markt erschienen sind und wie viele Theorien über die Entstehung und Bedeutung von Kelim seither ausgedacht und zu Papier gebracht wurden – eher dagegen. Doch das ist nicht das Problem. Es ist vielmehr der im Untertitel zum Ausdruck kommende Anspruch eines „Complete Guide,“ eines vollständigen Handbuches über Geschichte, Muster und Techniken von Kelims nebst einer Anleitung zu ihrer Identifikation, der schon 1993 vermessen war und es heute noch ist. Dies insbesondere dann, wenn man den Begriff „Kilim“ so weit fasst, wie das die Autoren tun, und marokkanische Mischgewebe, anatolische Cicim, kaukasische Sumakh und usbekische Filzarbeiten einbezieht und damit sogar über den Begriff Flachgewebe noch hinausgeht. So gesehen vermisst man indische Dhurries, nordwestpersische Palas-Gewebe oder die reizvollen Streifentextilien, wie sie für Persien (Jajims), Nordafrika oder auch Tibet typisch sind. Zudem irritiert das unkritische Nebeneinander ganz neuer – gleichwohl meist sehr ansprechender – Kelims neben alten und – wenigen – ausgesuchten Sammlerstücken. Die fast immer fehlenden Altersangaben kann man bei der Problematik dieser Materie schon fast als eine Tugend betrachten, nicht jedoch, dass alte Webtraditionen und neue Auftrags- oder Kommerzproduktionen ohne Erläuterung gemixt werden. Doch genug der Kritik von einem gar zu anspruchsvollen Rezensenten. Da das vollständige Kelim-Buch eine Utopie ist und bleiben wird, muss die Fülle des schriftlich und bildlich Dargebotenen bewundert werden. Das gilt zunächst für die einleitenden Kapitel über das Herstellen von Kelims, die verwendeten Materialien und Farben und über Kelim-Motive, über die Muster und deren Symbolismus. Mit gutem Grund holen die Autoren hier weit aus und gehen zurück an die im Dunkel der Frühgeschichte liegenden Anfänge der Weberei. Schon vor tausenden von Jahren dürfte die Flachgewebskultur in frühen nomadischen Kulturen begründet worden sein und hat wohl seit diesen frühen Zeiten eine kontinuierliche Entwicklung und Diversifizierung erfahren. Die kleinen Fenster in die Frühzeit, die glückliche Funde in den vereisten Kurgans von Pazyryk oder in den extrem trockenen Grablegungen Südamerikas, Ägyptens oder Zentralasiens geöffnet haben, reichen indessen nicht aus, um von den heute bekannten Kelimmustern ihre Entwicklungslinien wirklich zuverlässig zu den Ursprüngen zurückzuverfolgen. Auch die im Jahre 1993 noch hochaktuellen Theorien um das „Mother-Goddess-“ oder Elibelinde-Motiv nach den in Catal Hüyük entdeckten frühen Wandmalereien sind inzwischen als eine von vielen möglichen Erklärungen für den Ursprung ganz bestimmter Elemente aus der reichen Ikonographie der Kelim-Muster abgelegt worden. Kurzum, das liest sich interessant und flüssig und vermittelt dem Einsteiger ein fundiertes Basiswissen. Gleiches gilt für die einleitenden Worte zu den vier großen Regionalkapiteln, die den Zentralteil des Buches ausmachen: Nordafrika, Anatolien, Persien und Kaukasus und schließlich Afghanistan mit Zentralasien. Hier findet man Ausführungen über die Nutzung dieser Gewebe, vom täglichen Gebrauch als Taschen, Vorratsbehälter, Decken oder Bodenbelag, bis zu ihrem Einsatz als Kulttextilien für besondere Ereignisse im Leben wie Geburt, Initiation, Hochzeit oder Tod, aber auch Überlegungen über den Einfluss der islamischen Religion auf die Muster von Kelims. Während dies wieder hochspekulative Gedanken sind, ist sicher, dass religiöse Bräuche, jedenfalls in Anatolien geholfen haben, dass Kelims nicht verbraucht wurden, sondern von vielen Generationen von Gläubigen als Geschenke an die örtlichen Moscheen gegeben wurden, wo sie in vielen Schichten übereinander gelagert ihrer Entdeckung entgegenmoderten. Auch davon ist zu lesen, wie seit der Entdeckung des Kelims als eines ethnographisch und ästhetisch faszinierenden Sammelgebietes eine Jagd auf diese Schätze begann, eine Jagd, die viele Geschichten geschrieben hat. Dabei sind jene Geschichten, wo ahnungslosen Imams neue Kelims für zerfetzte Unikate gegeben wurden, noch die eher harmlosen gegenüber Raub, Diebstahl und Plünderei. Ob nun harmlos oder kriminell, fast immer wurden die Fundorte geheimgehalten, was heute eine genaue Klassifizierung und Lokalisierung früher Kelims so schwierig macht. Die Autoren bieten zu den vier großen behandelten Herkunftsgebieten eine große Anzahl von Ordnungskriterien an, mal sind es Stämme, oft auch einzelne Orte oder Landschaften, und versuchen Gemeinsamkeiten der dort hergestellten Flachgewebe zu beschreiben. Jedem so ermittelten Namen sind einige Abbildungen zugeordnet, in der Summe viele hundert aber doch zuwenig um damit für den Laien eine sichere Identifikation zu ermöglichen. Für diesen bleibt der Trost, dass dies auch für Experten ein nicht enden wollendes Thema ist. Mit die schönsten Stücke, meist kleineren Formats, findet man im letzten Kapitel unter dem Sammelbegriff „Vermischtes“. Im Anhang finden sich Hinweise für das Sammeln von Kelims, ihre Pflege vom Waschen bis zur Reparatur, Glossar, Bibliographie und ein bunter Strauss von Adressen von Händlern, Auktionshäusern und Websites aus der ganzen Welt, für die Neuauflage aktualisiert und dennoch teilweise bereits wieder überholt. Als Fazit kann gelten: Kein Klassiker, aber, mit Einschränkungen, ein Standardwerk.

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